Sport: Der Komplizierte tritt ab
Eine internationale Karriere endet: Brustschwimmer Mark Warnecke verpasst das WM-Finale
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Dienstagnacht, um 3.51 Uhr, hat Mark Warnecke eine SMS an seinen Trainer gesendet. Um 6.50 Uhr las Horst Melzer: „Kriege kein Auge zu.“ Als Warnecke rund vier Stunden später vom Startblock sprang, hatte er bis dahin keine Minute geschlafen. 28,28 Sekunden später war die internationale Karriere des Brustschwimmers Warnecke beendet. Der 37-Jährige hätte nur drei Hundertstelsekunden schneller anschlagen müssen, dann wäre er in Melbourne ins Halbfinale über 50 Meter Brust gekommen. Dann hätte er seine Pflicht erfüllt. Mark Warnecke war Titelverteidiger.
Aber nun nestelte er am Reißverschluss seiner Trainingsjacke und sagte, was gerade fast alle deutschen Schwimmer sagen. Wie gut er doch noch am Montag drauf war, wie mies er sich beim Start gefühlt hat, wie wenig er das Ergebnis erklären kann. Warnecke lieferte die Standardsprüche, aber diesmal war etwas anders als sonst. Wehmut lag in der schwülen Luft. Mark Warnecke tritt ab von der großen Bühne. Er war eine der wenige Persönlichkeiten des internationalen Schwimmens. Ganz unten war Warnecke, als er 2004 mit 118 Kilogramm Körpergewicht die Olympiaqualifikation verpasste. Ganz oben war er ein Jahr später, als er – 23 Kilogramm leichter – Weltmeister über 50 Meter Brust wurde. Mit 35 war er der älteste Weltmeister der Schwimmgeschichte. Der Titel war seine Rache „an allen, die über mich gelacht haben“, sagt er.
Vielleicht gab es in 20 Jahren keinen komplizierteren Schwimmer in Deutschland als Warnecke. „Ihn zu betreuen, bedeutet übersetzt, 20 normale Athleten zu trainieren“, sagt Melzer. Warneckes Unzuverlässigkeit trieb ihn zur Weißglut. Einmal wollte Warnecke unbedingt kurz vor Weihnachten ein Training abhalten. Melzer wartete allein in der Halle. Als er Warnecke am Handy hatte, hörte er Motorenlärm. Er war auf dem Weg zum Nürburgring. Denn der Weltklasse-Brustschwimmer war auch Rennfahrer. Manchmal sprang er bei Meisterschaften am Freitag ins Wasser, fuhr am Samstag Autorennen und schwamm am Sonntag wieder. Nebenbei studierte er Medizin und machte seinen Facharzt.
Andererseits gibt es weltweit kaum einen technisch besseren Schwimmer als Warnecke, und wenige haben so viel Potenzial. Das führte Melzer wieder mit dem Schwimmer zusammen. Warnecke hatte 2001 auf dem Rückflug von der Kurzbahn-EM seinem verblüfften Trainer die Trennung mitgeteilt. Er verließ auch seinen Klub SG Essen, wollte aber in Essen weitertrainieren. Melzer, im Hauptberuf Sportdezernent der Stadt Essen, verfügte, dass Warnecke Eintritt zahlen musste. 18 Monate später kehrte Warnecke reumütig zu seinem Trainer zurück. Seither nehmen sie gegenseitig mehr Rücksicht. Eine andere Möglichkeit hätte es in den letzten Jahren nicht gegeben. Das Leben des Mark Warnecke wurde noch hektischer. Er entwickelte mit einem Experten ein Diätpulver, mit dem Sportler abnehmen können, ohne dass auch ihre Muskeln schwinden. Das Pulver wurde zum Verkaufsschlager, Warnecke stieg zum Unternehmer auf. Er schrieb ein Kochbuch, startete ein Projekt mit den Vivantes-Kliniken in Berlin.
Für Warnecke ging es in Melbourne um einen Finalplatz. Nicht um mehr. Dazu hat er nicht genug trainiert. Aber jetzt sagt Warnecke: „Klar bin ich enttäuscht. Aber ich habe viel Spaß gehabt im Sport, diese Erinnerung nehme ich mit.“ Warnecke wird noch bei den Deutschen Meisterschaften in zwei Wochen in Berlin starten. Und dann? Dann, hofft Melzer, hält sein Athlet noch bis November durch. Da finden in Essen die Deutschen Kurzbahn-Meisterschaften statt. Denn dort, sagt Melzer, „gebe ich eine Riesenabschiedsparty für Mark“.
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