
© dpa/Soeren Stache
Jonas Boldt und sein Berliner Irrweg: Gut, dass Hertha BSC den nicht geholt hat!
Jonas Boldt wollte Hertha-Geschäftsführer werden, doch im Mai sagte ihm der Klub ab. Nun spricht er diesem Identität und Geschlossenheit ab. Ist das gekränkter Stolz oder ist er einfach nur schlecht informiert?
Stand:
Dass Herthas Saisonstart 2025 wahrlich keine Offenbarung war – selbstredend. Dennoch gesunden die Berliner in den letzten Jahren: Mit dem Amtsantritt Kay Bernsteins 2022 hat der Verein nach und nach das großspurige Image abgelegt, das die Ära Windhorst begleitet hatte.
Hertha ist mittlerweile wieder angesagt und erfreut sich bei Fußballfans in und außerhalb Berlins wachsender Beliebtheit. Ohne künstliche Inszenierung als „Big City Club“ und trotz sportlicher Talfahrt.
Denn im Westend hat man es geschafft, sich wieder auf eine Identität zu besinnen und diese, wie wenige andere Klubs, zu leben: Nahbar, ehrlich, mit der Stadt verbunden, mit klaren Werten und einer Spur Selbstironie – den „Berliner Weg“ trägt das blau-weiße Umfeld mit, weil es sich wieder verstanden und gesehen fühlt. Auch in der sportlichen Führung ist Demut eingekehrt.
Zusätzliche Expertise hätte auf diesem Gebiet ab Sommer Jonas Boldt beisteuern sollen. Der langjährige HSV-Sportvorstand war in Gesprächen mit der Hertha, um die Nachfolge von Thomas Herrich als Geschäftsführer anzutreten. Am Ende kam es zu keiner Einigung, die Berliner stellten stattdessen vor einigen Tagen Peter Görlich vor. Und könnten damit womöglich alles richtig gemacht haben.
Denn Boldt offenbarte jüngst in der Online-Talkshow „At Broski“, gar nicht zu wissen, was ihn bei der Hertha erwartet hätte: „Was ist der Berliner Weg? Wofür steht der Verein?“, fragte der 43-Jährige provokant in die Runde. Die Gegenrede à la „ähh, das solltest du wissen“, blieb jedoch aus, sodass sich Boldt weiter um Kopf und Kragen reden konnte: „Ich habe nicht das Gefühl, dass alles grundsätzlich in eine Richtung geht“, so Boldt. „Die Richtung, in die Berlin gehen möchte“, müsse sich erst mal finden.
Eklatante Wissenslücken oder ein schlechtes Gedächtnis? Herthas Präsident Fabian Drescher dürfte Boldt in den Gesprächen die Klubphilosophie vermittelt haben. Dennoch sprach Boldt davon, dass große Vereine, die „aus dem Chaos“ kommen würden, gut daran täten, „eine Identität als Klub zu finden“.
Womit er primär recht hat, aber: Bei Hertha passiert das genau jetzt. Wenn eines in den letzten beiden holprigen Saisons gelang, dann war es die Tatsache, Klub und Fans enger zusammenzuführen und wieder an einem gemeinsamen Strang zu ziehen. Der Verein will in Sachen Transfers vernünftig agieren, baut auf Berliner Jungs, schafft Identifikationsfiguren wie Fabian Reese und hat das Ziel Bundesliga-Rückkehr klar vor Augen.
Dass Jonas Boldt davon keine Notiz genommen haben soll, scheint allein aufgrund seiner HSV-Vergangenheit unwahrscheinlich. In Hamburg probierte man unter Boldts Feder ja eine ähnliche Transformation: Vom weltmännischen Gehabe der 2010er Jahre hin zu mehr Demut und einem – für hanseatische Verhältnisse – geerdeten Auftreten nach außen. Der Blick rüber nach Berlin wäre da zumindest logisch gewesen.
Viel eher steckt hinter den Aussagen Jonas Boldts möglicherweise gekränkter Stolz. Schließlich wurde er von Hertha abgelehnt, nicht andersherum. Boldt hätte, wie später auch Ralf Rangnick, einen zu hohen Gestaltungsanspruch gestellt. Denn während beim HSV zu seiner Ankunft sehr vieles noch formbar war, ist der „Berliner Weg“, entgegen Boldts Sticheleien, klar formuliert. Und wer das nicht versteht, hat bei Hertha BSC schlichtweg nichts zu suchen.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: