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Ehemalige Handball-Nationalspielerin Clara Woltering: „Ich wäre gerne selbst noch Teil des Teams“
Die frühere Weltklasse-Torhüterin Clara Woltering spricht über den Erfolg der deutschen Frauen bei der Handball-WM. Gleichzeitig übt sie Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen.
Stand:
Frau Woltering, nach dem Halbfinaleinzug gegen Brasilien kullerten bei einigen die Tränen. Wie haben Sie den Abend erlebt?
Ich kenne die Spielerinnen alle und verstehe ihre Emotionalität. Viele kämpfen seit Jahren dafür, in ein Halbfinale einzuziehen. Und wenn dieser Sprung endlich gelingt, fällt ein riesiger Stein vom Herzen. Man hat gespürt, wie befreiend das war – vor allem für diejenigen, die schon lange dabei sind. Ich wäre gerne selbst noch Teil des Teams, weil ich total stolz bin. Die Mädels präsentieren sich großartig, und jeder in der Halle hat diese Energie gespürt.
Die DHB-Auswahl ist bisher ungeschlagen bei dieser WM. Was macht sie gerade so stark?
Die Geschlossenheit. Der Trainer kann viel wechseln, ohne dass Brüche dadurch entstehen. Das ist eine sehr homogene Truppe mit einem starken Trainerteam. Dazu kommt die Euphorie im Rücken. Zu Hause zu spielen bewegt natürlich einiges.
Katharina Filter wurde von DHB-Fans zum dritten Mal in Folge zur Woman of the Match gewählt. Wie bewerten Sie ihre Leistung – aus Torhüterinnen-Sicht?
Man wird als Handballmannschaft nie erfolgreich, wenn der Torhüter nicht mitzieht. Das ist eine besondere Position mit anderem Fokus. Kathi spielt eine Bomben-WM und ist ein starker Rückhalt. Die Abwehr weiß, wenn ihr etwas durchrutscht, hat Kathi den Ball. Und wenn du hinten stabil stehst, kannst du vorn auch mal Fehler wegstecken.
Hat das Team heute Qualitäten, die früher vielleicht gefehlt haben?
Ja – das Selbstverständnis. Sie sind eingespielter, jeder kennt seine Aufgabe. Und mit Aimée von Pereira haben wir hinten noch mal ein richtiges Bollwerk dazugewonnen. Wir können in der Abwehr glänzen und kommen mit einem starken Tempospiel zu einfachen Toren.
Beim Viertelfinale waren wieder über 10.000 Fans in der ausverkauften Halle. Ist Deutschland im Handball-Fieber?
Auf jeden Fall, man kann die Zuschauerresonanz nicht wegdiskutieren. Und deshalb frage ich mich, wieso eine Heim-WM nicht im Fernsehen oder wenigstens im Livestream läuft. Dass das erst im Viertelfinale passiert, ist nicht richtig. Das ist ein generelles Thema, dass immer nur Fußball bei den Öffentlich-Rechtlichen läuft. Dafür bezahle ich keine GEZ, dass ich so einseitig beleuchtet werde. Wir brauchen die Sichtbarkeit, um weitere Entwicklungsschritte zu gehen. Ich finde, da haben die Öffentlich-Rechtlichen eine Pflicht.
Hat die Heim-WM trotzdem genügend Hype erzeugt?
Unter den Menschen, die ich in der Westfalenhalle getroffen habe, schon. Viele, die mit Handball sonst nichts zu tun haben, waren völlig begeistert. Aber die Berichterstattung und das Drumherum finde ich schwierig. Eine solche WM braucht ein bisschen Eventcharakter – aber die Sportstätten in Deutschland sind nicht mehr so repräsentativ.

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Was braucht der Frauenhandball, damit der Schwung nachhaltig wirkt?
Die DHB-Kampagne ‚Hands up for more‘ ist eine coole Sache und nicht nur ein Slogan für die WM. Das soll eine nachhaltige Bewegung werden: für Empowerment der Frauen, Aufmerksamkeit, Respekt. Diese Themen betreffen ganz Deutschland. Es sollte selbstverständlich sein, dass nicht nur auf Männersport geschaut wird.
Nutzt der Verband die WM optimal?
Ich glaube, dass der DHB sehr viel Engagement und Willen in diese Heim-WM gesteckt hat. Wenn ich mit IHF-Verantwortlichen spreche, wirken alle sehr zufrieden. Und ich weiß, wie viele Mitarbeiter früher beim DHB arbeiteten. Heute sind es viel mehr, und dadurch kann man einiges bewegen.
Wie wichtig wäre es, dass Städte wie Berlin große Frauenhandball-Events bekommen?
Brutal wichtig. Die mediale Aufmerksamkeit in Deutschland ist oft sehr regional. Deshalb wären die Öffentlich-Rechtlichen so wichtig, damit die breite Masse es wahrnimmt. Auch in Dortmund wissen viele nicht, dass wir bei der Borussia nicht nur Fußball haben.
Der DHB bezieht ehemalige Spielerinnen wie Sie verstärkt ein. Wie finden Sie das?
Das ist genau der richtige Weg – denn mehr Authentizität kann man gar nicht haben. Anja Althaus ist Teammanagerin, Saskia Lang hat für die WM tolle Arbeit gemacht, und ich selbst engagiere mich als Botschafterin. Ich habe immer die Vision gehabt, den Frauensport nach vorne zu bringen. Es ist toll, da immer noch mitgenommen zu werden.
Wie bringen Sie Ihre persönlichen Erfahrungen ein?
Ich brenne für den Sport – früher wie heute. Durch meine Zeit im Ausland und im Verein weiß ich, wo es strukturell Stellschrauben gibt, und kann Verbesserungsvorschläge machen. Das hat oft mit Geld zu tun. Aber wenn die Aufmerksamkeit wächst, kommen auch neue Sponsoren.
Gibt es Veränderungen, bei denen Sie konkret mitgewirkt haben?
Ja, zum Beispiel beim Torwarttrainer. Als ich in der Nationalmannschaft war, hat sich bei Turnieren niemand um die Torhüter gekümmert. Ich hätte manchmal Unterstützung gebraucht. Ein Trainer kann das nicht leisten – im Tor kennt sich einfach nicht jeder aus. Deshalb ist ein Torwarttrainer wichtig.
2007 haben Sie WM-Bronze gewonnen. Was würde eine neue Medaille für den deutschen Frauenhandball bedeuten?
Sie würde zeigen, dass sich die eingeschlagenen Wege auszahlen. Die Spielerinnen sind heute nicht mehr so dual unterwegs, wie wir es früher waren – erst zur Arbeit, dann zum Training. Wir haben jetzt viele Vollprofis und das ist der richtige Weg, um den Sport professioneller zu machen. Natürlich gibt es noch Luft nach oben. Eine Medaille könnte ein echter Schub sein.
Was hat sich seit Ihrer Zeit in der Nationalmannschaft verändert?
Früher musste ich meinen Kaffee noch selbst bezahlen – heute gehört das zum Service für die Spielerinnen dazu. Das ist nur ein kleines Beispiel. Ein wichtiger Punkt ist die Ausbildung: Der DHB hat in der Jugend ein sensationelles Jahr erlebt. Jetzt geht es darum, das mit in die A-Mannschaften zu nehmen.
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