
© dpa/Arne Dedert
„Ich muss meine Emotionen im Griff haben”: Unions Trainer Steffen Baumgart zeigt in Frankfurt Licht und Schatten
Das 4:3 von Union in Frankfurt hat gezeigt, dass Trainer Baumgart nicht nur Emotionen verkörpert, sondern auch taktische Raffinesse. Und dass sich Genie und Wahnsinn bei ihm nie ganz trennen lassen.
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Steffen Baumgart ist schon seit neun Monaten Trainer des 1. FC Union Berlin. In dieser Zeit hat er eine Menge erlebt. Ernüchternde Niederlagen, erlösende Siege, den Klassenerhalt. Einen Transfer-Sommer voller Unruhe. Doch in seiner gesamten Amtszeit gab es bislang wohl keinen Tag, der so sehr nach Steffen Baumgart roch, wie dieser verrückte Sonntag im September.
Der 4:3-Sieg des 1. FC Union in Frankfurt ergab eigentlich viele Narrative. Da wäre etwa der Dreierpack von Neuzugang Oliver Burke, die emotional aufgeladene Rückkehr des wechselwilligen Diogo Leite oder die neuesten Heldentaten des Torhüters Frederik Rönnow. Der Hauptdarsteller war am Ende dann doch der Trainer. Im guten wie auch im schlechten Sinne.
„Wir freuen uns über die für uns sehr wichtigen Punkte in einem sehr emotionalen Spiel“, resümierte ein etwas erschöpft wirkender Baumgart später auf der Pressekonferenz. In den Minuten danach fiel das Wort Emotion dann fünfmal. Emotionen waren ja immer Baumgarts Spezialität. Auch deswegen haben ihn die Union-Fans schon als Spieler schnell ins Herz geschlossen. Doch an diesem Tag waren die Emotionen nur die halbe Geschichte.
Denn zuallererst war der Triumph über Frankfurt kein Sieg der Emotionen, sondern einer des Fußballtrainers Steffen Baumgart. Das zeigten nicht zuletzt die fantastischen Leistungen der drei Stürmer. Burke schnappte sich mit seinen drei Toren den Spielball nach Abpfiff. Ilyas Ansah spielte mitunter, als könnte er eine Premier-League-Mannschaft am Ende der kommenden Saison gleich 80 Millionen kosten. Andrej Ilic erkämpfte sich mit seiner ruhigen Arbeit im Hintergrund gleich vier Assists.
Baumgart mit genialer Systemumstellung
Dass diese drei solch eine Leistung abrufen konnten, lag vor allem an einer sehr simplen und trotzdem genialen Idee von Baumgart. Seit seiner Ankunft gibt es nämlich ein Dauerproblem in der Traumbeziehung zwischen Trainer und Verein: Baumgart wollte immer im System 4-3-3 spielen, hatte aber eine Mannschaft, wenn nicht einen gesamten Verein, der auf 5-3-2 angewiesen war. Lange gab es dafür einfach keine Lösung. Spielte er mit der Viererkette, fiel Union hinten zusammen. Spielte er mit der Dreierkette, ging vorne so gut wie gar nichts.
Das Problem hat er jetzt gelöst, und zwar mit der guten alten deutschen Methodologie der Dialektik. Hast du These und Antithese, liegt der Fortschritt in der Synthese. Das heißt in diesem Fall: sowohl mit drei Stürmern als auch mit drei Innenverteidigern zu spielen. Das Union-System bleibt mehr oder weniger bestehen, aber nun mit Baumgartscher Note.
Schon gegen Hoffenheim hat das gut funktioniert, nur ohne Punktgewinn. Gegen Frankfurt hingegen war der Erfolg des Systems am Ende spielentscheidend. „Viel von dem, was wir uns vorgenommen haben, hat heute funktioniert“, sagte Baumgart.
Dabei war es nicht nur die große Systemfrage, die Baumgart gut gelöst hat. Es gab auch kleinere Triumphe, die von seinen Qualitäten als Anführer zeugten. Etwa ein Leopold Querfeld, der trotz heftiger – und berechtigter – Kritik in den letzten Wochen ganz ohne Angst spielte und dafür ein Extra-Lob vom Trainer erhielt. Ein Derrick Köhn, der bei seinem Startelf-Debüt so souverän verteidigte, als hätte er schon fünf Jahre in Berlin gespielt.
Das waren auch die Verdienste eines Trainers, der deutlich facettenreicher ist, als die gängige Karikatur von ihm einen manchmal glauben lässt. Jenseits der Schiebermütze und der Seitenlinie-Gestik gibt es auch einen Alleskönner, der Gegensätze gut harmonieren lässt und die Emotionen eines Spiels oder einer Situation oft genau richtig zu kanalisieren weiß.
Baumgart verhielt sich wie ein pöbelnder Vater in der F-Jugend
Womit wir wieder bei diesem E-Wort wären. Und damit auch zwangsläufig bei der anderen Seite des Sonntags. Denn bei allen Erfolgen wird dieses Spiel auch deshalb in Erinnerung bleiben, weil Baumgart eine der unnötigsten Roten Karten der Bundesliga-Geschichte kassierte und damit seine Mannschaft beim Spielstand von 3:4 für die letzten Minuten im Stich ließ.
Ich muss gucken, dass ich meine Emotionen im Griff habe. Das war mein Fehler, mein Ding, womit ich umgehen muss.
Steffen Baumgart über seine Rote Karte kurz vor Schluss
Auf den Fernsehbildern war zu sehen, wie Baumgart nach der VAR-Entscheidung zum Frankfurter Elfmeter einen Mittelfinger gezeigt hatte und später aus dem Frust heraus eine Papierkugel wegkickte. Das war jedoch nur ein Teil des mehrminütigen Wutanfalls, in dem er an der Seitenlinie wie ein Kind herumtobte. Oder noch schlimmer: wie ein pöbelnder Vater in der F-Jugend.
Seine zwei gelben Karten waren mehr als verdient, wie er später auch selbst einräumte. „Ich muss gucken, dass ich meine Emotionen im Griff habe. Das war mein Fehler, mein Ding, womit ich umgehen muss. Ich habe den Schiedsrichtern auch gesagt, dass sie in der Situation mit mir alles richtig bewertet haben“, sagte Baumgart.
Entschuldigen wollte er sich trotzdem nicht. Er sei auch „zu emotional“, um zu versprechen, dass so etwas nicht wieder passiert. Was vielleicht blöd klingt und doch irgendwie seinen Sinn hat. Dieser Sonntag hat zwar nochmal gezeigt, dass Steffen Baumgart deutlich mehr ist als seine Emotionen. Aber ohne seine Emotionen kann man Steffen Baumgart auch nicht haben.
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