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Große Sprünge. Mittermüllers Disziplin Slopestylefahren gilt zukunftsträchtig. Foto: AFP

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Sport: Lieber Lifestyle als Medaillen

Die Snowboardbranche denkt um. Vielen Athleten kommt das zu spät

Von Maris Hubschmid

Berlin - Eigentlich wollte Silvia Mittermüller mit dem Deutschen Snowboardverband (SVD) nichts mehr zu Schaffen haben. 2006 fühlte sie sich nicht genug gefördert, bemängelte den „allgemeinen Vorschriften- und Medaillenwahn“ der Branche und ging in die USA. Am Samstag wollte die blonde Münchnerin für den SVD im spanischen La Molina antreten.

Mittermüllers Snowboard-Variante, das Slopestylefahren, ist in diesem Jahr erstmalig Bestandteil einer Weltmeisterschaft gewesen. „Dieser Wettkampf ist eine Art Visitenkarte“, sagte der Geschäftsführer des Deutschen Snowboardverbandes, Stephan Knirsch, vor dem Rennen. Mithilfe der WM soll der Slopestyle Teil der Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi, Russland werden. „Wenn Slopestyle wirklich olympisch wird“, sagt Mittermüller, „wäre das eine Riesen-Chance.“ Dann bekämen die Freestyledisziplinen endlich die Aufmerksamkeit, die ihnen außerhalb Amerikas fehle. „In Europa steckt der Slopestyle noch in den Kinderschuhen, dabei ist Slopestyle die Attraktion bei den Jugendlichen.“

Dass dem so ist und dass in sogenannten Freestyle-Varianten die Zukunft des Snowboardsports liegt, hat inzwischen auch der Weltskiverband (Fis) begriffen. Jetzt sollen die Versäumnisse des letzten Jahrzehnts wettgemacht werden, bei seiner Sitzung im vergangenen November beschloss die Fis deshalb hektisch die Eingliederung des Slopestyles in sein offizielles WM-Programm. Wenn schon, denn schon, wird die Fis gedacht haben, dann soll Slopestyle auch das Aushängeschild der nächsten olympischen Winterspiele werden. Und um olympische Disziplin werden zu können, muss eine Sportart vorher in mindestens zwei Weltmeisterschaften ausgetragen werden.

Wie sehr wohl selbst die Organisatoren von der Aufnahme des Slopestyles in das WM-Programm überrascht worden seien, das beweise die Beschaffenheit der Piste, sagt Mittermüller. „Einige meiner Kollegen haben gelacht, als sie gehört haben, unter welchen Bedingungen ich fahren soll.“ Beim Training auf dem ungewohnt steilen Hang ist Mittermüller am Samstag dann auch prompt gestürzt. „Das ist unheimlich schade,“ sagte die 27-Jährige, die ihre Teilnahme an der Qualifikation wegen des Sturzes kurzfristig absagen und mit ansehen musste, wie sich die Finnin Enni Rukajarvi bei den Frauen und Seppe Smits aus Belgien bei den Männern den WM-Titel holten.

Slopestyle ist eine Extrem-Variante des Snowboardfahrens. Dabei gilt es, eine ganze Reihe von Hindernissen zu überwinden, eine Schanze etwa oder ein Geländer. Waghalsige Sprünge, Schrauben und Salti gehören beim Slopestylefahren dazu. Die Kampfrichter bewerten die Leistung mit Punkten, um Schnelligkeit geht es nicht. Große Popularität haben der Sportart in erster Linie die vom Weltskiverband unabhängigen, privat initiierten Wettbewerbe wie die „Ticket to Ride World Snowboard Tour“ beschert, deren Schweizer Initiatoren jährlich über 180 Wettkämpfe ausrichten.

Dass Mittermüller nun auf einige dieser Topevents verzichtete, um bei einer WM an den Start zu gehen für das Land, indem sie kaum einer kennt, ist für den Verband von großer Bedeutung. „Vor einigen Jahren hat der SVD ein paar wirkliche Spitzenathleten verloren, die gegangen sind, weil sie als Freestyler zu wenig Möglichkeiten hatten“, sagt Mittermüllers Trainer David Selbach. „Ich sage es mal so: Wenn ein Freestyler gut genug ist, ist er auf den Verband nicht mehr angewiesen“, sagt Mittermüller. „Die echten Stars der Szene, die vergnügen sich woanders.“

Deshalb war es dem SVD auch trotz der Aussicht auf Olympia nicht gelungen, die vier Startplätze pro Wettkampf, die jedem Land laut Fis-Satzung zustehen, zu besetzen. Acht Slopestyle-Fahrer hätten für den SVD antreten können, Mittermüller wäre die einzige gewesen. Ob Slopestyle wirklich olympiatauglich ist, das entscheidet das Olympische Komitee im Sommer. SVD-Geschäftsführer Stephan Knirsch zeigt sich zuversichtlich: „Slopestyle wird sich etablieren.“

Er und Trainer David Selbach hoffen, dass Mittermüllers WM-Besuch trotz der geplatzten Teilnahme eine Signalwirkung hat. „Vielleicht schwenken ja sogar ein paar routinierte Halfpipefahrer auf das Slopestylefahren um“, sagt Trainer Selbach. Ihm fehle sonst der Nachwuchs.

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