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Ludger Beerbaum musste sich viele unangenehme Fragen stellen lassen zuletzt.

© imago images/Pressefoto Baumann

Verband verbietet das Touchieren: Die Tierquälerei soll ein Ende haben – wenn die Reiter mitspielen

Jahrzehntelang was das Tierwohl im Pferdesport eher zweitrangig. Das soll sich nun ändern – mit begrenzten Erfolgsaussichten.

Es gebe momentan wichtigere Themen als diese, entschuldigte sich vorab die Pressesprecherin der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN), Julia Basic. Doch das trifft in diesen Tagen auf alle Angelegenheiten zu, die sich nicht mit dem Krieg in der Ukraine beschäftigen.

Für den Pferdesport hierzulande dürfte die Nachricht einen tiefgreifenden Umbruch bedeuten: Das sogenannte Touchieren, darauf einigte sich der Verband, soll künftig verboten sein. Im Mai dieses Jahres soll die einstimmige Entscheidung des Präsidiums umgesetzt werden. Das sagte FN-Generalsekretär Soenke Lauterbach am Donnerstag in einer Pressekonferenz.

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Für Fachfremde: Unter Touchieren versteht man das leichte Berühren der Pferdebeine beim Sprung mit einer Stange, die nicht länger als drei Meter sein und nicht mehr als zwei Kilogramm wiegen darf. Die Idee dahinter: Das Pferd soll dadurch konditioniert werden. Es soll beim Springreiten vor einem Hindernis schon wesentlich früher abspringen, als dies der Fall wäre, wenn es seinen natürlichen Instinkten und Reaktionen folgen würde. „Ich unterstelle einmal, dass ein Pferd von Haus aus nicht bei einem Abstand von 60 bis 80 Zentimetern zwischen sich und dem Hindernis abspringen würde“, sagte FN-Ausbildungsleiter Thies Kaspareit.

Das Problem ist, dass über Jahrzehnte das Touchieren in Deutschland, aber auch in vielen anderen Ländern auf der Welt fest in das Trainingssystem im Pferdesport verankert war. Es verhält sich so, als würde man die Standards aus dem Trainingsplänen im Fußball tilgen. Dabei ist das Touchieren bereits die abgemilderte Form des Barrens.

Beim Barren wird nach dem Absprung des Pferdes – im besten Fall – die oberste Stange angehoben, damit das Pferd mit den Füßen an die Stange schlägt. Dass Pferd soll dadurch abspeichern, dass es noch höher über das Hindernis springen muss. Im schlechtesten Fall haut jemand ein Brett auf die Beine des Pferdes. So geschehen vermutlich hunderttausende Male im Training bei den besten Reiterinnen und Reitern der Welt. In Deutschland erfuhr das Thema große Aufmerksamkeit, als 1990 ein Video von dem Springreiter und Unternehmer Paul Schockemöhle auftauchte, wie er eigenhändig den Pferden mit einer Holzstange auf die Beine schlug.

Die Empörung war groß ob der offensichtlichen Tierquälerei; die Deutsche Reiterliche Vereinigung reagierte, aus Barren wurde Touchieren. Aber von Anfang an war der Grad zwischen dem vermeintlich sanften Touchieren und dem tierquälenden Barren ein schmaler Grat. Selbst Generalsekretär Soenke Lauterbach musste am Donnerstag zugeben: „Die Abweichung beim Touchieren ist immer da. Das Risiko einer Abweichung vom Touchieren ist recht hoch.“

Die Gretchenfrage: Wann handelt es sich um Touchieren, wann um Barren?

Selbst Fachleute könnten mitunter nicht sagen, ob die Grenze des Erlaubten überschritten sei oder nicht. Diese Auffassung gibt es in Beobachterkreisen schon seit vielen Jahren. Auch der Weltreiterverband FEI hatte das Verbot des Touchierens bereits beschlossen.

In Deutschland aber – Duplizität der Ereignisse – musste erst wieder ein Video auftauchen, das eine Debatte über das Tierwohl und letztlich auch das Verbot auslöste: Der Sender RTL um Investigativ-Journalist Günter Wallraff legte Trainingsverstöße bei dem deutschen Ausnahme-Springreiter Ludger Beerbaum offen. Es soll Beerbaum zeigen, der mit seinem Pferd über ein Hindernis springt, während ein Mitarbeiter mit einer Stange auf die Vorderbeine des Tieres schlägt. Beerbaum bestreitet die Vorwürfe bis heute.

Zu der Entscheidung der FN, das Touchieren zu verbieten, äußerte er Verständnis. Der 58-Jährige sagte aber auch: „Die fachgerechte Anwendung des Touchierens ist nach der gemeinsamen Auffassung von Verband und vielen Spitzensportlern nach wie vor nicht tierschutzrelevant.“

So sehen das viele Reiterinnen und Reiter. „Ich bin überzeugt, dass es viele negative Rückmeldungen aus dieser Richtung geben wird“, sagte Soenke Lauterbach. „Es muss jetzt ein Philosophiewechsel her. Das wird nicht in vier oder sechs Wochen geschehen. Das wird länger dauern.“

Damit dürfte Lauterbach Recht behalten. Zumal die Bestimmungen von Land zu Land unterschiedlich sind. Und wer ganz vorne mit dabei sein und viel Geld verdienen will, der wird auf die effektive Methode des Touchierens nicht verzichten. Zumal die Kontrollmöglichkeiten eingeschränkt sind. „Unsere Möglichkeiten sind begrenzt“, erläuterte Lauterbach. „Wir können nicht in die Ställe oder auf die Grundstücke gehen und das kontrollieren.“

Allerdings gibt es noch eine andere Möglichkeit, den Reiterinnen oder Reitern auf die Schliche zu kommen, die gegen die neue Verordnung verstoßen: Ob ein Pferd natürlich, ökonomisch losgelassen springt, wie es in der Fachsprache heißt, also relativ dicht am Hindernis abspringt oder eben nicht, können Experten sehr gut einschätzen. „Wir müssen darauf hinarbeiten“, sagte Lauterbach, „dass das Spektakuläre nicht mehr bejubelt wird.“ Die Pferde sollen auch künftig hoch springen, dem Tierwohl zuliebe nur nicht mehr ganz so hoch.

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