Rodeo: Cowboy gegen Cowboy
Es sieht nach Tierquälerei aus, doch die Cowboys können die Kritik nicht verstehen. Beim Rodeo lebt der Wilde Westen weiter. Eindrücke aus Reno.
Um acht Sekunden geht es. Lächerliche acht Sekunden. Nur so lange muss sich der Cowboy auf dem Rücken des Pferdes halten, das ist die Aufgabenstellung des „Bareback“, der wohl schwierigsten Disziplin des Rodeos. Doch es wehrt sich dieses Pferd, und wie es sich wehrt – es lässt diese acht Sekunden zu einer kleinen Ewigkeit werden. Mit aller Macht versucht „Dirty Twenty“, den Cowboy auf seinem Rücken abzuwerfen. Das Tier buckelt und buckelt, von einer Ecke zur anderen in der Rodeo-Arena von Reno im amerikanischen Bundesstaat Nevada. Clint Cannon krallt sich mit der gesamten Kraft seines rechten Armes am Halteriemen fest. Sein anderer Arm darf dabei weder Pferd noch Ausrüstung berühren, die Füße müssen oberhalb der Pferdeschulter bleiben. Cannon liegt beinahe auf dem Pferd, mehrfach sieht es so aus, als würde er fallen. Doch er bleibt oben bis die acht Sekunden abgelaufen sind.
Auf den ersten Blick versteht der unbedarfte Zuschauer nicht, was dort unten in der Arena eigentlich vor sich geht. Warum wehrt sich dieses Pferd so eifrig gegen seinen Cowboy? Und warum hört das Tier nicht auf zu buckeln, obwohl der Cowboy längst von einem der beiden Hilfsreiter, die schon in der Arena warten, vom Pferd gezogen wurde? Es dauert einen Moment, um zu verstehen, dass sich das Tier gar nicht gegen den Cowboy wehrt. Sein eigentlicher Feind ist der sogenannte Flankengurt, mit welchem dem Tier der „Bauch“ abgeschnürt wird, wie es offiziell heißt. Aber dass dieser Gurt eigentlich die empfindlichen Weichteile des Pferdes abschnürt, ist kein Geheimnis. Deswegen springt es – solange bis ihm der zweite Hilfsreiter den Gurt endlich abnimmt. Erst dann rennt es schnaufend in Richtung Ausgang. „Schnell raus hier, aus diesem Wahnsinn“, scheint es zu denken.
Es sieht nach Tierquälerei aus, was dort passiert. So unnatürlich wirkt die Bewegung der Pferde, so erleichtert sehen sie nach dem Abnehmen des Gurtes aus. Davon aber will Clint Cannon nichts wissen. „Diese Pferde lieben das, was sie tun“, sagt der Cowboy. „Wenn sie kurz vor dem Ritt in der Box stehen, merkt man wie sie sich bereit machen, alle Muskeln anspannen. Sie freuen sich darauf, dass es endlich los geht.“ Auf die Idee, dass dies auch Angst sein könnte, kommt er nicht. Clint Cannon zupft an seinem einwandfrei gebügelten tiefblauen Hemd, den strahlend weißen Cowboyhut hat er lässig auf den Hinterkopf geschoben, die Daumen in den Taschen seiner Bluejeans, die von einer großen goldenen Gürtelschnalle gehalten wird. Seine Worte sind keine Floskeln. Er glaubt an das, was er sagt. Cannon ist wortgewandt, er hat Agrarwissenschaften studiert und erst mit 23 mit dem Rodeosport begonnen. „Ich hatte keine Lust, richtig arbeiten zu gehen“, sagt er und zeigt dabei sein Hollywoodgrinsen. Zuvor hatte er selten überhaupt auf einem Pferd gesessen. Er spielte American Football am College, für eine Profikarriere reichte es nicht. Dann brachte ihn ein Freund auf die Idee, es beim Rodeo zu versuchen. Cannon war talentiert und schnell erfolgreich.
Heute ist er 30 Jahre alt. Auf der Farm seiner Eltern in Waller, Texas, hat er ein paar Kühe stehen. Er könnte sich zur Ruhe setzen. In diesem Jahr ist er mit Abstand der erfolgreichste Bareback-Reiter, über 110 000 US-Dollar hat er allein in dieser Saison verdient. Beim Reno Rodeo werden für die acht Disziplinen insgesamt 2,5 Millionen Dollar Preisgeld verteilt. Rodeo, das heißt vor allem: Volksfest. Bierverkäufer kämpfen sich ihren Weg durch die Reihen, die langsam untergehende Sonne brennt noch auf die Westseite der Zuschauertribüne. Es gibt Burger, Fritten und Zuckerwatte und ein großer Becher Bier kostet 6 Dollar. 120 000 Menschen kommen in den zehn Tagen im Juni. Rodeo ist Volkssport in Nevada.
Doch es ist auch Extremsport. Cannon wird nicht aufhören, denn Rodeo, sagt er, macht süchtig. Wie eine Droge beschreibt er den Kick, wenn das Pferd aus der Box schießt und er jeden Muskel seines Körpers benötigt. Sein rechter Arm ist fast doppelt so breit wie der linke. Die Angst habe er in den Griff bekommen, sagt der Texaner. Doch das besondere Kribbeln entsteht durch die Lebensgefahr. „Es kann jeden Tag vorbei sein“, sagt Cannon. Im vorigen Jahr musste er mehrere Monate wegen einer Schulterverletzung aussetzen. Rippen- und Knochenbrüche gehören zum Alltag.
Doch gefährlich ist der Ritt auch für die Pferde. Der Stress ist extrem, Verletzungen der Tiere nicht selten. Und dann ist da ja auch noch dieser Gurt, der offensichtlich starke Schmerzen auslöst. Tierschutzorganisationen fordern seit Jahren die Abschaffung, in mehreren amerikanischen Bundesstaaten ist der Sport bereits verboten, genauso wie in Großbritannien und den Niederlanden. Auch in Deutschland sind nicht alle Disziplinen zugelassen. Clint Cannon kann die Kritik nicht verstehen. „99 Prozent der Cowboys lieben Pferde, sie würden nicht zulassen, dass ihnen wehgetan wird“, sagt er. „Die Pferde haben immer zwei bis drei Wochen Pause nach einem Ritt.“
Für ihn selbst gilt das nicht: Vor dem Finale in Reno fliegt er noch schnell zu Rodeos in Texas, Kanada und New Mexico. Die Professional Rodeo Cowboys Association veranstaltet rund 700 Rodeos im Jahr. Clint Cannon reitet ungefähr 100 davon. „That’s all I do“, sagt er. Dabei ginge es nicht um den Kampf Mensch gegen Tier, sondern „es ist der Kampf Cowboy gegen Cowboy.“ Wie in dem ursprünglichen Wettkampf zweier Männer, die voller Testosteron versuchten, die wildesten Pferde einzureiten und so das Rodeo erfanden. Viel vom „Wilden Westen“ steckt heute noch darin. Die Rodeo-Teilnehmer kommen aus Culver/Oregon, Elk Ridge/Utah oder Mills/Wyoming. Kaum eine größere Stadt taucht auf der Liste der Reiter auf. Rodeo ist eben ein Cowboysport, beliebt heute neben Kanada und dem Norden Mexikos vor allem jenen US- Bundesstaaten, in denen der Mythos des „Wilden Westens“ gewissenhaft gepflegt wird.
Friedlich stehen die Pferde in großen Gehegen neben der Arena. Scheu wirken sie nicht, aber auch nicht handzahm. Es sind schließlich Wildpferde. Sie warten auf ihre acht Sekunden. Wohl eher ängstlich als freudig.