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Figuren im Freudentaumel:

© picture-alliance/ dpa

Sport: Die goldene Diva

Seit Franz Beckenbauer ihn 1974 als Erster küsste, ist der WM-Pokal der Sehnsuchtspreis jedes Spielers. Die Trophäe verspricht Ruhm und Ehre – noch weit über das Turnier hinaus

Es gibt Trophäen, die über eine eher geringe Halbwertszeit verfügen. Sie glänzen für ein paar Stunden im Scheinwerferlicht einer Gala, zwischen tippelnden It-Girls und lächelnden C-Promis. Der Bravo- Sport-Otto, die Goldene Henne. Hallo, Echo? Preise für den Weltmeister der Herzen, für ewige Talente. Und dann gibt es den WM-Pokal, der phallisch über den anderen Schüsseln und Henkeltöpfen zu schweben scheint. Auch in Südafrika ist er wieder der Sehnsuchtshauptpreis für 736 Gralsjäger in Stollenschuhen – weil er Ruhm und Ehre noch weit über das Turnier hinaus verspricht.

Denn wer die knapp 37 Zentimeter große und sechs Kilo schwere Trophäe einmal in den durchgestylten Konfettiregen der Fifa heben durfte, kann davon, wenn er sich richtig anstellt, ein Leben lang zehren. Derzeit dürfen Paul Breitner und Andreas Brehme, Weltmeister von 1974 und 1990, immerhin umsonst Burger essen. Und während sie unter dem goldenen M über ihre Geschichte philosophieren, sitzt der Pokal auch irgendwie mit am Tisch. Und gehört auch genau dorthin. Zwischen Big Mac und Enjoy-Brause. Schließlich besitzt die Trophäe gemeinsam mit Ronald McDonald und Coca-Cola den wahrscheinlich größten Wiedererkennungswert unter den Trademark-Ikonen.

Auf Millionen Menschen übt sie eine Faszination aus, die sich nur begreifen lässt, wenn der Blick über die goldene Oberfläche und sogar über den Fußball hinausgeht. „Dieser Pokal hat seine eigene Persönlichkeit“, sagt Silvio Gazzaniga. Und der Italiener sollte es wissen, hat er ihn doch 1971 entworfen, weil die Fifa einen neuen brauchte, nachdem der Vorgänger, der Coup Jules Rimet, wie versprochen in den Besitz der Brasilianer übergegangen war. Die Seleção hatte 1970 in Mexiko ihren dritten Weltmeistertitel gewonnen – ausgerechnet gegen die Italiener.

Gazzaniga kreierte daraufhin eine Trophäe, deren Material und Form die Dynamik, aber auch die Kraft des Fußballs beschreiben sollte. So winden sich zwei Figuren im gemeinsamen Freudentaumel aus dem Sockel und tragen den Erdball auf Händen. Mehr Skulptur als ordinärer Pokal, lässt die Trophäe den Fußball mit der Welt verschmelzen – als triumphierenden Atlas der Globalisierung. Der Pokal ist so auch ein Symbol einer zeitlich begrenzten Weltherrschaft, das nun bereits zum zehnten Mal an den Weltmeister verliehen wird, seit Franz Beckenbauer die Trophäe 1974 im Münchner Olympiastadion als erster Fußballer mit einem zärtlichen Kuss in Empfang nehmen durfte.

Der Kaiser und die Reliquie. Ein passenderes erstes Date hätte sich die Fifa nicht wünschen können. Denn der WM-Pokal hat, ähnlich wie Beckenbauer, in der Nacht von München seinen Triumphzug begonnen und ist in den vergangenen 36 Jahren längst selbst zum Popstar geworden, zu einer 18-karätigen Diva, die hofiert, abgeschottet oder bewusst in Szene gesetzt wird.

Erst kürzlich ist die Fifa World Cup Trophy, so der offizielle Name, von einer eigenen Welttournee zurückgekehrt, wie sie sonst nur die Rolling Stones oder früher Michael Jackson stemmen konnten. 225 Tage lang stand er in 83 Ländern im Blitzlichtgewitter und legte fast 139 000 Kilometer zurück. Wo der Pokal auftauchte, wurde er bejubelt wie ein Staatsgast. Wie schon auf seiner Deutschlandreise 2006 verwandelten sich erwachsene Männer in schwankende Groupies. Sie hätten ihn nur zu gerne berührt. Doch das ging, natürlich, nicht.

Bei aller Zeigelust bewacht die Fifa die Reichskleinodie ihres Präsidenten wie einen Staatsschatz. Die Reise nach Südafrika hat die Trophäe deshalb, einem Topmodel angemessen, in einem Designer-Koffer von Louis Vuitton absolviert. Sicher und stilvoll, wie von Joseph Blatter gewünscht. Eine Diva lässt sich eben nicht von jedem küssen.

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