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Sport: Dort unten, wo Fußball noch riecht

Lothar Matthäus feiert für ein Spiel sein Comeback – beim Elftligisten Lok Leipzig. Er will dem Ostfußball helfen. Die Fans sagen: Es ist gut gemeint.

Alles ist schwarz. Freitagmittag, Leipzig Hauptbahnhof, zwei ergraute Damen schimpfen. „So voll ist die Stadt!“ 15 000 junge Leute sind da, sind zum großen Fest gekommen. Bleich geschminkt, Lidschatten, auch die Männer, lange Gewänder. Das alljährliche „Wave Gothic Treffen“. Die „Leipziger Volkszeitung“ erklärt ausführlich Verhalten und Aussehen der schwarz gekleideten „Grufties“ – und präsentiert auf der nächsten Seite das eigentliche Ereignis des Tages. Die Ankunft des Lothar. Lothar Matthäus spielt am Abend für den Elftligisten Lokomotive Leipzig. Halbfinale im Stadtpokal gegen den SV Ost 1858 Leipzig.

„Das Comeback des Jahres“, schreibt die „Sport Bild“. Wohl auch, weil sie es ermöglicht hat. Ihr Kolumnist Matthäus hatte angekündigt, Lok helfen zu wollen. Weil der Traditionsverein, vormals VfB Leipzig, das beste Beispiel für den Niedergang des Ostfußballs ist. Ausverkauf, dubiose Profiteure, Insolvenz, eine einzige Leidensgeschichte. Nun naht Hoffnung. Es naht Lothar Matthäus. „Er kommt!“ 16 Uhr, Pressekonferenz in einer Hotelbar. Endlich, schon seit Minuten wird nur noch ein Name geflüstert: Lothar. Wie fit ist der Lothar? Wo bleibt er denn, der Lothar? Überall sind Fernsehkameras, selbst aus den Niederlanden. Verängstigt schauen die Kellnerinnen auf die großen Scheinwerfer. Lothar, der Dressman. Diese typische Loddarmaddhäusmagie. Der blaue Designeranzug sitzt perfekt. Und die Gelfrisur. Blitzlichtgewitter, Lothar kennt das. Lok-Trainer Rainer Lisiewicz nicht. Er, in abgewetzter Lederjacke, duckt sich auf dem Podium. Matthäus spitzt seine Lippen, wie sie eben nur Matthäus spitz und spricht: „Der Sinn meines Kommens ist schon erfüllt: Aufmerksamkeit.“ Matthäus ist braun gebrannt. Er sagt: „Man muss auch mal dahin gehen, wo die Sonne nicht scheint.“ Und da ist er jetzt. Steffen Kubald, 1. Vorsitzender von Lok, sagt dann, dass an diesem Morgen die Fusion mit dem SSV Torgau besiegelt wurde. Der Verein verbessert sich damit um vier Spielklassen. Doch da hört schon niemand mehr zu.

In der Kurve des Bruno-Plache-Stadions wächst Gras. Die blau-gelben Holzbänke auf der Haupttribüne verrotten. Der Charme von Schotter und Rost. Matthäus sagt, so rieche Fußball. Peter Pollmer stinkt es. „Es gibt keine Lobby für den Ostfußball“, sagt der Lok-Fan. Letztens haben sie hier die Tore neu gestrichen. Es geht aufwärts. Pollmer sagt: „Mit’m Matthäus, das ist ein gutes Signal.“ Aber, was bleibt, wenn der Nationalcoach Ungarns wieder wegfährt? Weit weg. „Der bleibt noch eine Nacht“, schreit da ein Rollstuhlfahrer, der direkt am Rasen steht. Das Spiel beginnt 30 Minuten verspätet – das Verkehrschaos war zu groß. 6200 Fans sind gekommen, sie singen: „Wir sind die Größten der Welt!“ und auf ihren Trikots steht: „11. Liga – na und?“ Bullige Ordner sind überall. Fast wäre die Partie abgesagt worden, weil im letzen Pokalspiel ein Feuerzeug den Schiedsrichter traf. Die Stimmung ist aufgeheizt: Uns gibt es auch noch.

Lothar Matthäus trägt die Nummer 10. Da ist es wieder, dieses leicht gebeugte Traben. Dann feinste Pässe aus dem Fußgelenk. „Wink mal Lothar“, rufen die Fans. Und Lothar winkt. Er dirigiert sein Team, schlichtet bei Streitereien und trifft fast per Freistoß. Sein Gesicht ist manchmal bedenklich rot. Nach 76 Minuten wird er ausgewechselt – Lok gewinnt 1:0. „Geil war’s“, sagt Matthäus und seine Mitspieler loben den Rekordnationalspieler. Dessen Amateur-Spielerpass ist nun weiter gültig. „Ich schließe nichts aus“, sagt Matthäus. Ein kahlköpfiger Fan brüllt: „Wir brauchen keinen Lothar, wir brauchen Geld!“ Die Stadionuhr funktionert schon lange nicht mehr. Sie steht tatsächlich auf kurz nach zwölf.

Patrick Bauer[Leipzig]

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