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Die Hand am Pott - allerdings nur einem aus Plastik. Bruno Soares feiert mit seinen Duisburger Teamkollegen den Sieg über Energie Cottbus und den Einzug ins DFB-Pokalfinale.

© imago sportfotodienst

Evergreens des Fußballs (12): Ein Hauch von Wembley an der Wedau

2011 trafen der MSV Duisburg und Energie Cottbus noch im Halbfinale des DFB-Pokals aufeinander. Seitdem ging es für beide Klubs bergab.

Über zwei Monate gab es keinen Fußball mehr. Nicht mal ein Testspiel aus dem Trainingslager im Süden, in dem die B-Mannschaft des eigenen Klubs gegen einen rumänischen Zweitligisten antrat. Jetzt geht es wieder los und unsere Serie zu legendären Spiele endet mit einem letzten Klassiker: Das DFB-Pokal-Halbfinale 2011, MSV Duisburg - Energie Cottbus.

Am 1. März 2011 wird dem MSV Duisburg etwas zuteil, worauf er fast 13 Jahre warten musste: bundesweite sportliche Relevanz. Der Zweitligist empfängt an diesem Dienstagabend mit dem FC Energie Cottbus einen weiteren Zweitligisten im DFB-Pokal-Halbfinale. Es geht um viel Geld, Ruhm und Berlin.

Das letzte Mal, dass der Meidericher Spielverein im ganzen Land Thema war, endete schmerzhaft. Ebenfalls DFB-Pokal, ebenfalls Berlin. Die Zebras führten 1998 im Finale gegen die Bayern mit 1:0, als Michael Tarnat den Duisburger Stürmer Bachirou Salou aus dem Olympiastadion grätschte – und damit quasi das Spiel zu Gunsten der Münchner entschied.  „Wäre Salou auf dem Platz geblieben, hätten wir den Pokal nicht gewonnen“, sagte Mehmet Scholl später.

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Was für den MSV folgte, waren Fahrstuhljahre. Zweimal stieg der Klub noch in die Bundesliga auf, zweimal direkt wieder ab. Ab 2008 wird der „Zebratwist“, die älteste Stadionhymne Deutschlands, bis zu diesem 1. März 2011 nur noch in der Zweiten Liga gespielt.

Aber das ist an diesem Abend egal. Das Wedaustadion, wo sich im Ligaalltag nur rund 14.000 Zuschauer für die Heimspiele einfinden, ist komplett ausverkauft. Auf solche Abende, das weiß jeder Besucher, muss und wird man danach vermutlich lange warten. In Duisburg, wo, wie böse Zungen behaupten, mehr Fans vom FC Schalke 04 oder von Borussia Dortmund wohnen als vom ortsansässigen MSV.

In Cottbus stürmte der junge Nils Petersen

Der schickt eine Mannschaft ins Rennen, die sich größtenteils aus einstigen Bundesliga-Profis und jungen Talenten zusammensetzt. Beim FC Energie stürmt der junge Nils Petersen. Das Spiel ist zunächst nicht gut. Es ist ein klassischer Pokalfight zweier Zweitligisten, die die Aussicht auf das Endspiel zu Fehlern zwingt. Die Ballannahmen sind nicht immer sauber, die Pässe oft ungenau, die Grätschen knackig. Nach 24 Minuten köpft Cottbus‘ Innenverteidiger Uwe Hünemeier Duisburgs Stürmer Stefan Maierhofer den Ball an den Kopf – Tor, 1:0, die Wedau bebt. „Mir wurden die Größe und ein dicker Kopf geschenkt. Ich habe die Augen zu gemacht und den Ball auf die Nase bekommen. Als ich sie wieder geöffnet habe, war er drin“, sagt Maierhofer später.

Der FC Energie kommt erst zu Beginn der zweiten Halbzeit ins Spiel, fängt sich durch einen Konter aber direkt den nächsten Tiefschlag. Ivica Banovic enteilt auf dem rechten Flügel und legt den Ball quer, wo der Strafraumlungerer Srdjan Baljak problemlos einschiebt. Duisburg träumt vom vierten Pokalfinale, von blau-weißen Zebrastreifen auf den Autobahnraststätten der A2 Richtung Bundeshauptstadt. Dann foult Duisburgs Bruno Soares den Cottbuser Jules Reimerink im Strafraum, fliegt vom Platz, und bekommt in den Katakomben mit, wie Nils Petersen den fälligen Strafstoß zum 1:2 verwandelt. Zwölf Minuten sind noch zu spielen, und plötzlich träumt in Duisburg niemand mehr. Wie schnell im Sport die ungebremste Euphorie einer bibbernden Panik weichen kann, das wird niemals alt.

Alle Reklamierarme gingen hoch

Und plötzlich wird Duisburg zu Wembley. In der 90. Minute überlupft Jules Reimerink Duisburgs Torwart David Yeldell, Uwe Hünemeier köpft den Ball auf das verwaiste Tor des MSV. Linksverteidiger Olivier Veigneau rauscht heran und drischt denn Ball im Fliegen von der Linie. Es ist aufgrund des Spielstandes, der Wichtigkeit der Partie und des Zeitpunktes der Aktion kaum möglich, einen Ball spektakulärer zu klären.

Bei den Cottbusern gehen alle zur Verfügung stehenden Reklamierarme hoch, doch es folgt kein Pfiff. Die TV-Bilder können nicht hundertprozentig belegen, ob der Ball mit vollem Umfang die Linie überschritten hat. Der MSV übersteht in der Folge noch eine weitere Großchance und fährt dann nach Berlin.

Im Olympiastadion sind die extrem verletzungsgeschwächten Meidericher gegen die großen Schalker chancenlos, sie verlieren 0:5, werden vor allem während der letzten 20 Minuten des Spiels von ihren Fans aber pausenlos gefeiert. „Olé, Olé, Meidericher SV“, hallt es vom Marathontor auf den Rasen. Die letzten Minuten von Berlin gelten noch heute in Duisburg als einer der ikonischsten Momente der Vereinsgeschichte.

Dieses Halbfinale zwischen Duisburg und Cottbus markierte für beide Klubs den letzten echten Höhepunkt. Der MSV erlebte danach erneut Fahrstuhljahre, aber zwischen Zweiter und Dritter Liga, einen finanziellen Zwangsabstieg inklusive. Der FC Energie stieg bis in die Regionalliga ab. Nie mehr seitdem trafen zwei Zweitligisten im Halbfinale des Pokals aufeinander. Bis zur bundesweiten Relevanz dürfte es für beide Teams wieder dauern.

In dieser Serie erschienen: DFB-Pokalfinale 1973 Borussia Mönchengladbach - 1. FC Köln , DFB-Pokalfinale 1993 Hertha BSC Amateure - Bayer 04 Leverkusen , WM-Finale 1974, Bundesrepublik Deutschland - Niederlande , Uefa-Cup-Finale 2001, FC Liverpool - Deportivo Alaves , DFB-Pokalfinale 1998, MSV Duisburg - Bayern München , Champions-League-Finale 1997, Borussia Dortmund - Juventus Turin , Europapokal der Pokalsieger 1985/86, Viertelfinale, Bayer Uerdingen - Dynamo Dresden , WM-Halbfinale 2006, Deutschland - Italien , Bundesliga 2008/09 Hertha BSC - Bayern München , DFB-Pokal 1984, Halbfinale, Borussia Mönchengladbach - Werder Bremen , WM 1982, Zwischenrunde, Brasilien - Italien.

Louis Richter

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