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Die bislang jüngste Nummer eins im Männer-Tennis: Carlos Alcaraz.

© imago/Paul Zimmer / imago/Paul Zimmer

Naturgewalt mit kleinen Fragezeichen: Carlos Alcaraz ist die neue Attraktion im Tennis

Carlos Alcaraz ist mit 19 Jahren die Nummer eins. So mancher wundert sich über den raketenhaften Aufstieg des Spaniers mit den unermüdlichen Beinen.

Einen Tweet zu später Stunde setzte Carlos Alcaraz noch ab. Er finde keine Worte mehr, schrieb er. „Ich will jetzt einfach weiterträumen.“ Die Sache ist nur: Alcaraz muss nicht träumen. Wenn er wach ist, dann ist er, Carlos Alcaraz, US-Open-Sieger 2022 und die jüngste Nummer eins in der Geschichte des Männer–Tennis. Vermutlich wird auch bei manchen unter den 24.000 Zuschauenden im Arthur Ashe Stadium die Realität verschwommen gewesen sein.

Carlos Alcaraz ist ohne Übertreibung am besten als sportliche Naturgewalt beschrieben. Der Teenager erreicht Bälle, die sonst niemand erreicht und knallt diese nicht selten seinen Gegnern um die Ohren. Wer sich ein Spiel von Alcaraz ansieht, kann sich sicher sein, dass der Spanier etliche Big Shots fabrizieren wird, die besonderen Schläge, bei denen es die Zuschauer von den Sitzen reißt.

Auch am Sonntag war das der Fall. Zum Beispiel beim Stande von 4:4 im dritten Satz. Der Norweger Casper Ruud drosch ein paar Vorhandschläge auf die Linie, die für jeden anderen Gegner unerreichbar gewesen wären. Alcaraz aber brachte irgendwie immer noch seinen Schläger an den Ball. Der Spanier verlor diesen Ballwechsel am Ende, aber der Beifall gehörte ihm. Ruud schüttelte mehrfach den Kopf, wollte und konnte nicht glauben, was da noch alles zurückkam.

Mit 6:4, 2:6, 7:6 (7:1), 6:3 gewann Alcaraz das Match , über 15 Stunden hatte er insgesamt auf dem Platz gestanden bei den US Open. Sein Preisgeld beträgt 2,6 Millionen Dollar. „Ich habe noch nie gegen einen Spieler gespielt, der sich so gut bewegt“, sagte Alcaraz’ Halbfinalgegner Francis Tiafoe aus den USA. „Er wird für lange Zeit ein Problem sein.“ Ein Problem für seine Gegner – und ein Fest für seine Fans.

Unter Tennis-Beobachtern gibt es keinen Zweifel, und das nicht erst seit den diesjährigen US Open: Der 19-Jährige ist die nächste große Attraktion im Tennis. Roger Federer, vielleicht der begnadetste Spieler bislang, befindet sich auf der Ehrenrunde, Impfverweigerer Novak Djokovic durfte bei den US Open genauso wie bei den Australian Open gar nicht erst antreten und Alcaraz’ großes Vorbild, Rafael Nadal, kämpft schon seit Jahren mit seinem geschundenen Körper. Und alle sind schon weit über Dreißig, Federer sogar schon 41. Soll heißen: Die großen Drei sind zwar noch da, aber die Zukunft gehört einer neuen Generation von Tennisspielern, Casper Ruud, Jannik Sinner – in erster Linie aber Carlos Alcaraz.

Das ist ein Höhepunkt einer Karriere, von der ich sicher bin, dass es noch viele weitere Höhepunkte geben wird.

Rafael Nadal

Das Lob nach dem Triumph kam von höchster Stelle. „Glückwünsche für den ersten Grand-Slam-Sieg und die Nummer eins“, schrieb Nadal. „Das ist ein Höhepunkt einer Karriere, von der ich sicher bin, dass es noch viele weitere Höhepunkte geben wird.“

Allzu häufig fällt der Name Alcaraz im Zusammenhang mit Nadal. Kein Wunder: Beide kommen aus Spanien, beide ähneln sich, sind jeweils 1,85 Meter groß, haben einen gewaltigen Quadrizeps und sind unerschütterliche Kämpfernaturen. Tatsächlich aber unterscheiden sie sich in ihrem Spiel. Nadal spielt einen extremen Topspin, spielt am liebsten auf Sand. Alcaraz dagegen spielt glatter, hat einen besseren Aufschlag und streut vor allem viel mehr Drop-Shots ein. Am besten, so sagt zumindest sein Trainer Juan Carlos Ferrero, ist er auf dem Hartplatz.

Das Talent wurde Alcaraz in die Wiege gelegt. Sein Vater war ebenfalls Tennisprofi und so spielte sein Sohn bereits im Alter von vier Jahren regelmäßig Tennis, mit zehn Jahren unterzeichnete Alcaraz seinen ersten Vertrag. Die Karriere war vorgezeichnet, zumal der kleine Carlos Alcaraz die täglichen Einheiten offenbar nicht als Qual empfand, sondern es ihm Spaß machte.

Der Weg in die Spitze nahm seinen Anfang, als er sich 2018 dem früheren Weltranglistenersten Juan Carlos Ferrero anschloss und in dessen Akademie trainierte. Die Fortschritte seitdem sind gewaltig. Alcaraz hat sich verändert, auch physisch. Mit 17 war er noch ein dünner Schlaks, inzwischen ist er ein muskelbepackter Athlet mit scheinbar unerschöpflichen körperlichen Reserven.

Letzteres macht so manchen etwas skeptisch. So war Alcaraz laut Anti-Doping-Statistiken des Weltverbands ITF 2021 der am wenigsten getestete Spieler in den Top Ten. Aber das dürfte sich spätestens nach dem Erfolg am Sonntag ändern. Alcaraz steht nun im Fokus. Vielleicht auch bei den Anti-Doping-Jägern, ganz sicher aber bei den Tennis-Fans.

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