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Alle lieben Ronny, zumindest nach seinem Treffer zum 2:1 beim Auswärtssieg in Cottbus.

© City-Press

Hertha und Ronny: Eine Frage der Philosophie

Wer trägt wen bei Hertha BSC: Ronny die Mannschaft? Oder die Mannschaft Ronny? Beide profitieren von seinen Toren und Vorlagen. Und einer weiteren Fähigkeit des Brasilianers.

Schwer zu sagen, die wievielte Diskussion das in diesem hitzigen Derby zwischen Hertha BSC und Energie Cottbus jetzt war. Wieder einmal warfen sich zwei Spieler heftige Worte an den Kopf. Peer Kluge, der defensive Mittelfeldspieler des Berliner Fußball-Zweitligisten, war einer von ihnen. Kluge wurde richtig wütend, er brüllte über den Platz, wedelte mit den Armen. Sein Widersacher stand ihm in nichts nach, vor allem ließ er nicht locker. Und als endlich das letzte Wort gesprochen schien, legte er noch einmal nach. Erst dann gab Ronny, Kluges Mannschaftskamerad, Ruhe.

Mitte der zweiten Halbzeit war es zu diesem Disput gekommen, nachdem sich vor Herthas Strafraum ein großes Loch aufgetan hatte. Genau da, wo sich nach Kluges Spielverständnis sein Kollege Ronny hätte befinden sollen. „Natürlich ärgert einen das“, sagte er. „Du bist schon ein bisschen müde, musst fünf Meter laufen, obwohl ein anderer nur einen laufen müsste. Aber nach dem Spiel ist das vergessen.“

Vor allem wenn das Spiel so endet, wie es am Montagabend im Cottbuser Stadion der Freundschaft endete: mit einem feinen Tor des Brasilianers Ronny, der rund fünf Minuten vor dem Abpfiff das 2:1 für die Berliner erzielte. „Für diese Momente haben wir Ronny“, sagte Herthas Manager Michael Preetz. Und es war nicht der erste Ronny-Moment in dieser Saison, die für die Berliner heute mit dem Auswärtsspiel beim SC Paderborn in die Rückrunde startet. Mit acht Toren ist der Brasilianer bisher Herthas bester Torschütze, dazu hat er sechs Tore vorbereitet.

Ronny, in seinen ersten beiden Jahren bei Hertha nicht mehr als ein Mitläufer (oder angesichts seines körperlichen Zustands: Mitgeher), hat sich in der Hinrunde der aktuellen Spielzeit in den Status eines Helden katapultiert. Auch am Montagabend, nach dem Sieg in Cottbus, ging es nur um Ronny, Ronny, Ronny, obwohl der über weite Strecken seltsam träge gewirkt hatte, am Rande des Platzverweises wandelte und von allen Spielern aus Herthas Startelf die wenigsten Zweikämpfe gewonnen hatte – ganze fünf in 90 Minuten. „Ihr wollt ihn herausheben, weil er das entscheidende Tor gemacht hat“, sagte Kapitän Peter Niemeyer zu den Journalisten. „Ihr könnt ihn gerne feiern. Ich bin dabei, aber ich feiere auch gerne die anderen.“

Es scheint längst um die Grundsatzfrage zu gehen: Wer trägt wen? Hertha Ronny? Oder Ronny Hertha? Oder philosophisch ausgedrückt: Wie viel Individualität benötigt Hertha, um erfolgreich zu sein; und wie viel Individualität kann sich die Mannschaft leisten, ohne dass ihre Stabilität in Gefahr gerät? Arrigo Sacchi, der den AC Mailand Ende der Achtziger zu einer perfekten Fußballmaschine geformt hat, hat einmal gesagt: „Auch wenn er der Beste ist – ein Spieler, der nicht arbeitet, interessiert mich nicht.“ Jos Luhukay steht nicht im Verdacht, ein Anhänger des alten Heldenfußballs zu sein, aber ganz so radikal wie Sacchi ist Herthas Trainer nicht. „Ich stelle immer das Kollektiv in den Vordergrund“, sagt er – aber dieses Kollektiv muss auch einen Individualisten wie Ronny vertragen, der seinerseits der Mannschaft eine Extraqualität verleihen kann.

„Es ist eine gute Wechselwirkung“, sagt Luhukay. „Sowohl Ronny profitiert von der Mannschaft, wie auch die Mannschaft von Ronny profitiert.“ Oder anders formuliert: Die Mannschaft läuft für Ronny, vor allem die beiden zentralen Defensivspieler Niemeyer und Kluge; dafür trifft Ronny für die Mannschaft. Doch neben dem für alle sichtbaren Ertrag wie Toren und Torvorlagen spielen auch weiche Faktoren für Ronnys Akzeptanz bei seinen Kollegen eine wichtige Rolle. Die Mannschaft sieht, dass der Brasilianer an sich gearbeitet hat, dass er seine Fitness verbessert hat, dass er sich fürs große Ganze einsetzt – und nicht nur das tut, was ihm Spaß macht. „Er hat ein Gespür für das, was gefragt ist, und kommt dadurch auch im Team gut an“, sagt Jos Luhukay.

Die Mannschaft weiß längst, was sie an Ronny hat. Peer Kluge, der sich am Montag in Cottbus mächtig über seinen Kollegen geärgert hatte, war nach dem Schlusspfiff schon wieder versöhnt. Das Tor zum 2:1, Ronnys Volleyschuss aus der Drehung, hatte ihn genauso verzückt wie den Rest der Mannschaft. „Dafür läuft man gerne mal ein paar Meter mehr.“

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