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Sport: Der Kampf der Alpha-Männchen

Der erbitterte Streit der deutschen Diskuswerfer erinnert an archaische Revierkämpfe

Berlin - Robert Harting sitzt in einem weichen Sessel und spielt mit einer Plastikflasche. Aber selbst im Sitzen wirkt alles noch mächtig an ihm. Die großen, dicken Finger, die Oberarme, die Oberschenkel, der Kopf mit den wenigen Haaren, ein Hüne von 2,02 Metern. Der Diskuswerfer Harting hat eine Vergangenheit als Diskoschläger, man kann sich vorstellen, wie einschüchternd er auf Gegner gewirkt hat. Deshalb fällt jetzt der Ton in seiner Stimme auf. Er passt nicht zu diesem Körper und zu der Geschichte von Harting. Fast weich sagt er: „Ich komme mit allen Diskuswerfern gut aus, nur mit den Deutschen nicht.“ Es klingt, als würde er sich den Kopf zermartern, was denn hier gespielt wird.

Robert Harting ist in den Kampf von Alpha-Männchen geraten, und er mischt mit. So lautet das Spiel. Man kann sich die deutschen Diskuswerfer wie Büffelbullen vorstellen, die mit ihren mächtigen Schädelplatten aufeinanderprallen und um die Vorherrschaft kämpfen. Robert Harting beleidigt seine Kollegen Michael Möllenbeck und Lars Riedel als Säufer und Egozentriker, Möllenbeck redet derzeit kein Wort mit Harting. Riedel mag Möllenbeck nicht, Diskus-Bundestrainer Jürgen Schult ist Intimfeind von Riedel, Harting hat den Trainer Schult im Zorn verlassen. Harting und Möllenbeck werfen heute beim Istaf, gut möglich, dass sie aneinander vorbei starren.

Die Öffentlichkeit bekommt diese Rangkämpfe mit, weil die starken Männer reihenweise Medaillen holen. Riedel ist Olympiasieger und fünffacher Weltmeister, Harting Vize-Weltmeister, Möllenbeck WM-Dritter und seit Jahren in der deutschen Spitze, Schult hält immer noch den Weltrekord mit 74,08 Metern. Es geht natürlich um Hierarchien und Respekt, im Hochleistungssport wird immer nach Ergebnissen kategorisiert. Die Zahl der Erfolge bestimmt den Stellenwert. Aber bei Kraftdisziplinen wie dem Diskuswerfen bekommen Männlichkeitsrituale noch eine besondere Bedeutung. Hier kämpfen Hünen mit mächtigen Muskeln, Männer, die archaisch ihre reine Kraft als sportliche Waffe haben.

Harting ist eigentlich erst seit 2007 in diesem Klub, seit er WM-Silber gewann. Damit ist er in die Weltspitze aufgestiegen, die anderen Alpha-Männer witterten einen neuen Eindringling. Jetzt hat Harting 67,63 Meter geworfen, damit hat er den verletzungsanfälligen Riedel und den alternden Möllenbeck derzeit übertroffen. Aber er ist immer noch erst 23 Jahre alt, was erlaubt er sich? „Ich bin seit 20 Jahren eine Größe der deutschen Leichtathletik“, empört sich Möllenbeck. „Nun kommt einer und riskiert nach seinem ersten Erfolg solche Worte.“

Harting hat sich öffentlich entschuldigt, er hat Möllenbeck auch eine E-Mail geschrieben, auf die der erstmal nicht reagierte. Die Entschuldigungen sind erst mal selbstverständlich. Aber Harting unterwirft sich dabei auch den unausgesprochenen Regeln dieses Hierarchiekampfs. „Ich bin der Jüngste. Hätte meine Sprüche ein Älterer über mich gemacht, dann hätte ich das hinnehmen müssen. Einfach, weil ich der Jüngere bin.“

Hätte er natürlich nicht, aber Harting sagt: „Ich bin so von den anderen erzogen worden.“ Als er 2003 zum ersten Mal gemeinsam mit Riedel und Möllenbeck im Trainingslager war, ließen sie ihn links liegen. Und als er Riedel schüchtern um Tipps bat, da entgegnete der Weltmeister schroff: „Verrückt, oder was? Ich gebe Konkurrenten doch keine Tipps.“ Wenn er auf Möllenbeck zugehe, sagte Harting schon 2007, „ist da von ihm eine Sperre“.

Es gibt keine Täter und keine Opfer in diesen Kämpfen, nur Männer, die sich inszenieren. Möllenbeck brüstete sich, dass er trinke, Riedel beschwerte sich einmal beim Istaf, weil ihm die Limousine, die ihn am Flughafen abholen sollte, zu klein war, Harting beschimpft die anderen.

Andererseits wissen alle, dass sie voneinander abhängig sind, das steigert vermutlich noch die Aggressivität. Riedel sorgte mit seiner Popularität dafür, dass Diskuswerfen in diversen Meetings überhaupt aufgenommen wurde. So kamen Möllenbeck und Schult zu zusätzlichen Antrittsgagen. Und selbst ein angeschlagener Riedel würde im Moment wohl noch mehr Zuschauer locken als Harting.

Der Vize-Weltmeister findet das „ alles traurig. Aber ich bin sicher, dass sich das in nächster Zeit verbessern wird.“ Deshalb möchte er sich mit Möllenbeck mal „auf ein Bier treffen“. Doch wenn er heute auch noch besser wirft als der andere, wird daraus wohl erstmal nichts.

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