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Sport: Ein Bulle wider Willen

Der türkische Box-Europameister Sinan Samil Sam verteidigt in Berlin seinen Titel – zwischen den Kämpfen züchtet er am liebsten Brieftauben

Berlin. Er hat große, weiche Hände. Fast ein bisschen zu weich. Er ist gut einsneunzig groß und 100 Kilo schwer. Nach der Begrüßung legt er die Hände auf seinen Rücken. Aus ruhigen Augen schaut er seinen viel kleineren Gesprächpartner an. Und wenn er antwortet, beugt er sich ein klein wenig vor. Er ist auch noch höflich. Und das soll nun der „Bulle vom Bosporus“ sein?

In Wirklichkeit heißt der junge Mann Sinan Samil Sam und ist Türke und Profiboxer. Eine seltene Kombination. In der Türkei ist Profiboxen verboten, deshalb ist Sinan hier. Einen Titel hat er schon gewonnen, nur hat er hier zu Lande noch keinen Namen. Das soll sich ändern.

Dafür verzichtete Jean-Marcel Nartz auf seinen freien Sonntag. Der 52-Jährige griff sich ein Stapel Flugblätter und klapperte in Neukölln und Kreuzberg sämtliche Imbissbuden und Gemüseläden ab. Zielgruppe: die Türken Berlins. Denn am Samstag krabbelt Sinan Samil Sam als der Bulle vom Bosporus in den Boxring des Estrel Convention Center. Es wäre gut, wenn ein paar Landsleute vorbeischauen würden.

Es geht um viel. Vor allem um das Gewissen der türkischen Mitbürger. „Es hängt von eurer Unterstützung ab, ob ich einer wie Muhammad Ali werden kann“, lautet die in Türkisch gehaltene Kernbotschaft des Flugblatts. Das ist natürlich etwas übertrieben, zumindest aber boxt Sinan im selben Gewichtslimit wie der Jahrhundertsportler. „Das ist die Klasse aller Klassen“, sagt Nartz. Nartz ist der Leiter der veranstaltenden Universum Box-Promotion. Die hat sich auch den hübschen Kampfnamen für den Schwergewichtler ausgedacht.

Im vorigen Oktober hatte Sinan den Polen Saleta durch Technischen K. o. in der siebenten Runde als Europameister entthront. „Wenn er jetzt noch Danny Williams schlägt, ist das der erste Schritt zur Weltmeisterschaft, dann ist Sinan Samil Sam unter den Top Ten der Welt“, sagt Nartz.

Um 21 Uhr werden das türkische Fernsehen und die BBC live auf Sendung gehen. Williams ist Engländer und hält den Titel des Commonwealth-Meisters seit 1998. Williams ist die Nummer eins der europäischen Boxunion (EBU). „Zuerst war es mir gar nicht lieb, dass Sinan seinen Titel gleich gegen so einen schweren Brocken verteidigen will“, sagt Trainer Michael Timm, der den 28-Jährigen seit zehn Wochen auf diesen Kampf vorbereitet. Der Bulle vom Bosporus hat bisher keinen seiner 16 Profikämpfe verloren. „Wenn ich mir nicht vertrauen würde, hätte ich den Herausforderer nicht angenommen“, sagt Sinan Samil Sam.

In der Türkei ist seine Popularität zu vergleichen mit der der türkischen Nationalmannschaft, die im vorigen Sommer den dritten Platz bei der Fußball-WM erreichte. Er ist der erste Türke, der im Boxen einen bedeutenden Titel hält. Bei den Amateuren war er 1999 in Houston/Texas Weltmeister im Superschwergewicht geworden. Ein solcher Erfolg gilt als Eintrittskarte in eine ruhmreiche Profikarriere. Die aber ist in der Türkei nicht möglich. Angebote aus dem Profilager erreichten ihn aus Kanada und Frankreich. Doch Sinan Samil Sam entschied sich für Deutschland. Er wechselte zum Hamburger Promoter Klaus-Peter Kohl und trainiert dort an der Seite der beiden Klitschkos.

Sein Kampfname ist ihm fast ein bisschen peinlich. „Ich habe ihn mir nicht ausgedacht“, erzählt Sinan, „er passt weder zu mir, noch zu meiner Art zu boxen.“ Er wirkt introvertiert. Zwischen seinen Kämpfen züchtet er Brieftauben. „Das ist eine beruhigende Beschäftigung“, sagt Sinan. Seine Familie war 1973 nach Deutschland gekommen. Ein Jahr später kam er in Frankfurt am Main zur Welt, ein weiteres Jahr später „wurde ich in die Türkei geschickt und wuchs bei Angehörigen in Ankara auf“. Der eine Bruder ist Literat, der andere Bombenentschärfer bei der türkischen Polizei. „Ich wurde Boxer und führte ein Leben wie ein Beamter.“ Neunmal wurde er Türkischer Meister. Jetzt möchte er Weltmeister werden.

„Ich will erst zeigen, was ich kann. Dann reden wir darüber“, sagt Sinan. Seit knapp drei Jahren trainiert er bei Michael Timm. „Das Laufen liebt er nicht so“, erzählt der Trainer, „aber er hat ein großes Herz.“ Das hilft, reicht aber nicht für ganz oben. „Wir müssen seinen Boxstil umstellen“, sagt Timm. „Er muss noch überzeugt werden, dass sein Stil, mit dem er bei den Amateuren erfolgreich war, bei den Profis nicht taugt.“

Universum hat große Pläne mit dem Bosporus-Bullen. Nartz erinnert sich an die Kämpfe des Türken Cemal Kamaci, der vor 30 Jahren in Westdeutschland die Hallen füllte. „Einmal kam ich mit blauen Augen heim“, erzählt Nartz. „Die Leute, meist Gastarbeiter, tobten vor Freude und warfen mit türkischen Honigbonbons um sich wie mit Kamelle beim Karneval. Den Kamaci haben sie auf den Händen durch die Halle getragen. So etwas hat es nie wieder gegeben.“

Bis Sinan Samil Sam kam. Der soll Weltmeister werden und nebenbei die Herzen seiner Landsleute erobern. „Ich bin mir sicher, dass sie mich nicht im Stich lassen werden.“

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