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Da geht’s lang: Verteidiger Dedryck Boyata hat in seiner Karriere schon einiges erlebt. Von seiner Erfahrung soll nun auch Hertha profitieren.

© Soeren Stache/dpa

Herthas Neuzugang aus dem Problemviertel: Dedryck Boyata hat den Biss

Herthas Neuzugang Dedryck Boyata kommt aus dem Brüsseler Problembezirk Moolenbeek. Dort lernte er, wie man sich durchsetzt.

Neuruppin - Wenn die Profis von Hertha BSC dieser Tage trainieren, ist es nicht leicht, den Überblick zu behalten. Neben allerhand Toren, Stäben, Hütchen und Aufstellern befinden sich inklusive Trainer- und Betreuerstab mehr als 30 Menschen auf dem Platz, der sonst vom Brandenburgligisten MSV Neuruppin bespielt wird. Genau wie unter Pal Dardai hat auch Ante Covic, der neue Cheftrainer des Berliner Fußball-Bundesligisten, wieder zahlreiche Akteure aus dem erweiterten Kader ins Trainingslager mitgenommen. Jeder darf mal vorspielen – oder wie es Covic formuliert: „Alle fangen bei Null an.“ Für einen Mann im Berliner Kader gilt das ganz besonders: für Dedryck Boyata, neben U-21-Nationalspieler Eduard Löwen bislang der einzige Zugang bei Hertha.

„Ich bin jetzt erst seit 72 Stunden bei der Mannschaft“, erzählt der Belgier auf der Sonnenterrasse des Teamhotels am Ruppiner See, „deshalb liegt die größte Herausforderung darin, alle Namen zu lernen und richtig abzuspeichern.“ Immerhin kann Boyata schon einen neuen Kollegen zweifelsfrei identifizieren: In der Akademie des englischen Erstligisten Manchester City hat er vor einigen Jahren mit Karim Rekik zusammengespielt. „Wir reden viel miteinander, nicht nur hier im Trainingslager“, sagt der 28-Jährige.

Im Moment kann Boyata jede Form der Starthilfe gebrauchen. Zwölf Jahre lang hat der belgische Nationalspieler – mit einer kurzen Unterbrechung – auf der britischen Insel sein Geld verdient; anfangs bei ManCity, später als Leihspieler bei den Bolton Wanderers und zuletzt beim schottischen Traditionsklub Celtic Glasgow. Neben 30 neuen Gesichtern muss er sich also auch mit einer neuen Sprache und einem neuen Land vertraut machen, erste Deutsch-Stunden hat er bereits genommen. Ganz oben auf der Agenda steht zunächst allerdings die Rückkehr auf den Fußballplatz. Ende März zog sich Boyata einen Muskelbündelriss im Oberschenkel zu, der ihn im Moment zu individuellen Einheiten zwingt.

„Nach so einer langen Verletzung lasse ich ihn lieber einen Tag länger draußen, obwohl er mit dem Herzen unbedingt aufs Feld will“, sagt Covic. „Am wichtigsten ist, dass er die Nähe des Teams spürt“, ergänzt der Trainer. Bislang gehe Boyata sehr professionell mit der Situation um, berichtet Covic. „Man merkt, dass er in seiner Karriere schon einiges gesehen und erlebt hat. Er ist kein 99er oder 2000er Jahrgang aus unserer Akademie.“ Nach den Abgängen von Fabian Lustenberger und Leihspieler Derrick Luckassen hoffen sie bei Hertha einen Innenverteidiger gefunden zu haben, der schnell helfen kann.

Dass sich der Belgier durchbeißen kann, hat er in seiner Karriere bewiesen. In seiner Jugend spielte Boyata für den FC Brüssel aus dem Vorort Moolenbeek. Der Stadtteil gilt gemeinhin als Problemviertel; nach den Terroranschlägen in Paris und Brüssel führte die Spur der Täter die Ermittler seinerzeit nach Moolenbeek. „Das war keine luxuriöse Nachbarschaft“, sagt Boyata. Andererseits gilt der Ort als Kaderschmiede des belgischen Fußballs: Vincent Kompany und Romelu Lukaku, zwei Leistungsträger des Nationalteams, sind dort unter anderem groß geworden. „In Moolenbeek spielt jeder Junge auf der Straße Fußball“, sagt Boyata. Für viele ist es die einzige Möglichkeit, der alltäglichen Tristesse, ja, der Perspektivlosigkeit zu entkommen.

Auch Boyata zog es in sehr jungen Jahren weg aus der Heimat. Bei einem internationalen Turnier wurden Scouts auf ihn aufmerksam, kurz darauf ging er im zarten Alter von 16 Jahren in die Jugendakademie von Manchester City. „Das war keine einfache Zeit, weil sich im Verein gerade so viel verändert hat“, sagt Boyata. Mit dem Einstieg eines Investors aus Abu Dhabi änderte sich die komplette Philosophie des Vereins: Geld spielte plötzlich keine Rolle mehr, ebensowenig die Entwicklung vielversprechender junger Spieler. Boyata landete in der Reservemannschaft und drehte als Leihspieler seine Runden, bis er 2015 schließlich bei Celtic Glasgow landete. In der schottischen Hauptstadt stieg der Sohn eines kongolesischen Vaters und einer belgischen Mutter zum Nationalspieler auf; bei der Fußball-WM 2018 kam er drei Mal über die volle Distanz zum Einsatz.

Für seine Zeit in Berlin hat sich Boyata vorgenommen, in der Bundesliga Fuß zu fassen und mit Hertha oben anzugreifen. „Hertha ist ein Klub mit großen Ambitionen“, sagt er. „Ich will nicht arrogant klingen“, ergänzt er, „aber ich traue mir zu, dabei mitzuhelfen.“ Christoph Dach

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