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Sport: Ist das wirklich Deutschland?

Mit dem Sieg in Tschechien ist die Nationalmannschaft endgültig in der Moderne angekommen

Stand:

Es war kurz vor Ende der ersten Halbzeit, als in der Toyota-Arena zu Prag eine Corrida gegeben wurde. Die Stiere hatten die roten Tücher selbst mitgebracht, es waren die Trikots, in denen sie steckten. Wütend hetzten sie nach dem Ball, den die Matadore durch ihre Reihen laufen ließen. Diese trugen weiße Uniformen, jeder berührte den Ball nur ein einziges Mal, und bei jeder Berührung riefen die Zuschauer „Hepp“, natürlich nur die deutschen, denn die tschechischen hatten längst den Spaß verloren.

In diesen Minuten artete das Spiel in eine Demütigung aus. In den restlichen war es allemal eine Lehrstunde, die Deutschlands Fußball-Nationalmannschaft den Tschechen erteilte. Dass am Ende nach zwei Toren von Kevin Kuranyi ein 2:1-Sieg stand, der die Kräfteverhältnisse kaum angemessen widerspiegelte, war den Matadoren egal. „Da war so viel Spielfreude, dass die Jungs gar nicht mehr ans Ergebnis gedacht haben“, sagte Manager Oliver Bierhoff. Und Verteidiger Christoph Metzelder fand: „Das war moderner Fußball.“

Ja, es war Fußball, das muss man sich noch einmal in Erinnerung rufen, weil die Deutschen in dieser Sportart vor gar nicht so langer Zeit vor dem Absturz zu einer B-Nation standen. Nach einem 1:4 in Florenz gegen Italien waren sie daheim als Deppen beschimpft worden, nicht würdig, das Land bei der WM im eigenen Land zu vertreten. Fast genau ein Jahr ist das jetzt her, und es ist alles ganz anders gekommen. So rasend schnell, dass einem Spiele wie das in Prag schon beinahe selbstverständlich erscheinen.

Dieser Sieg beim stärksten Gegner in der Qualifikation zur EM 2008 ist Zeichen einer seltsamen Kontinuität. Neun Spieler, die am 1. März 2006 das Debakel von Florenz zu verantworten hatten, standen auch in Prag auf dem Platz. „Heute wissen wir: Wenn wir gut spielen, ist es für jeden Gegner sehr schwer, uns zu schlagen“, sagte Philipp Lahm, und Metzelder fügte hinzu: „Die WM war natürlich super. Aber die größere Leistung ist, dass wir die Euphorie mit in den Alltag genommen haben.“

Solche Sätze hört Bundestrainer Joachim Löw gern. Sie stehen für das Wissen, dass es sich bei Spielen wie dem in Prag eben nicht nur um eine Momentaufnahme, einen zufällig erwischten guten Tag handelt. Sein Vorgänger Jürgen Klinsmann steht für den Motivationsschub, den die Nationalmannschaft nach den Jahren sportlicher Lethargie brauchte. Er war der Projektmanager für die WM. Das fußballerische Gehirn hinter der neuen deutschen Fußballkunst aber ist Löw. Er war es schon vor und während der WM, nur ist es da kaum jemandem aufgefallen wegen Klinsmanns dominanter Rolle in der Öffentlichkeit. Jetzt zeichnet Löw auch formal verantwortlich für den mitreißenden Stil: die Spieleröffnung aus der Innenverteidigung, den Verzicht auf temporaubendes Quergeschiebe, den Mut zum schnellen Pass in die Tiefe. In ihrer besten Phase spielten die Deutschen in Prag Ein-Kontakt-Fußball, wie ihn der FC Arsenal in London zum Sinnbild der Moderne gemacht hat.

Strategen wie Bernd Schneider und Michael Ballack sind dank ihrer technischen Qualitäten perfekt geeignet für diesen Stil. Aber auch ein eher grobmotorisch veranlagter Spieler wie Kevin Kuranyi fügte sich in Prag problemlos ein. Mit einem Direktpass auf Lukas Podolski leitete der Schalker den spektakulärsten Spielzug ein. Über zwei Stationen kam der Ball aus dem deutschen in den tschechischen Strafraum. Am Ende der Kette wollte es Schneider zu schön machen und vertändelte. „Das war vielleicht das einzige Manko“, sagte Löw. „Wir hätten schnell ein drittes Tor machen müssen“, dann wäre den Deutschen die finale Zitterpartie erspart worden. Obwohl: So richtig zittern mussten sie in Prag nicht einmal nach dem Anschlusstor zum 1:2. Dieses Tor war nicht Ausdruck tschechischen Aufbäumens, sondern ein abgefälschter Glückstreffer von Milan Baros.

Fundament der deutschen Souveränität war das intelligente Abwehrmanagement. Kein Grätschen, Foulen, Knüppeln. „Wir haben es geschafft, den Tschechen mit fairen Mitteln ihre Stärke zu nehmen“, sagte Löw. Auf den Außenpositionen der Viererkette machten Lahm und Marcell Jansen das Spiel schnell. Innen kontrollierten Per Mertesacker und Metzelder das Geschehen. Wann kommt es schon einmal vor, dass sich eine technisch so gute Mannschaft wie die tschechische über 90 Minuten keine richtige Torchance erspielt? Baros schaffte gerade ein spektakuläres Dribbling, und das auch nur im Mittelfeld. Tomas Rosicky mag bei Arsenal in der Form seines Lebens sein. Am Samstag ging er über weite Strecken unter. Und Jan Koller, einer der besten Strafraumstürmer Europas, kam im Strafraum kaum einmal an den Ball, nicht einmal bei hohen Flanken, auf die sich die Deutschen bestens vorbereitet hatten. Löw wählte zur Charakterisierung der Abwehrarbeit einen eher bescheidenen Ausdruck: „absolut zufriedenstellend“.

Sein Kollege Karel Brückner ertrug die Vorführung mit selten erlebter Ergebenheit. „Wir haben lange nicht mehr gegen eine so starke Mannschaft gespielt“, sagte der tschechische Trainer. Vor knapp drei Jahren noch galten die Tschechen als eine Nummer zu groß. Bei der Europameisterschaft 2004 konnte es sich Brückner leisten, zum letzten Vorrundenspiel gegen die Deutschen eine bessere B-Mannschaft aufzubieten, es reichte immer noch zu einem 2:1-Sieg. Den Samstag schloss er mit der Erkenntnis, „dass wir noch nicht so weit sind, um mit einer Spitzenmannschaft mithalten zu können“.

Wie sicher sich die Deutschen ihrer Sache waren, zeigte sich in einer Auswechslung kurz vor Schluss. Joachim Löw nahm zwar den Stürmer Podolski vom Platz, aber er brachte dafür nicht einen Verteidiger, sondern Thomas Hitzlsperger, immerhin einen Mittelfeldspieler. Als auch die dreiminütige Nachspielzeit ohne jedes gefährliche Moment verstrichen war, feierten die Deutschen keineswegs ausgelassen, sie klatschten sich routiniert ab und bedankten sich bei den mitgereisten Fans. So viel Souveränität war selten. War das schon das perfekte Spiel? „Nein, das perfekte Spiel gibt es im Fußball nicht“, sagte der Bundestrainer. „Man kann immer nur versuchen, möglichst nahe ranzukommen.“ So nah dran wie am Samstag in Prag war eine deutsche Mannschaft lange nicht mehr.

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