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Deutsches Bobteam testet umstrittene Olympiabahn: „Was wir in Cortina sehen, ist einzigartig“
Nach Kritik an Kosten und Umweltbelastungen entstand die Bobbahn in Cortina in Rekordzeit. Ganz anders als am Königssee, wo es mit dem Wiederaufbau einfach nicht vorwärtsgehen will.
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Die deutschen Bobsportlerinnen und -sportler wirkten am Mittwochvormittag ein wenig wie Kinder, die kurz davor sind, endlich ihre Geburtstagsgeschenke auszupacken.
Aufgeregt und voller Vorfreude fieberten sie beim Media Day des Bob- und Schlittenverbandes für Deutschland (BSD) in Ismaning bei München der Abreise nach Cortina d’Ampezzo entgegen, wo sie dann noch am Abend zum ersten Mal die Olympiabahn betreten durften. Am Donnerstag folgte die Premierenfahrt.
„Genau das macht das Bobfahren für mich so speziell“, sagt Johannes Lochner, der nach zwei olympischen Silbermedaillen seinen ersten Triumph anpeilt. „Ich wäre unfassbar gerne Rennfahrer geworden, aber den ganzen Tag auf derselben Runde zu fahren, wäre mir zu öde. Wenn du aber auf eine neue Bobbahn kommst, ist es eine besondere Herausforderung, sich das in kürzester Zeit zu erarbeiten.“
Während Lochner und viele seiner Kolleginnen und Kollegen die meisten Eiskanäle fast im Schlaf herunterfahren könnten, müssen sie in den kommenden Tagen bis zum ersten Weltcup des Winters in Cortina (17. bis 23. November) erst noch eine gute Fahrlinie finden. „Man steht manchmal mehrere Stunden an einer Kurve und schaut, wie andere Bobs fahren, um physikalisch die beste Linie herauszufinden und die schnellste Fahrt ins Eis zu bringen“, sagt der Berchtesgadener.
Heftige Kritik am Neubau der Bobbahn
Dass die Vorfreude bei allen Beteiligten geradezu überschäumend ist, liegt auch daran, dass der Bau dieser Bobbahn mit erheblichen Nebengeräuschen verbunden war. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) lehnte das Projekt zunächst grundsätzlich ab. Neben den Kosten, die inzwischen bei rund 120 Millionen Euro liegen sollen, bedeutet ein solches Projekt immer auch eine Belastung für Natur und Umwelt.
Doch die italienische Regierung forcierte den Bau als Prestigeobjekt. Die mögliche Verlagerung olympischer Wettkämpfe ins Ausland wurde als großer Makel gesehen. „Es war der politische Wille der Region Venetien und des italienischen Staats, auf dem Bau der Bobbahn zu beharren“, sagte Luigi Casanova von der Umweltorganisation „Mountain Wilderness“ der ARD.
Es wäre der schlechteste Fall gewesen, wenn die Wettkämpfe 6000 Kilometer entfernt stattgefunden hätten.
Thomas Schwab, Vorstandsvorsitzender des Bob-und Schlittenverbandes, über die Idee, die Rennen in Lake Placid auszurichten.
Und auch nach dem Baubeginn wurden die Zweifel nicht gerade kleiner. Denn ein solches Infrastrukturprojekt in so kurzer Zeit zu stemmen, gilt als große Herausforderung. Auch wenn es im Umfeld „wie auf einer Großbaustelle aussieht“, wie Rodler Felix Loch jüngst erlebt hat, ist der Eiskanal seit dem Frühjahr fertig und schon umfassend getestet worden – unter anderem vom deutschen Rodelteam.
Thomas Schwab, Vorstandsvorsitzender des BSD, war als Mitglied der Bobbahn-Kommission des Weltverbandes intensiv an der Entstehung der Bahnen in Pyeongchang (2018), Peking (2022) und eben jetzt in Cortina beteiligt. Er sagt: „Was wir in Cortina sehen, ist einzigartig. Niemand hätte geglaubt, dass man eine Bobbahn in so einer kurzen Zeit bauen kann.“ Auch er habe anfangs erhebliche Zweifel gehabt. „Der politische Wille war sehr wichtig an dieser Stelle.“
Bahn am Königssee ist weiter nicht nutzbar
Für den Sport sowie die Athletinnen und Athleten, die bei Olympischen Spielen Medaillen in Serie gewinnen, wäre es „der schlechteste Fall gewesen, wenn die Wettkämpfe 6000 Kilometer entfernt stattgefunden hätten“, sagt Schwab. Lake Placid in den Vereinigten Staaten zählte eine Zeit lang zu den Alternativen.
Zu der Kritik, dass der Schlittensport große Kosten verursacht und eine solche Bahn ebenfalls mit Auswirkungen auf die Natur verbunden ist, sagt er: „Das ist beim Bau vieler Sportstätten leider so, im Sommer wie im Winter. In China war der Eingriff in die Natur beim alpinen Sport weitaus gravierender als bei der Bobbahn.“ Er ist überzeugt davon, dass diese Bahn auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten umfassend genutzt werden kann.
Zu gerne würden alle, die mit dem Schlittensport in Deutschland verbunden sind, sehen, dass auch die Bobbahn am Königssee genutzt wird. Im Juli 2021 wurde diese bei einem Unwetter durch Muren und Hochwasser fast vollständig zerstört – und der Wiederaufbau zieht sich.

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„Ich hätte nie damit gerechnet, dass wir fünf Winter ohne Eis am Königssee sind“, sagt Schwab. „Wenn man nach Cortina blickt, wo eine komplette Bahn in zehn Monaten entsteht, und wir haben noch nicht mal die erste Kurve betoniert nach fünf Jahren, dann sieht man einfach, wie groß die Hürden in Deutschland sind.“
Bobpilot Lochner wohnt nur wenige Minuten von der Bobbahn entfernt. Auch als Handwerker, der nach den Olympischen Spielen seine sportliche Karriere beenden wird, um noch intensiver in den familiären Elektronikbetrieb einzusteigen, verfolgt er den Prozess „mit Wut, Trauer und Unverständnis“.
Man könne „einfach oft nur den Kopf schütteln“, sagt Lochner. „Man fragt sich, wer sich solche Regularien ausdenkt, dass das alles so langwierig und kompliziert wird. Du hast genehmigtes Geld, Firmen, die das machen wollen, aber es gibt immer ein Problem und auf einmal vergehen fünf Jahre.“
In den kommenden Tagen allerdings machen sich Lochner sowie seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter keine Gedanken über den Königssee. Es geht ausschließlich darum, die perfekte Linie in Cortina zu finden, um ähnlich erfolgreich abzuschneiden wie 2022 in Peking, als der Verband 15 Medaillen verbuchen konnte.
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