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Zurück am Platz. Matthias Sammer, 49, in Wedding, wo er Berliner Talente schulte. Als Spieler gewann er die Champions League, als Trainer die Meisterschaft und als Sportvorstand das Triple mit den Bayern. Nun geht er unaufgeregte Wege, wie er sagt. Foto: Jensen/dpa

© dpa

Interview mit Matthias Sammer: "Ich fühlte mich als ein Getriebener"

Matthias Sammer spricht im Interview über seinen Rückzug beim FC Bayern, sein Leben nach dem Schlaganfall und neue Erfahrungen im Supermarkt.

Matthias Sammer steht in einer alten Fabrikhalle in Wedding, die ein deutscher Sportartikelhersteller zu einer Fußball- Base umgebaut hat. Vor einem halben Jahr hat der 49-Jährige die große Fußball-Bühne verlassen. Nach einem leichten Schlaganfall im vorigen Frühjahr, einem „Streifschuss“, wie er sagt, löste Europas Fußballer des Jahres 1996 seinen bis 2018 datierten Vertrag beim FC Bayern München als Sportvorstand auf. Er sei „glücklich“ mit dieser Entscheidung.

Nun ist der Europameister von 1996 als Talente-Mentor zur Basis zurückgekehrt. In einem einzigartigen Förderprogramm sind in den zurückliegenden sechs Wochen neun Berliner Jugendliche zwischen 16 und 19 Jahren in verschiedensten Bereichen von Spezialisten geschult worden, um ihrem Traum vom Profi-Dasein näher zu kommen. Sammer hat das Projekt intensiv begleitet und zahlreiche Einzelgespräche mit den jungen Fußballern geführt.

Herr Sammer, was gab den Ausschlag für Sie, an diesem Projekt mitzuwirken?

Jeder hat seinen Weg, und ich bin im Frühjahr mit Ereignissen konfrontiert worden, die mich veranlassten, über mein Leben nachzudenken. Dieses Förderprojekt hat mich interessiert, ich wollte mich mit Jugendlichen umgeben und ein bisschen davon zurückgeben, was mir im Fußball widerfahren ist. Ich habe Ihnen gesagt, Fußballprofi zu werden, ist etwas Privilegiertes, und dass wir ihnen es nicht abnehmen, ihren eigenen Weg zu gehen. Ich sagte: Ihr müsst gut sein, dann werdet ihr gesehen. Verfolgt euren Traum, aber wenn er nicht in Erfüllung geht, gibt es auch ein anderes lebenswertes Leben. Und darum geht es.

Sie haben das große Fußballgeschäft verlassen. Sie führen jetzt ein anderes Leben.

Ich möchte nun meinen eigenen Weg gehen. Ich durfte Spieler sein, ich durfte Trainer sein, ich durfte im Verband arbeiten und ich durfte bei einem der größten und besten Vereine weltweit Sportvorstand sein. Ich durfte alles erleben im Fußball – mit der gewissen Einzigartigkeit, in allen vier Positionen etwas gewonnen zu haben. Nun möchte ich reflektieren und einen unaufgeregten Weg gehen. Nach diesem Streifschuss, den ich erhielt, möchte ich mal innehalten. Jetzt etwas für immer auszuschließen, wäre falsch, weil die Gefühlswelt einem den weiteren Weg zeigen wird.

Ist das eine Erkenntnis, zu der Sie gelangt sind, oder haben Familie, Ärzte oder andere Dritte Sie dazu gezwungen?

Als ich das erlebt habe, war ich schon voll bei Sinnen. Aber mir war schon am Abend dieses Tages klar, dass es ein deutlicher Hinweis ist. Ich habe ihn versucht zu interpretieren, aber nicht emotional zu interpretieren. Die Ratio sagte mir rasch, es ist die Zeit zu reflektieren und es ist die Zeit, bei sich zu sein. Die Entscheidung fiel dann auch im Austausch. Ich bin heute fit, vielleicht fitter denn je, ich bin gesund, es geht mir gut. Jetzt bin ich dankbar für meinen Weg.

Wegen einer bakteriellen Infektion mussten Sie 1999 Ihre Spielerkarriere beenden, nun zwang Sie eine Durchblutungsstörung im Gehirn zur Aufgabe. Was macht es mit Ihnen, dass bestimmte Ereignisse Ihnen solche Entscheidungen förmlich aufzwingen?

Manchmal gibt es Wendepunkte im Leben, die im Moment schwierig sind, das Leben aber bereichern. Ich meine jetzt zu spüren, dass es wichtig ist, eine innere Balance für sich zu finden. Die Infektion damals habe ich als viel schlimmer empfunden als die jetzige Situation, weil es mich damals körperlich gehemmt hat und die Karriere so abrupt geendet ist. Die Entscheidung jetzt war eine, die man so nicht treffen muss. Ich habe mal einfach auf meine Gefühlswelt gehört. Ich wollte diese Intensität nicht mehr.

Wann haben Sie sich das letzte Mal so frei gefühlt wie jetzt?

Vielleicht als kleiner Junge? Ja, das stimmt. Das fühlt sich auch so an. Das Leben ist interessant und spannend. Ich wollte immer mal zwei, drei Sachen machen, dafür muss man sein Leben umstellen. Auch in der Konsequenz, sonst fühlt man sich irgendwann damit unwohl.

Sie haben nach 35 Jahren Leistungs- und Profisport erstmals Kontakt mit der Basis. Was ist daran das Schönste, etwas, was Sie fast schon vergessen hatten?

Ich kann nur vom Augenblick sprechen. Die Zeit ist extrem spannend. Was mir im Moment imponiert, ist die Einfachheit des Lebens. Wenn ich zu Hause mit meiner Frau zum Einkaufen gehe und völlig fasziniert bin, was es alles zu kaufen gibt in einem Supermarkt. Lachen Sie nicht. Ich war dann mal allein da und wusste gar nicht, wo ich zahlen kann, weil es dort Selbstzahlerkassen gab, an der man seine Produkte selbst einscannen musste. Wissen Sie, was ich gerade empfinde? Nicht mehr getrieben zu sein.

Fühlten Sie sich als ein Getriebener?

Ja, aber man darf jetzt nicht den Fehler machen, dass ich das jetzt negativ sehe. Zum Leistungssport gehört das schon auch dazu. Ich bin heute voller Dankbarkeit. Selbst dieses Projekt hier in Berlin hat etwas mit Einfachheit, mit Ursprünglichkeit zu tun, die mich bewegt und begeistert. Und ich bin froh, dass ich das so fühlen kann nach so langer Zeit in diesem harten Geschäft.

Welche Botschaft haben Sie als Projekt-Mentor für die Talente?

Die wichtigste Botschaft ist: Jeder muss seinem Leben Inhalt und Rhythmus geben, um Zufriedenheit finden zu können. Die habe ich auch früher empfinden können, bei allem Stress als Spieler und als Vorstand. Nur heute viel intensiver. Ich muss nicht daran denken, was ich morgen tun muss, um am Samstag zu gewinnen, oder am Mittwoch in der Champions League. Ich nehme heute mein Umfeld in einer Intensität wahr, die ich lange nicht mehr kannte.

Dann schließen Sie eine Rückkehr auf die große Fußball-Bühne doch aus?

Ich würde es von meiner Gefühlswelt abhängig machen. Ich kann Ihnen jetzt nicht sagen, was ich in zwei oder drei Jahren fühle. Aktuell möchte ich das Projekt und ein, zwei andere Themen auf mich wirken lassen. Ich werde herausfinden, in welche Richtung es dann geht. Vielleicht bleibt es so wie jetzt. Die Freiheit nehme ich mir einfach.

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