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Ausgebremst. Mario Götze will bei der EM glänzen und beim FC Bayern bleiben.

© dpa/Charisius

Nationalmannschaft: Mario Götze: Gescheiterter oder Weltstar?

Zwischen den Linien: Mario Götze, der Siegtorschütze und Held vom WM-Finale 2014, sucht weiter seinen Weg.

Beim Boxen gibt es einen Schlag, den auf die kurze Rippe. Ein gemeines Ding, das fiese Schmerzen nach sich zieht. Wenn der Schlag gut angesetzt ist, drückt der Rippenbogen auf innere Organe, die Leber zum Beispiel, die Achillesferse eines Boxers. Mario Götze wird das vielleicht nicht wissen. Der Fußballer, der Deutschland vor zwei Jahren in Brasilien mit seinem Tor zum langersehnten vierten WM-Titel schoss, weiß aber neuerdings, wie sich ein Rippenbruch anfühlt. Zugezogen im letzten Bundesligaspiel gegen Hannover vor knapp zwei Wochen, in dem er noch zwei Tore schoss und eines vorbereitete. Einfach blöd gelaufen.

Aber was sind diese Schmerzen schon gegen jene, die ein Tiefschlag erzeugen kann?

Mario Götze hat gerade eben einen solchen einstecken müssen. Ausgeteilt von Karl-Heinz Rummenigge. Wie anders, als ein „Nun geh endlich!“ lassen sich die Worte des Vorstandsvorsitzenden des FC Bayern München deuten, die er dem „Kicker“ anvertraute. Auf die am Montag noch von Götze öffentlich gemachte Absicht, seinen Vertrag beim Rekordmeister erfüllen und noch einmal angreifen zu wollen, reagierte Rummenigge reserviert, um es mal vorsichtig auszudrücken.

„Mario wurde alles klar und seriös kundgetan. Er weiß Bescheid, wie der Klub denkt, und er weiß, wie der künftige Trainer denkt“, sagte Rummenigge. Der künftige Trainer des FC Bayern wird Carlo Ancelotti sein, der nach der EM seine Arbeit aufnimmt. Angeblich hat dieser aber in einem Telefongespräch Götze bedeutet, ihm keine andere Rolle zugestehen zu können als die, die er schon unter Pep Guardiola eingenommen hat. Also die eines Ergänzungsspielers, eines Edel-Jokers, der, wenn nichts mehr geht, für ein paar Minütchen in die Mannschaft geworfen wird.

Natürlich wird diese jüngste Wechseldebatte um den deutschen Wunderknaben in den sozialen Netzwerken mitunter hysterisch begleitet. Fußball ist immer auch ein sehr emotionales Geschäft. Der 23-Jährige kennt das aus den Tagen seines Wechsels 2013 von Borussia Dortmund, der dem FC Bayern 37 Millionen Euro wert war und nicht nur halb Dortmund auf die Palme brachte. Er hat die Erfahrung machen müssen, wie schmal der Grat ist, bis aus Zuneigung Ablehnung wird.

Man möchte Götze in Ascona, wo er sich gerade mit der Nationalmannschaft auf die EM vorbereitet, gern selbst befragen, aber das geht leider nicht. Es heißt, der Spieler wolle seinen Rippenbruch auskurieren und würde erst dann wieder etwas sagen, wenn er spiele. Aus dem Umfeld des Spielers ist derweil zu hören, dass ihm die Sache schon zusetze. Er würde sich gern auf die Aufgaben in der Auswahl einlassen und möglichst in Ruhe ein gutes Turnier spielen.

Auf dem Trainingsplatz ist Götze nichts anzumerken, er bewegt sich erstaunlich locker und leicht über den Rasen, aber was sagt das schon? Vom Bundestrainer erhält er erwartbar Rückendeckung. Klar, Löw weiß, welche Begabung in den Füßen Götzes steckt, seine EM-Teilnahme stand nie infrage. „Zeig der Welt, dass du besser bist als Messi.“ Diese Worte hatte ihm Löw im WM-Finale mitgegeben. Jetzt sagt der Bundestrainer: „Ich halte es für absolut okay. Es ist in Ordnung, dass er noch ein Jahr bleiben will.“

Das angebliche Gespräch, das Götze mit Ancelotti führte, ist angeblich falsch verstanden worden

Aus seinen Gesprächen mit dem Spieler habe er das Gefühl bekommen, dass Götze weiterhin „mit dem Herzen in München ist und sich beweisen will“. Und außerdem sei das angebliche Gespräch, das Götze mit Ancelotti führte, falsch verstanden worden. „Ein Trainer kann nie eine Garantie geben“, sagte Löw.

Die Bayern wissen auch um die Begabung Götzes, sehen aber, dass er sich nicht so einfach an den Müllers und Lewandowskis vorbeispielen kann. Sie wollen Mario Götze loswerden und eine hoch dotierte Planstelle freibekommen. Götze zählt zu den Topverdienern der Münchner, die erst kürzlich an einem Tag mal eben 70 Millionen Euro auf den Markt warfen, um Mats Hummels und Renato Sanches zu engagieren. Bereits vor Monaten sendeten sie Signale in Richtung Götze, dass es für den Spieler wohl besser sei, woanders einen Neuanfang zu starten.

Eine ähnliche Auffassung vertrat letztlich auch Götzes Berater-Agentur Sports Total. Der FC Bayern sei nicht das Richtige für ihn. Dort werde er nicht zum Weltstar aufsteigen, obwohl das WM-Finaltor der beste Türöffner gewesen ist. Mit dem FC Liverpool, wo inzwischen Jürgen Klopp das Sagen hat, Götzes Ziehvater aus Dortmunder Tagen, habe es bereits einen ausverhandelten Vertrag gegeben; 25 Millionen Euro Ablöse, bei mindestens gleichem Gehalt.

Doch Liverpool wird in der kommenden Saison nicht international spielen. Womöglich würde Götze einen Wechsel deshalb als Rücktritt verstehen, vor allem aber das private Umfeld des 23-Jährigen. Dieses sieht in Götze einen Fußballer, der Spiele auf höchstem Niveau allein entscheiden könne, und einen, der beim FC Bayern von Guardiola ausgebremst wurde. Nur wie sieht sich Götze selbst?

Am Tag des Pokalfinals, das Götze wegen seines Rippenbruchs nicht spielen konnte, kam es in Berlin auch zum Bruch zwischen dem Spieler und der Agentur. Man einigte sich auf eine Trennung „in beiderseitigem Einvernehmen“, wie es so schön heißt. Götze legte das Management in die Hände seiner Familie und sagte sowohl Liverpool als auch Dortmund ab, wo man sich mit einer Rückholaktion beschäftigte.

Natürlich ist Mario Götze noch immer ein fantastischer Fußballer, einer, der sich auf dem Feld so unsichtbar wie unwiderstehlich zwischen den Linien bewegen kann, dessen Füße so wunderbare Einfälle haben. Doch außerhalb des Rasens ist es wohl so, dass er sich hin- und hergerissen fühlt zwischen zwei Wahrnehmungen, der des angehenden Weltstars, dem Wunderdinge gelingen, und der, die besagt, dass er in drei Jahren bei den Bayern nicht den Durchbruch geschafft hat.

Und so ist aus Mario Götze einer geworden, der seinen Weg nicht kennt. Den findet er aber nur, wenn er seinen Platz kennt. Seine Karriere, so würde man es im Boxen sagen, hängt momentan ganz schön in den Seilen.

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