Sport: Im gelben Bereich
Von Hartmut Scherzer Reims. Bevor er sich die beiden Hemden überstreifte, holte sich Erik Zabel hinter der Bühne Küsse von seiner Frau Cordula ab.
Von Hartmut Scherzer
Reims. Bevor er sich die beiden Hemden überstreifte, holte sich Erik Zabel hinter der Bühne Küsse von seiner Frau Cordula ab. Einen fürs Grüne, einen fürs Gelbe Trikot. Endlich klappte das, was dem Radstar des Teams Telekom an seinem 32. Geburtstag und auf der Deutschland-Etappe der Tour de France nicht geglückt war. Um 17.23 Uhr stieg Erik Zabel unweit der Kathedrale von Reims zur doppelten Ehrung aufs Podium. Zum zweiten Mal nach 1998 schlüpfte der Weltranglistenerste ins begehrteste Stück Stoff des Radsports. Anschließend auch noch zum 80. Mal ins Grüne. „Zabel en jaune, Zabel en vert“, schrie der Tour-Sprecher in die Menge auf dem Boulevard Joffre.
Vier Sekunden Gutschrift hatte er unterwegs eingesammelt, und für den zweiten Platz im Spurt hinter dem australischen Meister Robbie McEwen erhielt Zabel auch noch einen Bonus. Das reichte, um dem jungen Schweizer Rubens Bertogliati die Tour-Führung zu entreißen. „Das ist Balsam für meine Mannschaft, bei der ich mich für die Unterstützung bedanke. Das Trikot hebt die Stimmung“, sagte Erik Zabel. Das Team kämpft immer noch mit Jan Ullrichs Drogen-Affäre.
Vielleicht hielt sich deshalb Zabels Freude in Grenzen. Womöglich aber auch, weil ihm erneut nicht der ersehnte zwölfte Etappensieg gelang. „Wenn ich ehrlich bin, fühle ich mich jetzt auch nicht anders als gestern. Es ist natürlich ein schöner Moment, und das Gelbe Trikot wird auch einen Ehrenplatz bei mir zu Hause bekommen“, sagte Zabel. „Aber die Welt dreht sich deswegen nicht anders oder schneller. Wenn es nicht die Tour wäre, wäre es ein guter Moment, die Koffer zu packen und nach Hause zu fahren.“ Ob er denn nicht glücklich sei nach den Enttäuschungen von Luxemburg und Saarbrücken? Der 32-jährige Berliner mit Wohnsitz in Unna lächelte. „Ich kann mich gar nicht mehr so aufraffen zu einer großen Trauer oder einer großen Freude. Über die Jahre relativieren sich derlei Gefühle." Erik Zabel weiß auch, dass er nur einen Tag lang im Gelben Trikot durch Frankreich radeln wird. Heute ist Mannschaftszeitfahren, „und davor haben wir alle die Hosen voll“, sagte Zabel. In dieser Disziplin fehlen mit Ullrich, Winokurow und Klöden die Spezialisten, um die Sekunden-Abstände zu verteidigen.
Nach 174,5 Kilometern von Metz nach Reims führt Zabel mit acht Sekunden Vorsprung vor McEwen, 14 Sekunden vor Bertogliati, 17 Sekunden vor Laurent Jalabert und Lance Armstrong. Dessen US-Postal-Team war im letzten Jahr 24 Sekunden schneller als das Team Telekom – und das mit Ullrich, Klöden und Winokurow in der Mannschaft. Im Kampf ums Grüne Trikot, das er zum siebten Mal in Paris über die Champs Elysées tragen möchte, führt der Telekom-Kapitän mit fünf Punkten (96:91) vor McEwen.
Zwei Ausreißer, Jacky Durand und Franck Renier, drohten zunächst abermals einen Strich durch die Telekom-Rechnung zu machen. Die beiden Franzosen waren nach sechs Kilometern ausgerissen, hatten zeitweise zehn Minuten Vorsprung, kassierten bei den drei Sprintwertungen die Gutschriften, und wurden erst acht Kilometer vor dem Ziel wieder eingefangen. Das war auch nötig, denn Renier war mit einem Rückstand von 41 Sekunden in Reims losgefahren, 160 Kilometer lang war er der erste Anwärter auf das Gelbe Trikot. Beim ersten Sprint hatte noch Bertogliatis Teamgefährte Svorada dem Deutschen die zwei Sekunden für den dritten Platz weggeschnappt. Bei den nächsten beiden Bonus-Spurts ließ sich Zabel aber die Gutschrift von jeweils zwei Sekunden nicht nehmen, zog erst mit Bertogliati gleich und hatte später zwei Sekunden Vorsprung vor dem Träger des Gelben Trikots.
Die Lotto-Mannschaft McEwens und das Team Mapei des Weltmeisters Oscar Freire (Spanien) machten die Hauptarbeit beim Finale. Erik Zabel taktierte diesmal anders, hielt sich am Hinterrad des australischen Meisters. McEwen schaute sich bei höchstem Tempo kurz um und machte einen Schlenker, als Zabel aus seinem Windschatten auf den letzten fünfzig Metern vorbeisprinten wollte. Das Manöver war zwar kein Foul, aber doch eine Behinderung, die dem Deutschen den Schwung nahm.
„Ich wusste, dass ich das Gelbe Trikot hatte und dass Freire und McEwen die schärfsten Rivalen im Endspurt sein würden“, schilderte Erik Zabel. „Ich glaube, ich habe bei den Zwischensprints ein bisschen viel Substanz gelassen.“ Noch nie dürfte Zabel eine Niederlage im Sprint so gleichgültig gewesen sein. Cordula Zabel weiß vielleicht am besten, was ihr Mann wirklich fühlte. Sie sagte: „Ein Tag in Gelb ist doch wunderbar.“ Wer wollte da widersprechen.
NAME