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FDGB-Pokal-Sieger 1. FC Union Berlin 1968 mit Pokal nach dem 2:1-Finalsieg gegen Jena.

© Bundesarchiv, Bild 183-G0612-0203-003 / Schaar, Helmut / CC-BY-SA 3.0

Lothar Heinke gratuliert seinem 1. FC Union Berlin: Eisern, ein Leben lang

Lothar Heinke ist Union-Fan, seit er ein kleiner Junge war. Eine Liebeserklärung zum 50. Geburtstag eines ganz besonderen Vereins.

Als ich ein kleiner Junge war, wohnte im Allmersweg in Johannisthal, zwei Hausnummern von uns entfernt, ein Mann, der mein Held war: Alfred „Atze“ Gaulke, Fußballspieler bei Union Oberschöneweide. Einmal hatte mich mein Vater mit auf den Platz genommen, wo Atze und seine Freunde in ihren knielangen Hosen um ihr Leben (und um Punkte) rannten. Das Publikum bestand aus Männern, die, wenn ein Tor fiel, ihre Schiebermützen in die Luft und sich in die Arme warfen. Und wenn die Unioner in Bedrängnis gerieten, riefen sie „Eisern!“, und das verstand jeder, denn Spieler und Zuschauer waren Männer aus dem Kiez, die in den rußigen Industriehallen von Oberschöneweide ihr Geld verdienten.

So lange hängt man nun an dem Verein. Olle Atze ist vielleicht inzwischen hundert, der Klub wechselte vor seiner Wiedergeburt vor 50 Jahren immer mal wieder den Namen, die „Union“ blieb, als die Schöneweider über die damals noch grüne Grenze gingen, um als Union 06 im West-Berliner Poststadion zu spielen. Mit dem Verein ging es zu wie auf der Achterbahn: ein ewiges Auf und Ab, über die Jahrzehnte mehr ein Ab. Gerade deshalb liebten wir sie, die Schwachen, Frechen, Aufmüpfigen und die Leidensgefährten am Spielfeldrand, so nah, dass man den Jungs am Trikot zupfen oder wenigstens „Nu loof doch, Mäcki!“ rufen konnte, wenn Reinhard Lauck angerauscht kam.

Zarte Zuschauerseelen, die immerzu nur von Siegen verwöhnt sein wollten, waren in der Alten Försterei an der falschen Stelle. Leidensfähig musste man sein, bis zur Wende und auch danach: Die „Unaufsteigbaren“ machten ihrem Namen alle Ehre. Im DDR-Sport war Union ein Aschenputtel, bei dem oft genug die besten Spieler „wegdelegiert“ oder kaltgestellt wurden, in der Neuzeit kamen die Glücksritter, die Wuhlheider rutschten von einer Pleite in die nächste – bis Michael Kölmel, der Kino-Manager-Millionär, wie der Fußballgott in Köpenick einschwebte und das ganze Union-Universum mit seinen Schecks am Leben hielt.

Die Fans hatten zudem Geld gesammelt und Blut gespendet, später kauften viele von ihnen Aktien für ein schmuckes Stadion, das sie mitgebaut hatten und dafür mit ihren Namen auf einem Denkmal verewigt wurden. Auch ich hatte die Ehre, für meine Fegetätigkeit auf den Betonstufen des Gästeblocks mit einem roten Bauarbeiterhelm ausgezeichnet zu werden. Der liegt nun irgendwo auf dem Bücherschrank, aber was nicht verstaubt, ist das Gefühl, Teil einer großen Familie zu sein: Andere Vereine haben ihre Fans, bei Union haben die Fans ihren Verein.

Manchmal hat man den Eindruck, dass die Rot-Weißen gar keine Lust zum Siegen haben. Egal, der wahre Fan feiert sie trotzdem. Aber er will sie kämpfen sehen, das schon. Letztens hat ein Spieler sogar mal verlauten lassen, dass es ihm gar nicht so unlieb wäre, wenn die  Fans bei einer Niederlage auch mal richtig Tacheles redeten. Doch die Liebe scheint stärker als das harsche Wort. Hier wird gekuschelt. Die Fußballgötter auf dem Rasen in der Wuhlheide sind die Gutmenschen des Spieltages, und wenn dann noch einer ein Tor schießt und die Försterei bebt, ist das Glück wie der heiliger Geist in die Menschen gefahren, und keiner beschwert sich, wenn auf den Traversen das Bier um sich spritzt („Is nu mal so, nischt für unjut. Dafür ham wa’n Tor jeschossen, Alter!“).

Flagge zeigen. Tagesspiegel-Autor Lothar Heinke mit Union-Fahne.

© privat

Zu den ungeschriebenen Gesetzen gehört hier, dass man sich gegenseitig hilft, voreinander Respekt hat, die eigene Mannschaft nie auspfeift und das Stadion nicht vor der 90. Minute verlässt. Dieses manchmal seltsame Gebaren haben mittlerweile auch all die vielen Unionisten begriffen, jene, die die neue Zeit mit ihren Bundes- oder Start-up-Jobs an Spree und Wuhle gespült hat. Viele mögen Union. „Die sind irgendwie anders, so wie wir“, sagt einer von St. Pauli. Beide haben eine starke Konkurrenz in ihrer Stadt. Hertha war zu DDR-Zeiten ein Aufreizer und Anheizer: Wer seine Jeansjacke mit einem Hertha-Symbol bestickt hatte, wollte auch oder gerade in Köpenick zeigen, dass er gegen den ganzen Ost-Laden war. Selbst in der Druckerei des „Neuen Deutschland“ gab es unter Setzern und Metteuren einen Tip-Wettbewerb – sonnabends, zur Bundesliga.

Woran erinnert man sich noch? Als wir in den siebziger Jahren eine Packung gegen den „Schiebermeister“ BFC Dynamo bekamen, formierte sich ein gewaltiger Fan-Zug vom Walter-Ulbricht-Stadion an der Chausseestraße durch die Friedrichstraße bis zum S-Bahnhof. Kanarienvögel fielen von der Stange, als sich die Eisernen die Kehlen heiser brüllten. Devise: Mit wehenden Fahnen untergehen, aber den Kopf oben behalten. An der Ständigen Vertretung in der Hannoverschen Straße riefen wir „Deutschland, Deutschland“, vor einem Polizeiamt, wo die Genossen aus ihren Büros im ersten Stock eifrig den Tatort Demo filmten, forderte der Chor höflich „Bullen raus“! Und so ähnlich klang die Forderung beim Freistoß vor dem Union-Tor: „Die Mauer muss weg!“ Wie hieß es immer? „Nicht jeder Union-Fan ist ein Staatsfeind, aber jeder Staatsfeind ist ein Union-Fan“. In meiner Stasi-Akte hat mich bei dem Hinweis, ich sei „Anhänger des zweitklassigen Fußballklubs Union“, das Wort „zweitklassig“ geradezu empört, aber, naja, heute stimmt es ja. Noch. Aber das soll ja nicht so bleiben.

Zumindest das Stadion, die Fans, das Weihnachtssingen, das Ambiente und das Liedgut mit Nina Hagens Hymne sind erstligareif. Tusches Siegtor im Olympiastadion gegen Hertha, Texas’ Knaller, Sven Beuckerts, Pottis, Jan Glinkers und Oskar Kosches Paraden, Achim Sigusch, Heinz Werner, Uwe Neuhaus und Präsident Zingler waren und sind es sowieso. Motto: U. n. v. E. U.! = Und niemals vergessen: Eisern Union.

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