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Ein Jogger auf der Straße des 17. Juni in Berlin.

© Alexander Heinl/dpa

Kolumne: So läuft es: Laufen ist Leben

Unserem Kolumnisten geht der Selbstoptimierungswahn vieler Menschen zu weit. Das ist nicht der Grund, warum man wirklich laufen sollte.

Es war dieser unglaubliche Moment, letzten Sonntag in Köln. Einer dieser Momente, in denen ich denke: Das ist der Grund, warum man wirklich laufen sollte. Nicht, um den Körper noch schöner zu machen, um noch besser auszusehen. Das kann immer nur ein netter Nebeneffekt sein. Der Hunger nach immer mehr Selbstoptimierung geht mir oft viel zu weit. Letzten Sonntag hatte ich mir einen sehr langen Lauf von 45 Kilometern vorgenommen. Innerhalb meiner Vorbereitung für den 2Oceans Ultra Marathon über 56 Kilometer am Ostersonntag fehlen mir noch zwei lange Läufe. Nun ist es einer weniger, und niemals bin ich derart happy 45 Kilometer gelaufen.

Ich lief ein recht gemütliches Durchschnittstempo von 4:40 Minuten pro Kilometer. Acht Kilometer vor meinem Ziel, lief ich über die Mülheimer Brücke über den Rhein. Eine türkische Hochzeitsgesellschaft fuhr laut hupend an mir vorbei. Ich winkte. Und lief weiter. Kurz vor der Mitte der Brücke staute sich der Verkehr plötzlich, nichts lief mehr. Und dann sah ich den Grund des Staus. Der Bräutigam hatte seinen Wagen quer über beide Fahrspuren gestellt. Aus dem Auto dröhnte irre laute türkische Musik. Er und seine Braut tanzten verliebt auf der Fahrbahn, Freunde und Verwandte machten mit. Mit 37 Kilometer in den Beinen bin ich noch nie auf die Idee gekommen, das Tanzbein zu schwingen. Ich tat es. Für drei Minuten bebte die Brücke. Dann war der Tanzflashmob beendet. Wir wünschten uns gegenseitig Glück, ich lief weiter. Die Hochzeitsgesellschaft wurde von allen wartenden Autofahrern beklatscht. Was für ein unglaublicher Moment. Die letzten acht Kilometer waren ein Klacks.

Bei ihm: Klack, klack, klack. Bei mir: nüscht

Zwei Tage zuvor. Schönhauser Allee in Berlin. Meine Lieblingsstraße in der Stadt, die ich gar nicht oft genug durchlaufen kann. Dort gibt es ein Laufschuhgeschäft. An 365 Tagen im Jahr gibt es dort Rabatte. Wie der Besitzer das macht, ist mir ein Rätsel. Und bei mir gibt es eine feste Regel: Laufschuhe werden im Geschäft gekauft, nicht online. Bei meinem Morgenlauf stoppte ich dort kurz, um zu fragen, ob der Chef einen bestimmten Schuh hat. Hatte er nicht. „Der ist doch viel zu weich für dich. Du bist doch Marathon-Läufer. Da muss es ein harter Schuh sein. Klack, klack, klack müssen die machen, wa? Ich bin 2:28 Stunden gelaufen, mit ’nem Kumpel. Der war DDR-Marathon-Meister. Klack, klack, klack, hörste? Hart! Weiche Schuhe sind Quatsch“, sagte der Besitzer. Es wurde eine flammende Debatte. Ich: „Jeder Läufer muss das doch für sich selbst entscheiden, ob klack, klack, klack oder nicht.“ Und er so: „Wer Marathon will, muss hart laufen. Rede keinen Schwachsinn!“ 20 Minuten ging das so. Am Ende sind wir eine Runde zusammen gelaufen. Bei ihm machte es klack, klack, klack. Bei mir hörte man nüscht! Täglich können Sie solche Geschichten erleben. Und jede dieser Geschichten gibt unglaubliche Kraft und Motivation. Sie sind aus dem Leben. Laufen ist Leben. Deshalb ist es so unglaublich wertvoll. So läuft es.

Mike Kleiß leitet eine Kommunikations- und Markenagentur in Köln und schreibt hier an jedem Donnerstag übers Laufen.

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