Sport: Die andere Niederlage
Hertha BSC spielt gegen Cottbus sehr dominant, macht fast alles richtig – und verliert doch schon wieder
Stand:
Berlin - Christian Fiedler sah nicht gut aus: das Gesicht gerötet, der Blick glasig. „Ich muss erst mal ein bisschen zu mir kommen“, sagte Herthas Torhüter. Im Grunde hatte die gesamte Mannschaft noch Schwierigkeiten, den Weg zurück in die Realität zu finden. Doch während die meisten Berliner vor allem unter den psychischen Folgen der eigentlich unerklärlichen 0:1-Niederlage gegen den FC Energie Cottbus litten, hatte Fiedlers Orientierungslosigkeit ausschließlich körperliche Ursachen. In der Nachspielzeit hatte der Torhüter einen Schuss des Chinesen Jiayi Shao mit dem Gesicht gestoppt und dadurch das 0:2 verhindert. Fiedler war kurz benommen, er taumelte und lieferte damit das treffende Bild zu diesem Abend, an dem Hertha erneut einen schweren Schlag hatte einstecken müssen.
Die Niederlage, Herthas sechste im siebten Pflichtspiel, passt in die aktuelle Entwicklung. Es war eben – eine Niederlage. Und doch hinterließ sie einen ganz anderen Eindruck als all die anderen Misserfolge. „Die Leistung der Mannschaft ist nicht zu kritisieren“, sagte Manager Dieter Hoeneß. Hertha spielte auffallend dominant, 66 Prozent Ballbesitz wies die Statistik für die Berliner auf. „Kämpferisch hervorragend“, fand Hoeneß Herthas Auftritt, er wollte sogar „teilweise Traumfußball“ gesehen haben. Obwohl die Cottbuser vor ihrem Strafraum zwei nahezu undurchdringliche Ketten aufgebaut hatten, erspielten sich die Berliner eine ganze Reihe echter Chancen. „Wir haben alles dabeigehabt“, sagte Trainer Falko Götz.
Und trotz ihrer offensiven Entschlossenheit entblößten die Berliner sich hinten nie so sehr, dass der Gegner sie freudig auskontern konnte. Der in der ersten Halbzeit unterbeschäftigte Christian Fiedler kam in der Pause schon nach fünf Minuten wieder aus der Kabine, um sich von Torwarttrainer Enver Maric warm schießen zu lassen. Es war bittere Ironie, dass der erste Ball, den Fiedler dann in der zweiten Halbzeit aufs Tor bekam, unhaltbar war und die Cottbuser 1:0 in Führung brachte. Aber mit bitterer Ironie kennt sich Hertha inzwischen ja bestens aus.
„Es gibt Zeiten, da läuft überhaupt nichts“, sagte Stürmer Christian Gimenez. „Bei uns ist das gerade so.“ Paradoxerweise hat sich die Krise des Berliner Fußball-Bundesligisten durch die Niederlage weiter verschärft; nach deren Zustandekommen und der Darbietung der Mannschaft aber verbietet sich lautes Krisengeheule eigentlich. „Man hat gesehen, dass wir aktiv daran arbeiten, diese Serie zu beenden“, sagte Trainer Götz. Und obwohl die jüngsten Ergebnisse nicht dazu geführt hätten, „dass wir Selbstvertrauen produzieren“, machte Hertha nicht den Eindruck eines zutiefst verunsicherten Ensembles. Die spannende Frage wird nun allerdings sein, wie Herthas Spieler das neue Misserfolgserlebnis verarbeiten: Ziehen sie wirklich Zuversicht aus ihrem spielerischen Auftritt? Oder treibt sie das Ergebnis erst recht in die Selbstzweifel: Wenn wir so spielen und trotzdem verlieren, was sollen wir denn dann noch machen? „Wir müssen die Mannschaft jetzt einfach stärken“, sagte Manager Hoeneß. „Da müssen wir nun durch, dann werden wir auch wieder belohnt.“
In der Tabelle bildet Hertha jetzt den Abschluss jener Oberschicht, die bisher ein recht luxuriöses Leben ohne Existenzangst führen konnte. In der Bundesliga gibt es zwei Parallelwelten ohne gemeinsame Berührungspunkte, doch das kann sich schon am nächsten Spieltag ändern. Das Prekariat rückt näher an die Berliner heran. „So verrückt ist die Bundesliga, dass man innerhalb von einer Woche von Platz 14 auf Platz neun schnippen kann“, sagte Energies Trainer Petrik Sander am Freitagabend. Cottbus (31) liegt nach dem Sieg nur noch drei Punkte hinter Hertha (34), am Samstag pirschten sich auch Aachen (33) und Wolfsburg (32) gefährlich nahe an die Berliner heran.
„Wir ignorieren es nicht“, sagte Falko Götz über die Tabellensituation, bei sieben Punkten Vorsprung vor einem Abstiegsplatz müsse Hertha allerdings „noch nicht so nach unten schauen“. Manager Dieter Hoeneß wurde gefragt, ob die Mannschaft noch in den Abstiegskampf rutschen könne. „Wenn wir kein Spiel mehr gewinnen würden, kann man da unten reinrutschen“, sagte er. Aber von acht Spielen keins mehr zu gewinnen – das schafft wohl selbst Hertha nicht.
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