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Gesprächsbedarf. Bei den Füchsen Berlin hakte es in dieser Saison an vielen Ecken und Enden. Am Sonntag geht es für die Berliner um die Europapokal-Qualifikation.

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Nach dem Ende der Handball-Saison: Die Füchse Berlin stehen am Scheideweg

Die Füchse Berlin sind mit hohen Erwartungen in die Saison gestartet - und zitterten sich zur Europapokal-Teilnahme. Warum eigentlich? Eine Analyse.

In seinen vier Jahren als Handball- Profi der Füchse Berlin hat sich Bjarki Mar Elisson nichts, aber auch gar nichts zu Schulden kommen lassen. Der 29-Jährige, ein junger Familienvater, verkörperte das Bild des isländischen Sportlers wie ein hauptberuflicher Botschafter. Elisson war stets zurückhaltend und doch kommunikativ, nett und doch extrem ehrgeizig; obendrein verlor er nie ein böses Wort – bis zu jenem Abend des 18. Mai 2019.

Nach der Niederlage im Finale des EHF-Pokals gegen den THW Kiel sollte Elisson ausführen, wie er die Füchse Berlin perspektivisch aufgestellt sieht. Das übliche Prozedere auf der Pressekonferenz wären ein paar warme, diplomatische Worte gewesen. Im Eifer des Gefechts entschied sich Elisson, der in diesem Sommer zum TBV Lemgo wechselt, allerdings für das exakte Gegenteil. „Ehrlich gesagt interessiert mich die Zukunft der Füchse nicht, weil ich bald kein Mitglied dieses Vereins mehr sein werde“, sagte der Linksaußen. Es war ein Satz, der aufhorchen ließ – weil er nur bedingt zum Narrativ des Vereins passte. Manager Bob Hanning betont gern, dass er bisher noch mit jedem Spieler im Guten auseinandergegangen sei – egal, was vorher passiert ist.

Elissons kurze Wutrede war der vielleicht offensichtlichste Beleg für die zwischenmenschlichen Differenzen, die im Verlauf der Spielzeit 2018/19 aus dem Lager der Füchse-Profis zu Tage gefördert wurden. Wenn selbst der sonst so höfliche Isländer öffentlich aus der Haut fährt, wie muss es dann erst hinter den Kulissen zugegangen sein? Zwar konnten die Berliner ihre Dissonanzen weitestgehend kaschieren, Sätze wie der von Elisson waren eher die Ausnahme als die Regel.

Trotzdem färbten die Unstimmigkeiten auf die sportlichen Resultate ab: Vor dem letzten Heimspiel der Saison gegen Wetzlar am Sonntag, das die Füchse knapp verloren, waren die mit extrem hohen Erwartungen gestarteten Berliner noch nicht mal sicher für den Europapokal qualifiziert. Im Gegensatz zu den Hessen, die ihr Saisonziel bereits erreicht hatten und gerade von einer Mannschaftsfahrt aus Mallorca zurückgekehrt sind, hatten die Füchse-Profis noch einmal richtig Druck, bevor sie sich nun in den Urlaub und eine richtungsweisende Sommerpause verabschieden dürfen.

"Wenn wir Europa nicht schaffen, ist es ein verlorenes Jahr"

Wenn wir es nicht nach Europa schaffen sollten, wäre es ein verlorenes Jahr, keine Frage“, sagt Manager Hanning. In diesem konkreten Fall hätte es auch für Trainer Velimir Petkovic eng werden dürfeb, der einen bis 2020 gültigen Vertrag besitzt. Nun aber hat Petkovic die vor der Saison vereinbarten Vorgaben auf dem Papier erfüllt: die Füchse qualifizierten sich erstmals nach vier Jahren wieder für das Finalturnier um den DHB-Pokal und scheiterten in Hamburg am späteren Sieger THW Kiel, darüber hinaus zogen sie zum dritten Mal in Folge ins Endspiel um den EHF-Pokal ein und verloren dort, genau: erneut gegen den THW Kiel.

„Das ist wirklich keine Schande. Gegen diese Mannschaft darf man verlieren – auch zwei Mal“, sagt Hanning. „Aber uns ist natürlich bewusst, dass es eine zweite, eine negativere Lesart für die letzten Monate gibt“, räumt der Manager ein. Auch dafür existieren stichhaltige Beweise, etwa der Umstand, dass die Füchse in dieser Saison 15 ihrer 34 Bundesliga-Spiele verloren haben. Zum Vergleich: In den Spielzeiten 2016/17 und 2017/18 kassierten sie zusammen zwölf Niederlagen. Oder anders ausgedrückt: Vor einem Jahr betrug der Rückstand auf Meister Flensburg am Saisonende drei Punkte, in diesem Jahr sind es 26 Punkte. Wo liegt also die Wahrheit?

Eine Saison, zwei Lesarten

Bei dieser Frage kann sich nicht mal Manager Hanning festlegen. „Es gibt Tage, an denen ich morgens aufstehe und mir denke: Was wollen die Kritiker eigentlich von uns? Wir haben eine ordentliche Saison gespielt“, sagt er. „Und dann gibt es wieder Tage, an denen ich darüber nachdenken muss, wie oft wir vor allem in der Bundesliga verloren haben – nämlich viel zu oft für unsere Ansprüche.“ Dass die Berliner zwischenzeitlich von beispiellosem Verletzungspech heimgesucht wurden, will Hanning nicht als Entschuldigung durchgehen lassen. Nach der Teilnahme an der Vereinsweltmeisterschaft in Doha Ende Oktober umfasste der Kader von Coach Petkovic zehn zum Teil schwer verletzte Spieler und lediglich acht gesunde.

„So etwas habe ich noch nicht erlebt – und ich habe schon viel erlebt“, sagt der 62-Jährige. Seltsamerweise vermittelten die Füchse in Abwesenheit zahlreicher Stamm- und Nationalspieler stets den Eindruck, dass da eine homogene, in sich funktionierende Mannschaft auf dem Feld steht. „Wir sind in dieser Phase wirklich eng zusammengerückt“, sagt Petkovic. In der Rückrunde, als viele Verletzte längst wieder zurück waren, fehlte diese Geschlossenheit dagegen: Vor dem Halbfinale im DHB-Pokal sollen Teile der Mannschaft bei Hanning vorstellig geworden sein, um gegen Petkovic zu intervenieren. „Zum Glück ist es bei uns nicht so, dass die Spieler die Personalpolitik machen“, sagt Hanning darauf angesprochen.

Einige der Transfers saßen nicht

Transfers und Verträge, Entlassungen und Verlängerungen – das sind seine Zuständigkeitsbereiche. Deshalb muss sich der Manager auch den Kritikpunkt gefallen lassen, zuletzt nicht immer richtig mit seinen Entscheidungen gelegen zu haben. In den ersten Jahren nach dem Wiederaufstieg in die Bundesliga war ja im Grunde jeder Transfer Hannings ein Volltreffer; selbst die Verpflichtung des spanischen Handball-Vorruheständlers Iker Romero, für die die Füchse zunächst belächelt wurden, erwies sich als goldrichtig.

Zuletzt war Hannings Quote nicht mehr so verlässlich: Der Tunesier Wael Jallouz, als spontane Reaktion auf die vielen Verletzten verpflichtet, konnte die Erwartungen in seine Person ebensowenig erfüllen wie andere Spieler vor ihm: Erik Schmidt etwa, der im Sommer nach Magdeburg weiterzieht, war nie der Spieler, der 2016 als Mitglied der „Bad Boys“ unter dem ehemaligen Füchse-Trainer Dagur Sigurdsson die Europameisterschaft mit der Nationalmannschaft gewann. Und Torhüter Malte Semisch, vor einem Jahr aus Hannover gekommen und künftig in Minden unter Vertrag, konnte nicht in die – zugegeben großen – Fußstapfen von Vereinslegende Petr Stochl treten. „Man muss die Fälle einzeln und für sich betrachten“, sagt Hanning, „aber ich habe gelernt, dass Panik-Verpflichtungen einfach nichts bringen.“

Deshalb sind die Personalplanungen für die kommende Saison auch schon abgeschlossen, obwohl die aktuelle noch läuft. In Martin Ziemer und Michael Müller verpflichteten die Füchse im März zwei erfahrene Bundesliga-Spieler, die zusammen 70 Jahre alt sind. Allerdings warfen auch diese Transfers naheliegende Fragen auf: Zum Beispiel, wie sie sich mit der allseits proklamierten Vereinspolitik vertragen, vorwiegend auf junge Leute aus der eigenen Akademie zu setzen? „Diese Frage verstehe ich bis heute nicht“, sagt Hanning. Man habe nach schlachterprobten, wehrhaften Profis gesucht, nach „Mentalitätsspielern“, die auch mal die Grenze des Erlaubten überschreiten und dem Kader neues Leben und neue Impulse geben sollen. „Und die haben wir gefunden.“

Selbiges gilt für die Nachfolgeregelung des prominentesten Füchse-Spielers, für die Nachfolge Silvio Heinevetters. Seitdem der Nationaltorhüter seinen Wechsel zur MT Melsungen im Jahr 2020 bekannt gegeben hat, ist fleißig spekuliert worden, zumal die Füchse in Dejan Milosavljev kürzlich eines der größten Torhütertalente vom frisch gekürten Champions-League-Sieger Vardar Skopje an sich gebunden haben: Bleibt der exzentrische Keeper tatsächlich bis zum Ende seiner regulären Vertragslaufzeit in Berlin? Oder machen die Melsunger vielleicht doch die Geldbörse auf und offerieren im Sinne eines zeitnahen Wechsel eine Ablösesumme? „Stand heute gibt es keinen neuen Stand“, sagt Hanning. „Bei uns herrscht auf jeder Position Konkurrenzkampf – und deshalb gehen wir auch mit drei Torhütern in die neue Saison, die alle ein gewisses Format haben“ – es wäre ein höchst ungewöhnliches Modell, das man in der Handball-Bundesliga vergeblich sucht.

Heinevetter könnte jetzt schon gehen

Neben Bjarki Elisson, Marko Kopljar, Erik Schmidt und Malte Semisch könnte in Heinevetter ein weiterer gestandener Profi Berlin in naher Zukunft verlassen. Ausgeschlossen erscheint dieses Szenario trotz gegenteiliger Verlautbarungen jedenfalls nicht. Die Füchse stehen also vor einer richtungsweisenden Sommerpause, zumal Hanning schon weiterdenkt. „Ich mache mir natürlich immer Gedanken darüber, wie unser Verein aussehen soll“, sagt er. „Und ich habe auch schon Ideen.“ Es ist ein offenes Geheimnis, dass Jaron Siewert im Sommer 2020 die Profi-Mannschaft übernehmen soll. Der junge Mann aus Reinickendorf ist ein Kind der Füchse-Familie; er hat alle Jugendstationen bei den Berlinern durchlaufen, gilt als enger Vertrauter Hannings und verantwortet seit 2017 die erste Mannschaft des Zweitligisten TuSEM Essen, der auch Hannings Heimatverein ist. Siewert wäre mit dann 26 Jahren der jüngste Cheftrainer in der Geschichte der Handball-Bundesliga.

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