
© Reuters/Gregory Fisher
Josh Allen und die Buffalo Bills: Der ewig unterschätzte NFL-Titelkandidat
Die Buffalo Bills haben die Erwartungen in dieser Saison übertroffen. Topfavorit auf den Meistertitel in der NFL sind sie aber nicht – trotz eines Josh Allen in MVP-Form.
Stand:
Snap zum Quarterback, der weicht zurück, nimmt den Kopf hoch und holt zum Pass aus. Eine freie Anspielstation findet er nicht und läuft selbst los. Noch einmal blickt er zur Seite, täuscht einen Wurf an, startet mit dem Football in der Hand nun so richtig durch. Wie ein Slalomläufer den Stangen weicht er zwei gegnerischen Tacklern aus und kommt der Endzone immer näher. Doch dort lauern gleich mehrere Schwergewichte. Er schiebt die rechte Schulter nach vorn, prallt gegen einen 150-Kilo-Koloss und fällt rückwärts über die Linie – Touchdown.
Für Jim Nantz, den bekannten Football-Kommentator vom US-Sender CBS, war es das „Play of the Year“. Gelungen ist es Josh Allen, dem Spielmacher der Buffalo Bills beim 30:21 über die Kansas City Chiefs. Aus 26 Yards baute er in Spielwoche 11 im Schlussviertel bei einem vierten Versuch die Führung seines Teams von 23:21 auf 29:21 aus. Wenig später stand die erste Niederlage für den amtierenden Champion in der NFL-Saison 2024 fest.
Josh Allen ist mit seinen 28 Jahren auf dem bisherigen Höhepunkt seiner Schaffenskraft angelangt. Er hat seine Mannschaft zum sechsten Mal in Folge in die Play-offs geführt, zum fünften Mal in Serie als Divisionssieger der AFC East. Dabei hatte so mancher Experte den Bills angesichts einiger prominenter Abgänge im vergangenen Sommer eine schwierige Saison prophezeit. Die New York Jets mit Quarterback-Legende Aaron Rodgers oder die Miami Dolphins mit ihrer starken Offensive um Tyreek Hill wurden teilweise höher gehandelt.
Doch nach 17 Wochen der regulären Saison thront Buffalo doch wieder ganz oben und das in überragender Deutlichkeit. Bereits nach ihrem zwölften Hauptrundenspiel war Platz eins und damit die Play-off-Teilnahme sicher – seit 2009 hatte kein NFL-Team mehr früher einen Divisionstitel eingefahren. Der Grund für viele: Josh Allen.
In der NFL gibt es einige spektakuläre Quarterbacks. Lamar Jackson von den Baltimore Ravens beispielsweise gilt neben Allen als Topfavorit auf den Titel des wertvollsten Spielers der Saison. Jackson kommt statistisch sogar auf noch bessere Werte, er wirft noch genauer, ist noch flinker und ähnlich wie sein Bills-Pendant in einer Ausnahmeform.
Buffalo hat noch nie den Super Bowl gewonnen
In den ganz großen Spielen dieser Saison hat Jackson allerdings nicht immer seine absoluten Topleistungen bringen können. Fünf Spiele verlor er mit seinen Ravens und damit eines mehr als Buffalo mit Allen. Und während der mit den Bills gegen die beiden Topmannschaften aus Kansas City und von den Detroit Lions siegreich blieb, unterlagen Jacksons Ravens den Chiefs und auch den Philadelphia Eagles, dem von der Bilanz her drittbesten Team der Liga.
Natürlich, da ist auch das direkte Duell zwischen Baltimore und Buffalo, das Jackson klar für sich entschied und doch gibt es einige Fachleute, die Josh Allen in der MVP-Frage vorne sehen, eben weil mit den Bills vor der Saison nicht unbedingt zu rechnen war.
Auch NFL-Legende Tom Brady schwärmte zuletzt in höchsten Tönen von Josh Allen: „Ein großartiger Quarterback in der NFL zeichnet sich nicht dadurch aus, dass er denkt, er könne alles. Es geht vielmehr darum, zu erkennen, wie man jede Woche für Woche Spiele gewinnen kann.“ Genau das hätte Allen in dieser Saison geschafft, weil er weniger Risiko gehe und seine Art zu spielen umgestellt habe.
Nun sind persönliche Auszeichnungen eine Sache, der Gewinn einer Meisterschaft die andere. Und in dieser Hinsicht hat Josh Allen mit Buffalo großen Nachholbedarf. Noch immer werden die Bills wegen der vier hintereinander verlorenen Super Bowls zwischen 1990 und 1993 eher belächelt oder wahlweise bedauert. Auch Allen konnte daran noch nichts ändern, trotz aller Erfolge in den vergangenen Jahren hat er es mit seinen Kollegen bislang noch nicht einmal ins Endspiel geschafft.
Das soll sich diesmal unbedingt ändern. Die Voraussetzungen sind ähnlich wie vor dem Start der Hauptrunde, es gibt größere Favoriten als die Bills. Natürlich, die Chiefs oder die Lions und auch die zuletzt wieder so richtig heiß gelaufenen Baltimore Ravens. Bei Buffalo wird hingegen gezweifelt, zuletzt vor allen Dingen an der Defensive. Deren Schwächen sollte Allen in der ersten Play-off-Runde gegen die Denver Broncos (19 Uhr/RTL) mit seiner Offensive zwar noch kompensieren können, aber dann…
Es wäre nicht das erste Mal in dieser Spielzeit, dass Josh Allen mit den Bills die vermeintlichen Experten Lügen strafen würde. Womöglich ist es auch ein besonderer Ansporn für alle in Buffalo – ob Trainer, Spieler oder Fans. Die inoffizielle Auszeichnung für das „Play of the Year“ ist nett, der Titel als MVL sogar eine Ehre, aber was wirklich zählt, ist der Gewinn des Super Bowls. Für Josh Allen, die Buffalo Bills – und gegen alle Zweifel.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: