Sport: Das Gold verfolgt
Britta Kamrau-Corestein gewinnt die Fortsetzung des Langstreckenschwimmens, bleibt aber verärgert
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Melbourne - Britta Kamrau-Corestein hatte ein riesiges weißes Frottee-Handtuch um ihren nassen Neoprenanzug gewickelt. Es half nicht viel. Sie zitterte trotzdem am ganzen Körper. Das Wasser vorm St. Kilda Beach in Melbourne war nur 18 Grad warm, über den Strand zog ein heftiger Wind, und sie war gerade 12,5 Kilometer geschwommen. „Es war extrem hart“, sagte sie. Die 27-Jährige aus Rostock hatte am Sonntag allerdings immer noch fast zweieinhalb Minuten Vorsprung, als sie am Zielbrett anschlug und sich damit den Weltmeister-Titel über 25 Kilometer sicherte. Und sie hatte noch die Kraft, um mit zwei ausgestreckten Mittelfingern am Podium der Offiziellen des Weltverbands Fina vorbei zum Strand zu schwimmen. Eine Stunde später, geduscht und umgezogen, versicherte Kamrau-Corestein, dass „diese Geste nichts zu bedeuten hat“. Aber die Funktionäre werden sie schon richtig interpretiert haben. „Schönen Dank auch für eure total bescheuerte Entscheidung“, so ungefähr dürfte die Botschaft aus dem Wasser lauten. Ihre unfreundliche Geste hatte Kamrau-Corestein bereits am Vortag angekündigt.
Die Funktionäre des Weltschwimmverbandes Fina hatten sie wieder ins Wasser geschickt, sie und zwölf weitere Schwimmerinnen, darunter Angela Maurer aus Wiesbaden, die Titelverteidigerin. Sie wurde am Ende Vierte, im ersten Jagdrennen der Geschichte des Langstreckenschwimmens. Denn nach dem Zwangsabbruch am Samstag nach 12,5 Kilometer starteten die Schwimmerinnen mit jenem Abstand, den sie zum Zeitpunkt des Abbruchs auf die Führende Kamrau-Corestein hatten. Maurer war Dritte.
Christa Thiel, die Präsidentin des Deutschen Schwimmverbands (DSV), versuchte den Schaden einer einmaligen Panne kleinzureden. „Dass ein Rennen bei einem Freiluft-Sportart abgebrochen werden muss, gibt es doch auch beim Skispringen ständig.“ Nur haben sie beim Skispringen Regeln für den Fall eines Abbruchs. Bei der Fina aber fahndeten sie am Samstag stundenlang, was ihre eigenen Regeln bei einem Zwangsende vorschreiben. Sie fanden nichts, weil es so einen Fall offiziell bei einer WM nicht geben darf. „Das ist eine Regellücke, aber es wird immer Lücken geben, die man schließt“, sagte Thiel. Zu schließen ist diese Lücke aber erst beim nächsten Fina-Kongress, und der findet in zwei Jahren statt.
Dass es keine gute Idee sein könnte, 13 Schwimmerinnen just zu dem Zeitpunkt ins aufgepeitschte Meer zu schicken, für den der amtliche australische Wetterbericht stürmische Böen vorhergesagt hatte, darauf kam kein Offizieller. Um 13 Uhr gab es dann offiziell Sturmwarnung. Aber bitte, wir sind hier in Melbourne, sagte Thiel. „Hier ändert sich das Wetter stündlich.“ Konnte doch keiner vorhersehen, dass es so stürmen würde.
Aber als dann keiner mehr Bescheid wusste, fällte die höchste Fina-Instanz, das Fina-Büro, ein Urteil: Das Rennen wird zweigeteilt. Die Deutschen sind in dem Gremium nicht vertreten. Irgendwann geisterte auch die Idee durch den Raum, dass man gleich drei Silbermedaillen vergeben könnte: an das Verfolgertrio, das hinter Kamrau-Corestein eng zusammen lag, als der Hauptschiedsrichter am Samstag abpfiff. Der Gedanke drang bis zu Maurer durch, aber mit Silber wurde es dann doch nichts. „Ich bin schon enttäuscht, in Gedanken habe ich um eine Medaille gekämpft“, sagte die 31-Jährige. Die Siegerin Kamrau-Corestein war am Ende besser gelaunt, aber nicht euphorisch. Das Theater habe schon Kraft gekostet, sagte sie. „Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen.“ Und ihren ausgezehrten Körper konnte sie nicht mehr optimal mit Kohlenhydraten auffüllen. „Ich war schon platt am Start“, sagte sie. Das spürte sie kurz bevor sie noch die Kraft zur Geste aufbrachte. Mit siebeneinhalb Minuten hatte sie zwischenzeitlich geführt, „Flucht nach vorne“, so lautete ihre Taktik. „Aber auf dem letzten Kilometer brach ich völlig ein“, sagte sie.
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