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Sport: Global denken, lokal spielen

Die Projekte von Streetfootballworld bringen Jugendliche aus verfeindeten Gruppen zusammen

Berlin - Raimundos Rastazöpfe, einer rot, einer gelb, die anderen pechschwarz, springen auf und ab, als er über den Asphalt rennt. Es ist Nachmittag, die Sonne brennt auf die zwölfspurige Hauptstraße Avenida Nueve de Julio in Buenos Aires. Autos fahren hier heute nicht. Die Straße ist gesperrt, und die Kicker vom Projekt Streetfootballworld haben drei Quadrate zum Fußballspielen abgetrennt, jeweils zwei Fahrbahnen breit. Rundherum stehen Zuschauer, Buden, Musiker. Raimundo, 19 Jahre alt und aus einem Vorort von São Paulo, rennt los, schießt, trifft – und die fünf Jugendlichen des gegnerischen Teams applaudieren. Denn diese Regel haben die zehn Fußballer vor dem Spiel vereinbart: Wenn der Gegner ein Tor schießt, wird geklatscht.

Solch eine Besonderheit ist typisch für die Jugendprojekte von Streetfootballworld, und einige dieser Länderprojekte haben sich Ende des vergangenen Jahres in Buenos Aires getroffen. Menschen über Fußball und Kultur zusammenzubringen, sei das Ziel von Streetfootballworld, sagt Vladimir Borkovic, einer der Mitbegründer. Bei Streetfootballworld ist er zuständig für das globale Netzwerk und Forschungsaktivitäten. Seine Eindrücke aus Buenos Aires sind noch sehr lebendig, als er im Berliner Büro von Streetfootballworld in Charlottenburg sitzt. Ein Kickertisch, Fußballtrikots und Bälle in den Regalen verweisen auf die Leidenschaft der Organisation. Und ein Spruch, mit Edding auf eine Metallpinnwand geschrieben: „Gebt Gas!“, steht da, unterzeichnet von Jürgen Klinsmann. Der Bundestrainer ist Schirmherr des Projekts.

Das große Ziel der Organisation ist die Weltmeisterschaft. Denn hier werden die Straßenfußballer ihre erste WM, genannt „Festival 06“, austragen – in Berlin auf dem Mariannenplatz. Der Weltfußballverband Fifa unterstützt die Organisation – bisher nur moralisch, aber bald werde eine Kooperation unterzeichnet, sagt Federico Addiechi, Direktor der in diesem Jahr erst gegründeten Fifa-Abteilung für Corporate Social Responsibility, also soziale Verantwortung. In Leipzig stellte sich Streetfootballworld zum ersten Mal als offizieller Teil des WM-Programms vor. „Das Projekt passt gut in unsere Strategie, die Welt ein bisschen durch den Fußball zu verbessern“, sagt Addiechi.

Jugendliche aus 24 Ländern sollen zur WM nach Berlin kommen. In Argentinien haben sich sieben Nationen getroffen: Peru, Paraguay, Chile, Bolivien, Brasilien, Argentinien, und auch ein deutsches Team aus Stuttgart. Vladimir Borkovic hat schon erstaunliche Wandlungen mitbekommen. Der 31 Jahre alte Psychologe erzählt von einem palästinensischen Jungen, dessen Vater und Onkel in israelischen Gefängnissen waren, und der sich von da an als Rächer der Familie sah. Der mit zwölf Jahren beschloss, Selbstmordattentäter zu werden. „Nach wenigen Monaten im Fußballprojekt des ,Peres Center for Peace’ hat er jüdische Kinder als Freunde gewonnen, gemeinsam mit Israelis gespielt“, erzählt Borkovic.

Er ist selbst Serbe. Ein kroatisch-serbisches Team einmal in das Netzwerk einzubeziehen, würde ihn freuen, „aber nicht mehr oder weniger als bei anderen verfeindeten Volksgruppen, ich denke da global“. So gibt es etwa ein afrikanisches Projekt, das bei Streetfootballworld eingegliedert ist, in denen Hutu und Tutsi miteinander Fußball spielen. „Es ist immer wieder faszinierend, dass so ein einfaches Instrument wie Fußball Völker zusammenbringt, die sich noch vor zehn Jahren im Bürgerkrieg befanden“, sagt Borkovic.

Doch zurück zu Raimundo nach Buenos Aires. Bei den Straßenfußballturnieren gibt es genaue Vorgaben wie etwa die Spieldauer von zwei mal zehn Minuten. Das entspricht nicht gerade der Ungezwungenheit, die Straßenfußball eigentlich ausmacht. Vladimir Borkovic ist sich des Zwiespalts bewusst: „Ja, wir inszenieren zum Teil Straßenfußball. Aber wir machen es locker und so, dass Fußball ,straßig’ bleibt.“ So gibt es etwa keinen Schiedsrichter. Vor jedem Spiel vereinbaren die Kicker ihre Regeln. Das kann etwa sein: Mädchentore zählen doppelt. Ein Drittel der Spieler ist weiblich, und sie spielen immer in gemischten Teams: Zur Integration, aber auch, damit die Aggression aus dem Spiel genommen wird.

Raimundos Wettkampf endete übrigens mit einem zweiten Platz: Paraguay war noch stärker als die brasilianische Mannschaft. Fußballerisch, aber auch bei der Fairness. Denn beim organisierten Straßenfußball kann auch gewinnen, wer weniger Tore schießt, dafür aber genug Fairnesspunkte gesammelt hat – und die bestimmen die Teams gemeinsam.

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