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Debatte um Olympia in Deutschland: Bitte verschweigt die Paralympics nicht!
Wenn hierzulande über die Bewerbung für Olympia gesprochen wird, spielen die Paralympics kaum eine Rolle. Dabei wäre eine Austragung der Sommerspiele so wichtig für Menschen mit Behinderung.
Stand:
Viermal habe ich als Rollstuhlbasketballerin an den Paralympischen Spielen teilgenommen, zuletzt in Paris vor einem Jahr. Mit meinen Teamkolleginnen kämpfe ich um Siege und Medaillen – und abseits des Spielfeldes um Aufmerksamkeit für den Sport von Menschen mit Behinderung. Denn die ist leider immer noch nicht selbstverständlich.
Die Paralympics, das größte Sportfest der Welt für Menschen mit Behinderung, begeistern. Die Faszination zieht immer mehr Menschen in ihren Bann. Paralympische Spiele vereinen sportliche wie gesellschaftliche Potenziale. Wie keine andere Veranstaltung stehen sie für Vielfalt und für die Kraft des Sports, Barrieren zu überwinden. Vor allem auch in den Köpfen der Menschen.
Paralympische Athlet*innen sind gleichzeitig Mutmacher*innen und Botschafter*innen, die ihre Finger in bestehende Wunden legen können: etwa hinsichtlich fehlender Angebote im Sport, mangelnder Teilhabemöglichkeiten, nicht ausreichender Barrierefreiheit oder einer intransparenten Hilfsmittelversorgung. Auch deshalb sind insbesondere die Paralympics eine Bereicherung für jede Bewerbung um die Austragung der Spiele – und wären ein großer Gewinn für Deutschland.
Die Paralympics sind ein Motor, ein Beschleuniger gesellschaftlicher Prozesse, die eigentlich schon durch die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen und Deutschlands Unterzeichnung 2009 längst überfällig sind.
Die Austragung der Paralympics in Deutschland wäre ein deutlicher Schub für ein inklusives Sportdeutschland, ein Impulsgeber für ein Umdenken in unserer Gesellschaft. Hin zu einem öffentlichen Raum ohne Barrieren, von dem auch Senior*innen oder Familien mit Kinderwagen profitieren. Hin zu einem größeren Stellenwert von Menschen mit Behinderung sowie einem unverkrampften Miteinander – und weg von hohen Hürden und Hemmschwellen.
Überzeugt bin ich, dass die Ausrichtung von Olympischen und Paralympischen Spielen Deutschland nachhaltig in Bewegung bringen wird, mit allen positiven Effekten für unsere Gesellschaft wie etwa hinsichtlich Gesundheit und Prävention. Der Sport muss wieder eine größere Bedeutung erhalten, er tut unserer Gesellschaft gut.
Folglich trete ich dafür ein, bei der Bewerbung um Olympia und Paralympics nicht nur die (finanziellen und ökologischen) Risiken in den Blick zu nehmen, sondern auch die großartigen Chancen, die nicht auf den Zeitraum der Spiele begrenzt sind. Dabei kann ich insbesondere die Effekte der Paralympischen Spiele nicht genug betonen. Der Fortschritt beginnt zudem schon Jahre zuvor mit einem größeren Fokus auf Sport und Bewegung – und das wirkt langfristig. London 2012 oder Paris 2024 haben es ganz besonders vorgemacht.
Die Austragung der Paralympics in Deutschland wäre ein deutlicher Schub für ein inklusives Sportdeutschland, ein Impulsgeber für ein Umdenken in unserer Gesellschaft.
Mareike Miller
Beide Länder haben von Beginn an die Paralympischen Spiele gleichberechtigt in ihre Kommunikation und darüber hinaus in ihre Förderung einfließen lassen. Daher möchte ich appellieren, dass diese Haltung auch in unseren Köpfen ankommt – und sich überall widerspiegelt: im Sport generell, in der Politik, in der Gesellschaft, in den Medien und der Berichterstattung.
Leider sind wir von einer verhältnismäßigen Athletenförderung für die Vorbilder des paralympischen Sports noch ähnlich weit entfernt wie von einer barrierefreien Öffentlichkeit oder selbstverständlicher Teilhabe. Die Förderung spiegelt bis heute nicht die Wirklichkeit des paralympischen Sports wider: zu wenig Budget für paralympische Athlet*innen, zu wenig (Förder-)Plätze, fehlende Fördermodule, zu viele Hürden und Regeln.
So kämpfen viele nicht nur um Medaillen, sondern auch darum, sich eine Karriere im Sport überhaupt leisten zu können. Und bei all diesen Kämpfen bleibt kaum Zeit, damit die paralympischen Athlet*innen dann auch noch ihre Vorbildwirkung entfalten können.
Dabei wäre das so wichtig, wie die Gegenwart und die häufig noch fehlende Präsenz des Para-Sports zeigt. Denn wer nur von Olympia spricht oder schreibt, verschweigt das drittgrößte Sportevent der Welt: die Paralympics. Das ist nicht nur bedauerlich, sondern auch ebenso unvollständig wie unverständlich.
In Paris rief Organisationschef Tony Estanguet nach Olympia die zweite Halbzeit aus – „die Revolution der Inklusion.“ Das betont passend: Olympische und Paralympische Spiele sind zwei gleiche Teile eines Ganzen. Die Paralympics – ebenso ein absolutes Sporthighlight wie gleichzeitig ein wichtiges Fest für eine vielfältige und tolerante Welt. Ein Motor der gesellschaftlichen Weiterentwicklung.
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