zum Hauptinhalt

Sport: Kontrollierter Käse - Ein typisches 0:0-Spiel, das zufällig 4:1 endete

Das ballbehandelnde Gewerbe Fußball-Bundesliga zeitigt bisweilen nette Wortschöpfungen. Der Leverkusener Manager Reiner Calmund schuf nach der 1:4-Niederlage seiner Mannschaft beim FC Bayern München Folgendes: "Das war kontrollierter Käse.

Das ballbehandelnde Gewerbe Fußball-Bundesliga zeitigt bisweilen nette Wortschöpfungen. Der Leverkusener Manager Reiner Calmund schuf nach der 1:4-Niederlage seiner Mannschaft beim FC Bayern München Folgendes: "Das war kontrollierter Käse." Gemeint war die Bilanz der Statistikabteilung, die freundlich vermeldet hatte, Bayer habe das Spiel "kontrolliert". 7:0 Ecken, 18:8 Torschüsse und eine Ballbesitzquote von 60 Prozent. Und Calmund polterte rheinisch missgelaunt weiter: "Alles brotlose Kunst, denn der haut aus fünf Metern mal eben locker das Ding rein."

"Der", das war Torben Hoffmann, und er sorgte dafür, dass das Duell der beiden Hauptrivalen um deutsche Titelehren mal wieder etwas ganz besonders Seltsames wurde. Exakt 106 Sekunden waren vergangen, da schob Hoffmann eine harmlose Flanke unbedrängt ins Tor. Ins eigene Tor. Fans, Verantwortliche und nicht zuletzt die Spieler beider Mannschaften waren überrascht bis schockiert. Es wurde um Erklärung gebeten. "Erklären kann man so was nicht", beschied Bayer-Trainer Christoph Daum und stritt sogleich jede psychologische Ursache ab: "Er war nicht übermotiviert".

"Ich war nicht übermotiviert", versicherte auch Torben Hoffmann. Der hätte sich feige verkrümeln können, entging er durch seine vorzeitige Auswechslung doch dem medialen Schnellgericht nach Spielschluss. Aber tapfer kam der Verteidiger noch einmal aus dem Kabinenkeller und beantwortete mindestens sieben Mal die exakt gleichen Fragen. Ja, er habe den Ball "äußerst blöd" getroffen, nein, er habe noch nie ein Eigentor fabriziert, ja, das Spiel wäre wohl anders gelaufen, wenn er nicht ...

So entwickelte sich ein eigentümliches Spielchen. Die Leverkusener mühten sich trotz der Last dieses grausamen Auftaktes und ihres augenscheinlichen München-Komplexes um Spielkultur. Die Bayern zogen sich zurück und "verschleppten das Spiel", wie es Christoph Daum nannte. Die weiteren Münchner Tore entstanden allesamt aus Kontern, die aus dem spielerischen Einerlei hervorbrachen wie Blitze in der Nacht. Nichts deutete im Vorfeld auf die Tore hin, kein durchdachtes Spiel, keine Aneinanderreihung von Chancen. Es war ein typisches 0:0-Spiel, das zufällig 4:1 endete.

Die Münchner machten alles richtig und konnten eigentlich gar nichts dafür. Beim zweiten Tor verschenkte Michael Ballack den Ball an Lothar Matthäus, der quer legte auf den freistehenden Stefan Effenberg, und der traf zum wiederum recht ungünstigen Zeitpunkt kurz vor der Pause. Beim 3:0 war die Bayer-Abwehr wieder aufgerückt, und ein weiter Pass von Effenberg erreichte diesmal Mehmet Scholl, und der war sogleich auf und davon. Leverkusen verkürzte durch einen Freistoß von Ballack, und kurz vor dem Ende konterten die Bayern zum dritten Mal an diesem Abend. Zickler vollendete eine Mischung aus Pass und Befreiungsschlag. "Es ist ein Vorteil, wenn man im eigenen Stadion kontern kann", verkündete frohgemut Bayern-Trainer Ottmar Hitzfeld.

Es war mal wieder gelaufen, wie es immer läuft, wenn Bayer bei Bayern antritt. Psychische Blockaden und eigenartige Fehlleistungen, die man von der Leverkusener Elf immer nur einmal pro Jahr zu sehen bekommt. "Ich werde wiederkommen und es wieder versuchen, auch wenn es einigen nicht recht ist", versprach Christoph Daum trotzig. Bayerns Nationalspieler Jens Jeremies schloss den Verbalkampf der beiden Vereine ab, indem er die laue Zuschauerzahl von 31 000 im Olympiastadion so erklärte: "Das war heute eben nur Bayer Leverkusen und nicht Real Madrid."

Detlef Dresslein

Zur Startseite