Sport: Jetzt ist Lehmann dran
Am Sonntag bei Arsenal, heute in der Nationalelf: Der 35-Jährige darf wieder das Tor hüten
Blass sah er aus, der Jens Lehmann. Wie nach einer durchzechten Rosenmontags-Nacht. Er schlappte mit offenen Turnschuhen an den Füßen durch die Lobby des Düsseldorfer Mannschaftshotels. Vor seinem Bauch trug der deutsche Nationaltorwart eine Flasche Mineralwasser, aus der er gelegentlich nippte. Eigentlich hätte Lehmann den Weg durch die Halle vor Freude hüpfend zurücklegen müssen. Das wäre der Botschaft des Tages durchaus angemessen gewesen. Nicht Oliver Kahn, sondern Jens Lehmann wird heute gegen Argentinien das deutsche Tor hüten. Damit verschärft Bundestrainer Jürgen Klinsmann trotz aller öffentlichen Kritik ganz bewusst den Konkurrenzkampf im deutschen Tor.
Um die für Jens Lehmann persönliche Befriedigung dieser Botschaft zu verstehen, muss man Folgendes wissen: Jens Lehmann ist schon 35 Jahre alt, hat es aber erst auf 21 Einsätze in der Nationalmannschaft gebracht. Zuletzt war er nicht mal mehr bei seinem Verein, Englands Meister Arsenal London, erste Wahl. „Ich bin es ja gewöhnt, nur sporadisch eingesetzt zu werden“, sagte Lehmann, der unter dem einstigen Teamchef Ribbeck die Nummer eins war. Das ist lange her und war nur von kurzer Dauer. Was nie an seiner Leistung lag, sondern an der Übermacht Kahns. Der ebenfalls 35 Jahre alte Torwart des FC Bayern brachte es in 76 Länderspielen zu Weltruhm. Kahn galt als unantastbar – bis Jürgen Klinsmann kam. Der neue Bundestrainer nahm ihm die Kapitänsbinde ab und führte auf der sensiblen Position das Rotationsprinzip ein. Das war Lehmanns Chance.
Gestern verkündete Klinsmann diese Entscheidung, als sei es eine Nebensächlichkeit, gerade so, als ob seine Mannschaft lieber von links nach rechts als umgekehrt spiele. Die Torhüter hatte er kurz zuvor eingeweiht. Beide hätten es „unproblematisch“ aufgenommen. Sie würden sich durch den Konkurrenzkampf gegenseitig antreiben. Ihnen gebühre „ein Riesenlob“, wie sie mit der Situation umgehen. „Auch wenn es für die beiden gewöhnungsbedürftig und nicht immer leicht ist, weil sie jeden Tag damit konfrontiert werden, schätze ich, wie sie die Sache annehmen.“ So redet Klinsmann gern.
„Der Jürgen hat uns beiden gesagt, dass das Wechselspiel auch 2005 weitergehen wird“, sagt Lehmann. „Nun bin ich dran.“ Zuletzt hütete er das deutsche Tor in den Spielen im Herbst gegen Iran und Kamerun. Kahn stand darauf im Dezember gegen Japan und Südkorea im Tor. Außerdem durfte der Münchner im September gegen Brasilien, den letzten Topgegner der Deutschen, spielen.
Hilfreich dürfte für Jens Lehmann gewesen sein, dass er am vergangenen Wochenende für seinen Verein mal wieder zum Einsatz kam. Für Klinsmann sei schon wichtig, dass jeder „aus einer starken Position bei seinem Verein zur Nationalelf kommt“. Danach sah es im Fall Lehmanns nun überhaupt nicht aus. Zwölf Wochen lang hatte Arsenals Trainer Wenger dem Spanier Almunia den Vorzug gegeben. An eine Trendwende mag Lehmann nicht glauben. Er habe gelernt, „dass im Fußball nichts mehr sicher ist“, sagt Lehmann. „Ich muss jeden Tag etwas dafür tun.“
Jetzt hat Klinsmann etwas für Lehmanns Prestige getan. Er gibt ihm die Chance, gegen den zweifachen Weltmeister zu glänzen. Kahn wird auf der Bank sitzen und erkennen müssen, dass er nur noch ein Teil des Teams ist. Lehmann sieht darin keine Schwächung seines Konkurrenten. „Wir sind ja keine 20 mehr. Je höher das Niveau ist, auf dem man spielt, desto mehr wird man in Frage gestellt“, sagt Lehmann. Und dann lächelt er doch noch einmal an diesem Tag.