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Sport: Die Stunde der Patrioten

Der Einlauf der Teams in das Superbowlstadion gab das Motto des Abends vor: Während der Favorit St. Louis Rams seine Stars aus dem Angriff einzeln bejubeln ließ, verzichteten die New England Patriots auf derlei Theatralik und betraten im Kollektiv den Kunstrasen.

Der Einlauf der Teams in das Superbowlstadion gab das Motto des Abends vor: Während der Favorit St. Louis Rams seine Stars aus dem Angriff einzeln bejubeln ließ, verzichteten die New England Patriots auf derlei Theatralik und betraten im Kollektiv den Kunstrasen. Quasi als Fortsetzung zum Rahmenprogramm, das die getroffene Nation zum Beispiel mit Darstellungen Flagge hissender Feuerwehrleute zum Zusammenhalt animierte. Wer sich erst nach dem Spiel zu den 800 Millionen Fernsehzuschauern beim 36. Endspiel der US-Profiliga NFL gesellte, fand ein ähnliches Bild vor. Die Spieler der Rams liefen ziellos durch den Louisiana Superdome von New Orleans. Die jubelnden Patriots bildeten eine zu den unzähligen blau-weiß-roten Papierschnitzeln farblich passende Spielertraube. In den Stunden dazwischen hatte sich Großes ereignet.

St. Louis war 3:0 in Führung gegangen. Danach war vom sonst so spektakulären Angriff allerdings nicht mehr viel zu sehen. Im Gegenteil: New Englands Verteidiger Ty Law fing einen Pass von Rams-Quarterback Kurt Warner ab und trug ihn über das halbe Spielfeld unberührt in die Endzone. Auch danach machte die konsequente Verteidigung des Teams aus Boston ihren Gegnern das Leben schwer. Zwei weitere Ballverluste folgten, allesamt verwerteten die Patriots zu Punkten. Am Ende hatten die Rams in fast allen wichtigen Statistiken die besseren Werte, die Wertlosigkeit dessen erkannte aber auch Warner: "Wir schadeten uns selbst mit den Ballverlusten." Sein Gegenüber Tom Brady zeigte hingegen, wie man ein Endspiel gewinnt. Der 24-Jährige spielte unspektakulär, aber fehlerlos. Eine Fähigkeit, die bei Spielmachern sonst erst durch jahrelange Erfahrung ausgeprägt wird. Auch die Tatsache, dass das Endspiel selbst bis zu den verdienstvollen US-Soldaten in Kandahar übertragen wurde, beeindruckte Brady wenig. Dabei wurde vor dem Spiel noch darüber diskutiert, ob man ihn nicht besser durch den erfahrenen Drew Bledsoe ersetzen sollte. Der war schon mal im Superbowl - allerdings als Verlierer.

Fast hätte dieses Schicksal auch Brady ereilt. Ein Lauf-Touchdown durch Warner brachte St. Louis wieder ins Spiel. Aber beim 17:17-Ausgleich durch Passempfänger Ricky Proehl kurz vor Ende der Partie unterlief den Rams ein letzter, spielentscheidender Fehler. Sie ließen New England etwas mehr als anderthalb Minuten übrig. Nicht viel zwar, jedoch ausreichend für Brady, um sein Team mit einer Serie präziser Pässe noch einmal in Reichweite eines Fieldgoals zu bringen. Sieben Sekunden vor Schluss schleuderte der Spielmacher das lederne Ei auf den Boden, um die Uhr anzuhalten. Der dramatischste Ausgang eines Endspiels kündigte sich an. Bislang konnten die St. Louis Rams dieses Attribut für sich beanspruchen. Vor zwei Jahren stoppten sie die Tennessee Titans in der letzten Sekunde ein Yard vor ihrer eigenen Endzone, um die Vince-Lombardi-Trophäe mit nach Hause zu nehmen. Nun lag es an Kicker Adam Vinatieri, die erste Verlängerung in der Geschichte des NFL-Endspiels zu verhindern und New England nach zwei Endspielniederlagen endlich zu Champions zu machen. Als eben jene sieben Sekunden später der Football seinen Weg durch die Torstangen fand, war die NFL-Historie um eine Legende reicher. Das an der Anzeigetafel aufleuchtende 20:17 kündete von der größten Sensation im Superbowl, seit die New York Jets vor über 30 Jahren völlig überraschend Baltimore geschlagen hatten. Selbst die Kommentatoren im US-Fernsehen glaubten mit Blick auf die nationale Gesamtlage an höhere Mächte: "Es kann kein Zufall sein, dass ausgerechnet die Patriots den patriotischsten aller Superbowls gewinnen."

Christian Hönicke

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