zum Hauptinhalt

Sport: Holmenkollen im Allgäu

Oberstdorf will mit der Ski-WM das nordische Zentrum Mitteleuropas werden

Vor rund fünf Wochen meldete sich ein ungewöhnlicher Kunde in einer Oberstdorfer Skischule. Der neue Schüler stammte aus Sao Paulo in Brasilien, hieß Helio Freitas, und wollte das Skaten auf Langlaufski lernen. Jene Technik also, mit der sich ein Langläufer im freien Stil am schnellsten fortbewegen kann. Die anschließenden Stunden in den Oberstdorfer Loipen müssen einigermaßen erfolgreich gewesen sein, denn Helio Freitas wird am Donnerstag sogar ein Rennen in der Skating-Technik über 15 Kilometer bestreiten. Bei den Nordischen Ski-Weltmeisterschaften in Oberstdorf.

Ab heute erwartet Oberstdorf neben Helio Freitas rund 300 000 Gäste zum größten Ereignis, das je in der Gemeinde im Allgäu stattgefunden hat. 23 Millionen Euro hat die 10 000-Einwohner-Gemeinde seit 2000 in die Sportstätten investiert. „Wir hätten es auch weitaus günstiger haben können“, sagt Bürgermeister Thomas Müller, der auch dem Organisationskomitee vorsteht. Doch Oberstdorf hat ehrgeizige Ziele: Der Ort will mittelfristig das nordische Zentrum Mitteleuropas werden. Als Oberstdorf 1987 die Nordische Ski-WM erstmals ausrichtete, bezeichnete der damalige Präsident des Internationalen Skiverbandes, Marc Hodler, den Ort bereits als Holmenkollen Mitteleuropas. Dieses Prädikat will sich Müller nun dauerhaft sichern. „Ich hoffe, dass wir unser Ziel erreichen und die nordische Skiwelt ins Staunen versetzen.“

Dazu gilt es, in den elf Tagen nach der heutigen Eröffnungsfeier um18 Uhr in der Arena am Schattenberg einen guten Eindruck zu hinterlassen. Momentan schaufeln rund 100 der insgesamt 1580 Helfer den Schnee aus der Loipe, der seit dem Wochenende gefallen ist. Musste bei vergangenen Springen der Vierschanzentournee der Schnee oftmals aus dem hochgelegenen Ortsteil Ried herangebracht werden, geht es zurzeit in die entgegengesetzte Richtung. Die 19 Entscheidungen sind jedoch nicht gefährdet. „Wir packen das, selbst, wenn es so weiter schneien würde“, sagt Hans Lohr. Der Helfer schaufelt zurzeit im Langlauf-Stadion. Für die WM hat Oberstdorf die Schattenberg-Schanze umgebaut. An deren Fuß entstand eine Arena für 27 000 Zuschauer, im Ortsteil Ried schlängelt sich ein riesiges Loipennetz. Das Ziel befindet sich im neuen Langlaufstadion.

Die Veranstalter kündigen eine WM der Superlative an. Noch nie gab es eine so hohe Beteiligung. Zählt man Helio Freitas hinzu, werden 556 Athleten aus 52 Nationen um die Medaillen kämpfen. Vor zwei Jahren in Val di Fiemme waren es noch 436 aus 42 Ländern. Neben dem Brasilianer werden sich auch Sportler aus Südafrika, Algerien, Griechenland und Portugal im Langlaufen, Skispringen und der Nordischen Kombination versuchen. Die Favoriten aber kommen aus den traditionellen Ländern des nordischen Skisports. Bei der letzten WM führte Norwegen den Medaillenspiegel vor Deutschland an, das dreimal Gold und fünfmal Silber holte. Nun will der Verband die bis dahin beste WM-Bilanz noch übertreffen. Allerdings fällt Langläuferin Claudia Künzel für das Auftaktrennen (10 km Freistil) wegen einer Erkältung aus, und ob Titelverteidiger Axel Teichmann über 15 km starten kann, ist noch fraglich.

Wenn deutsche Medaillen erwartet werden, darf das Fernsehen nicht fehlen. ARD und ZDF übertragen 82 Stunden live. An der Anzahl der Kameras lässt sich die Entwicklung des Langlaufens in Deutschland ablesen. Als Oberstdorf im Jahr 2000 den Zuschlag für die WM erhielt, waren 15 Kameras vorgesehen. Nun werden es 59 sein. „Grausam“ sei das, sagte Teichmann dem „Spiegel“. „Für den Zuschauer auf dem Sofa mag das interessant sein, aber für den Sportler ist das belastend.“ Helio Freitas dürfte darüber anders denken. Die Vielzahl an Kameras gewährleistet immerhin, dass auch seine Fortschritte in der Skating-Technik in Deutschlands Wohnzimmern zu sehen sein werden.

Zur Startseite