Düstere Zukunft für den Eissport in der Provinz: Eishockey? Eiskunstlauf? Nein - Abriss!
Es steht schlecht um die Zukunft des Eissports in Deutschland. In Nordhorn wird nun womöglich die nächste Halle abgerissen.
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Es ist der erste Bürgerentscheid überhaupt in der Kommune. Zuvor sammelten Mitglieder der neu gegründeten Bürgerinitiative „Eis Entscheid – Pro Eissporthalle Nordhorn“ mehr als 10.000 Unterschriften und sorgten dafür, dass die Politik den Bürgerinnen und Bürgern die Entscheidung selbst überlässt. Etwa 115.000 Menschen dürfen an der corona-bedingten Briefwahl teilnehmen. Stimmt mehr als die Hälfte von ihnen für Ja, wird die Eissporthalle für etwa 6,5 Millionen Euro saniert. Das würde etwa zwei Jahre dauern. Fällt die Wahl negativ aus, dürfte die Halle bald abgerissen werden.
Bei einer Routineuntersuchung im August 2019 werden gefährliche Risse in den Holzleimbindern der Dachkonstruktion bemerkt. Das Dach ist einsturzgefährdet. Von heute auf morgen darf die Halle nicht mehr betreten werden. Die Sportler müssen zum Training ins 40 Kilometer entfernte Rheine fahren. 2006 starben 15 Menschen, als die Eissporthalle im bayrischen Bad Reichenhall einstürzte. Seitdem geht niemand mehr das geringste Risiko ein.
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Zu Hochzeiten war die Grafschafter Eissporthalle ein Tollhaus. Hier trafen sich fast 3000 Eishockeybegeisterte. Wenn die Ritter spielten, schien die ganze Stadt auf den Beinen. 1998 stieg der GEC Nordhorn in die 1. Bundesliga auf, im Eishockey paradoxerweise nur die zweithöchste nationale Liga. „Damals entstand ein echter Eishockeyboom. Auf den Straßen spielten plötzlich alle Kinder nur noch Hockey“, sagt Maik Holzke.
Als Goalie verbrachte sein halbes Leben in dieser Halle. Mit fünf Jahren stand er zum ersten Mal auf dem Eis und niemand spielte länger für die Nordhorner Vereine. „Falls sie die Halle wahrhaftig platt machen, habe ich Tränen in den Augen“, sagt er. Trotzdem kommt die Entwicklung für Holzke nicht plötzlich. „Der Landkreis hat die Halle absichtlich kaputtgespart. Wenn man ein Haus hat und 40 Jahre nichts ausbessert, dann geht es natürlich irgendwann kaputt“, so der gelernte Fliesenleger.
Die Verwaltung hält dagegen: Man habe die Halle definitiv nicht verkommen lassen. Die Nordhorner Halle wurde 1975 für 4,5 Millionen D-Mark gebaut. Schon jetzt sei die Halle weit über die auf 35 Jahre geschätzte Nutzungsdauer hinaus.
Nordhorn ist kein Einzelfall
Die Liste der baufälligen Eissporthallen in Deutschland ist lang: In Dinklage wurde die Halle saniert, die Hallen in Viernheim und Münster wurden abgerissen. In Timmendorf gab es einen und in Unna bereits zwei positive Bürgerentscheide. Das Erika-Heß-Stadion in Mitte wurde im Januar kurzerhand zum Impfzentrum umfunktioniert.
Unter dem Motto „Sport für alle“ wurden zwischen 1961 und 1975 in ganz Westdeutschland neue Sportstätten gebaut. 17 Milliarden D-Mark wanderten als Teil des Goldenen Plans in den Bau von Spielplätzen, Sporthallen, Freibädern und auch Eissporthallen. „Viele Hallen sind inzwischen 40 oder sogar 50 Jahre alt. Damals wurden noch ganz andere Materialien benutzt. Es ist normal, dass die alten Hallen kaputt gehen“, erklärt der Technische Direktor des Deutschen Eishockey Bundes, Michael Pfuhl. Dennoch setzt sich der DEB für den Erhalt der Halle ein.
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Beim Blick auf die reinen Zahlen wird klar: Eine Eissporthalle wirtschaftlich zu betreiben ist nahezu ausgeschlossen – zumindest ohne hochklassigen Profisport. Rund 400.000 Euro kostet den Landkreis Grafschaft Bentheim die Halle pro Jahr. Die Betriebskosten sind hoch, die Einnahmen niedrig. Somit wird jeder der gut 20.000 Besuche jährlich mit etwa 20 Euro subventioniert.
Doch das gilt auch für viele anderen öffentlichen Institutionen einer Stadt: Deutschlandweit wird jede Theaterkarte im Durchschnitt mit fast 80 Euro bezuschusst, jeder Schwimmbadbesuch mit 5 Euro. Parks, Museen, öffentliche Sporthallen und Sportplätz, sie alle sind rein ökonomisch betrachtet ein Minusgeschäft. Und doch verbessern sie das Leben vieler Menschen.
„Es ist immer noch eine der schönsten Hallen Niedersachsens“, sagt Maik Holzke. Er hofft, dass genug Menschen für die Sanierung der Halle stimmen, auch wenn sie sie selbst nicht nutzen. Natürlich könne man die Finanzen nicht außer Acht lassen, aber es gehe doch um mehr als das. Die Grafschafter Bürger:innen werden am Sonntag für sich entscheiden müssen, wie viel ihnen die Halle und der Eissport wert sind. „Es wird eine ganz knappe Kiste“, glaubt Holzke.
Luca Füllgraf
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