
© AFP/Martin Bernetti
Hochspannung bis zum Schluss: Leo Neugebauer gewinnt Silber im Zehnkampf
Bis zum vorletzten Wettkampf hat Neugebauer gute Chancen auf die Goldmedaille, doch dann wächst der neue Olympiasieger über sich hinaut. Am Ende überwiegt aber die Freude.
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Es dauerte ein bisschen, aber dann kehrte das Grinsen zurück ins Gesicht von Leo Neugebauer. Erst war da Erschöpfung, dann Ratlosigkeit. Er blickte zur großen Anzeigetafel im Stade de France, genauso wie all die nach Luft ringenden Männer um ihn herum.
Die 1500 Meter waren absolviert, der olympische Zehnkampf von Paris war zu Ende – aber das Ergebnis ließ auf sich warten. Als es endlich in weißer Schrift auf blauem Grund aufleuchtete, sank der deutsche Zwei-Meter-Hüne, der wirkt, als könnte ihn nichts umhauen, erstmal zu Boden und lag platt auf der lila Bahn.
Der Norweger Markus Rooth hatte ihm bei seiner Mission Gold unverhofft die Show gestohlen und sich die Goldmedaille geholt, 8796 Punkte sammelte er in den zehn Disziplinen am Freitag und Samstag. Neugebauer holte sich mit denkbar knappem Abstand und 8748 Zählern Platz zwei, gefolgt von Victor Lindon aus Grenada (8711).
Erste Zehnkampf-Medaille seit 1996
Nach guter Zehnkampf-Tradition gingen die Athleten schließlich gemeinsam auf die Ehrenrunde, und da freute sich Neugebauer dann auch. Er strahlte und trug die deutsche Fahne um seine mächtigen Schultern. Seit 28 Jahren, seit dem Silber von Frank Busemann 1996 in Atlanta, hat kein deutscher Zehnkämpfer mehr eine olympische Medaille gewonnen.
Für Leo Neugebauer war die Goldmedaille außer Reichweite geraten, als über dem Stade de France der Regen einsetzte. Der Norweger Markus Rooth feuerte seinen Speer auf 66,27 Meter und vollendete sein schon beim Stabhochsprung begonnenes Überholmanöver.
Der Speerwurf war noch nie Neugebauers Sache, er kam in Paris auf 56,64 Meter – und das war gar nicht mal schlecht für ihn. Als er den deutschen Rekord im Juni bei den US-College-Meisterschaften auf 8961 Punkte schraubte und die Weltjahresbestleistung aufstellte, die ihn zum Favoriten in Paris machte, kam er auch nicht weiter.
Die Silbermedaille ist mir eine Ehre
Leo Neugebauer
Zu Beginn des Tages durfte der Zwei-Meter-Hüne auch noch hoffen, er war am Freitagabend als Führender in die Pause gegangen. Sein Hürdenlauf geriet dann am Samstagmorgen solide, er verlor nicht so viel seines Vorsprungs wie noch vor einem Jahr bei der WM in Budapest, rutschte aber dennoch zunächst auf Rang drei. Beim Diskuswurf holte sich Neugebauer die Spitzenposition zurück. Er ging zuversichtlich ins Stabhochspringen, schließlich ist das eine seiner besseren Disziplinen.
Dort nahmen sich dann zwei große Gegner erstmal selbst aus dem Wettbewerb: Tokio-Olympiasieger Damian Warner aus Kanada und der EM-Zweite Sander Skotheim aus Norwegen – nach dem Diskuswurf in Lauerstellung hinter Neugebauer – patzten bei ihren Einstiegshöhen. Es schien, als sei der Weg frei für den ersten großen Titelgewinn von „Leo the German“, wie er sich selbst bei Instagram nennt. „Erst nach dem Stabhochsprung weiß man so ungefähr, wo man liegt“, hatte Neugebauer am Abend zuvor zur Halbzeit gesagt.
Doch dann war es der junge Norweger Markus Rooth, der mit dem Stab über sich hinauswuchs und zum strahlenden Show-Man des Tages wurde. Er steigerte seine Bestleistung um 20 Zentimeter auf 5,30 Meter und ließ seiner Freude in überschwänglichem Gehopse freien Lauf. Vielleicht beflügelte ihn nach dem unverhofften Ausscheiden seines Team- und Vereinskollegen Sander Skotheim die Aussicht, sich den norwegischen Landesrekord zurückholen zu können. Das schaffte er dann auch.
Der Zweite war aber trotzdem am Ende sehr zufrieden. Leo Neugebauer genoss den großen Glücksmoment in den Armen der Eltern und Freunde. „Eine Umarmung von all den Leuten, die du am liebsten hast, zu bekommen, ist schon verrückt“, sagte der 24-Jährige. Bei Vater Terence und Mutter Diana kullerten Freudentränen, als ihr Sohn nach einem mitreißenden Zehnkampf überglücklich mit ihnen jubelte. Von Bedauern, dass er als Weltjahresbester nicht Gold gewonnen hatte, war nicht der Hauch einer Spur.
„Sie haben gesagt, dass sie sehr, sehr stolz auf mich und happy sind“, verriet Neugebauer. Beim Zehnkampf-Showdown im Stade de France feierte er die erste deutsche Medaille in der Königsdisziplin der Leichtathletik seit Frank Busemann 1996 in Atlanta. „Die Silbermedaille ist mir eine Ehre“, sagte der in den USA lebende Neugebauer. „Ich gehe heim mit einem Lächeln.“
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