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Sport: „Die Fifa ist großzügig“

Generalsekretär Linsi über knappe Tickets, schlechte Stimmung und das Image des Fußball-Weltverbands

Herr Linsi, was ist gut an der Fifa?

Wir fördern den Fußball und tragen Sorge für ihn. Und wir sind großzügig. In der Fifa gelten das Leistungs- und das Solidaritätsprinzip. Nehmen Sie die Weltmeisterschaft: Zum einen schütten wir an die 32 Mannschaften 235 Millionen Euro an Prämien und Entschädigungen aus. Zum anderen fließt ein Drittel der Einnahmen in Entwicklungsprojekte. So entwickelt sich der Fußball auch in den Ländern, die nicht qualifiziert sind. In den europäischen Ligen, auch in der Bundesliga, spielen Talente aus aller Welt. Ich bin Schweizer und habe jeden Samstag mit Borussia Dortmund gefiebert, als dort Stéphane Chapuisat spielte. Das ist nur möglich, weil die Fifa eine solidarische Gemeinschaft ist.

In Deutschland hat die Fifa das Image, ein undemokratischer Verein zu sein, der sich mit Hilfe der WM bereichert. Städte und Stadien werden nach Fifa-Regeln gestaltet, ein Heer von Anwälten versucht, den Begriff „WM 2006“ zu schützen.

Im Pflichtenheft zur Bewerbung für eine WM sind die Voraussetzungen klar dargelegt. Die WM ist nun mal eine internationale Veranstaltung, keine deutsche. Und es ist klar, dass wir ein Unternehmen sind, das sich international behaupten muss. Exklusive Rechte können wir nur verkaufen, wenn wir unsere Sponsoren schützen. Diese Sponsoren tragen maßgeblich dazu bei, dass eine WM stattfinden kann. Es gibt eine Umfrage von „Sport + Markt“, nach der in Deutschland 70 Prozent die Fifa als positive Organisation einschätzen. Das hätten Sie sicher nicht gedacht?

Nein.

Ich verstehe die Deutschen nicht. In Berlin wird der größte Fernbahnhof Europas zur WM fertiggestellt. Es wurden neue Straßen gebaut, Verkehrsleitsysteme, Stadien, Hotels. Unmögliches wurde möglich gemacht. Aber in Deutschland wird viel kritisiert. Die Deutschen haben allen Grund, auf das Geleistete stolz zu sein. Warum fragt man immer, was nicht funktioniert? Auch bei einer WM wird nicht alles perfekt laufen, es kann mal Probleme oder Staus geben. Das ist doch normal.

Fifa-Präsident Joseph Blatter hat selbst gesagt, dass bei den deutschen Organisatoren die rote Lampe leuchtet. Brennt sie immer noch?

Er hat das im Dezember 2005 in Bezug auf die Sicherheit der Stadien gesagt, die Debatte ist erledigt. Jetzt macht uns ein anderes Problem Sorgen: die Tickets. Das liegt auch in der Natur der Sache: In der dritten Verkaufsphase lagen sechs Millionen Bestellungen für 280 000 Karten vor. Viele Fans sind wütend. Wenn wir das Problem lösen wollen, müssten wir ein Stadion für 1,4 Millionen Menschen bauen.

Bei der nächsten WM 2010 in Südafrika wird die Fifa den Ticketverkauf wieder selbst organisieren. Sind Sie unzufrieden mit den deutschen Organisatoren?

Das Organisationskomitee hat mit den besten Absichten gehandelt. Um den Schwarzmarkt einzudämmen, wurde auf jeder Eintrittskarte ein Chip mit persönlichen Daten des Käufers integriert. Damit begann der Ärger. Die Sicherheitskräfte wollen von jedem Besucher wissen, wer er ist und wo er sitzt. Doch die Datenschützer haben dagegen geklagt und Kompromisse erzwungen. Die absolute Kontrolle der Zuschauer ist im Fußball neu. Sie entspricht nicht der Mentalität der Fans. Ich habe folgende Lehre gezogen: So viele Daten wie die Deutschen werden wir beim nächsten Turnier nicht speichern.

Geht damit nicht Transparenz verloren? In Trinidad und Tobago hat Fifa-Vizepräsident Jack Warner WM-Tickets an sein eigenes Reisebüro gegeben. Das bot die Karten nur in überteuerten Reisepaketen an.

Jack Warner war bei uns in Zürich und hat sich bei der Ethikkommission der Fifa erklären müssen. Er hat sich danach aus der Firma zurückgezogen. Dieser Interessenkonflikt besteht nicht mehr.

Immer wieder gibt es schlechte Nachrichten von der Fifa. So haben Sie die WM-Eröffnungsgala in Berlin überraschend abgesagt. Was war der wirkliche Grund dafür?

Der Rasen im Olympiastadion. Die Gala von André Heller erforderte gewaltige Auf- und Abbauten. Wir wollten das Risiko abfedern, haben das erste Spiel um einen Tag nach hinten auf den 13. Juni, die Gala einen Tag nach vorne auf den 7. Juni verlegt. Aber dann kamen kritische Stimmen, dass die Zeit zum Austausch des Rasens nicht reicht.

Von wem?

Unter anderem von den Mannschaften, die von dem ersten Spiel in Berlin betroffen waren…

…also Brasilien und Kroatien.

Ja, neben anderen haben diese Verbände ihre Besorgnis geäußert. Die Brasilianer wollen ja auch im Stadion trainieren. Hinzu kam, dass das deutsche Organisationskomitee festgestellt hat: Wenn das Wetter gut ist, gibt es keine Probleme. Aber wie sieht es aus, wenn es regnet und der neue Rasen nicht verlegt werden kann?

Jetzt redet sich die Fifa mit Regen heraus.

Nein, es geht um eine allgemeine Frage: Machen wir Fußball oder Entertainment? Und klar ist: Die Fifa organisiert Fußball. Die Gala wäre eine hervorragende Zugabe gewesen, da liegt mein Herzblut drin. Aber wir haben uns getäuscht. Es tut mir leid für Berlin.

Empfinden Sie die Absage der Gala als persönliche Niederlage?

Ich bin Generalsekretär der Fifa, der Sport muss für mich Priorität haben. Es ist eine Niederlage in Bezug auf die Tausenden Freiwilligen, die sich monatelang vorbereitet haben.

Finden Sie einen Fußball als Trostgeschenk angemessen?

Wir wollten uns bei jedem Einzelnen entschuldigen. Und das authentischste Symbol, das wir haben, ist ein Fußball. Wenn Sie alle in ein Zirkuszelt einladen, ist das nicht so persönlich.

Wann haben Sie davon erfahren, dass die Gala abgesagt wird?

Im Januar. Wir haben die Beteiligten eingeladen und gesagt, dass es ernsthafte Probleme gibt. Wir haben einen Aufhebungsvertrag mit André Heller unterzeichnet. Der ist anständig, korrekt. Die Kommunikation wurde für uns schwierig, weil der Entscheid durchsickerte. Ich kam am Abend nach der Sitzung nach Hause, da hatte meine Frau schon aus dem Fernsehen von der Absage erfahren.

Hat Ihre Frau auch schon gehört, dass Ihr Einfluss in der Fifa schwindet, Herr Linsi?

Es wird viel geschrieben, wenn der Tag lang ist. Ich habe gelernt, im Heute zu leben, nicht im Gestern, nicht im Morgen.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Herrn Blatter?

Ausgezeichnet. Warum?

Sie sollen ihn darum gebeten haben, Ihren Stellvertreter Jerome Champagne zu entlassen. Stattdessen wurde er an ihnen vorbei befördert und ist nun Blatter direkt unterstellt.

Ich kann nur sagen, dass ich verantwortlich für das Generalsekretariat bin. Hier arbeiten wir gut miteinander, und Herr Blatter und Herr Champagne arbeiten bei anderen Projekten gut zusammen. In manchen Projekten arbeiten wir alle gemeinsam. Jeder in der Fifa hat sein Aufgabengebiet. Für mich ist das Problem gelöst.

Haben Sie die Abberufung von Herrn Champagne gefordert oder nicht?

In jeder Firma gibt es Interna, und die müssen intern bleiben. Ich halte mich an die Spielregeln. Mehr sage ich dazu nicht.

Gut, ein anderes Thema: Im Zusammenhang mit der Pleite des Fifa-Vermarkters ISL/ISMM im Jahr 2001 hat es im vergangenen November eine Hausdurchsuchung der Staatsanwaltschaft Zug bei der Fifa gegeben. Es geht um möglicherweise veruntreutes Geld, und ausgerechnet in den Büros von Ihnen und Herrn Blatter wurde nach Beweisen gesucht.

Mein Gewissen ist rein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass etwas gefunden wurde, das den Interessen der Fifa zuwider liefe. Aus unserer Sicht war die Durchsuchung unangemessen und ungerecht.

Warum?

Ein Jahr vor der WM 2002 brach die ISL zusammen, danach wurde uns die Versicherung gekündigt, und wenige Monate vor WM-Beginn ging Kirch in die Insolvenz. Wir standen vor dem Problem, einen Großteil unserer Einnahmen auf einen Schlag zu verlieren. Wir mussten die Rechte selbst vermarkten und eine WM auf die Beine stellen. Das haben wir geschafft. Wir haben jede Rechnung pünktlich bezahlt. Mehr kann ich zu einem laufenden Verfahren nicht sagen.

In einem Bericht der Staatsanwaltschaft Zug ist davon die Rede, dass ein Belastungszeuge über „Zuwendungen an Persönlichkeiten und Entscheidungsträger des Weltsports“ aussagen wollte. Können Sie ausschließen, dass sich Mitglieder der Fifa haben schmieren lassen?

Ich unterschreibe jedes Jahr die Bilanz und die Erfolgsrechnung. Ich mache das mit Stolz und aus voller Überzeugung. Ich lege für jeden Vorgang seit dem 1. Juli 1999 die Hand ins Feuer. Aber letztlich kann ich nur mein eigenes Verhalten beurteilen.

Sie haben einmal gesagt, Sie wollten sich bei der Fifa pensionieren lassen. Haben Sie immer noch Spaß an Ihrem Job?

Für alle, die den Fußball lieben, gibt es auf der Welt nichts Schöneres, als bei der Fifa zu arbeiten. Das ist ein Geschenk. Ich genieße es, so lange ich darf.

Das Gespräch führte Robert Ide.

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