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Sport: Mein Schicksalsspiel (IX): Nicht ohne Verluste

Rauschender Sieg, grandioses Scheitern, der große Durchbruch oder der Anfang vom Ende: In unserer Serie "Mein Schicksalsspiel" erinnern sich Fußballer an Spiele, die ihre sportliche Karriere maßgeblich beeinflusst haben. Heute: Andreas Thom.

Rauschender Sieg, grandioses Scheitern, der große Durchbruch oder der Anfang vom Ende: In unserer Serie "Mein Schicksalsspiel" erinnern sich Fußballer an Spiele, die ihre sportliche Karriere maßgeblich beeinflusst haben. Heute: Andreas Thom.

Wenn man so will, habe ich mein Schicksalsspiel dem Schicksal zweier ehemaliger Mitspieler von mir zu verdanken. Nämlich Falko Götz und Dirk Schlegel. Als DDR-Meister hatten wir uns, der BFC Dynamo, auch in der Saison 1983/84 für den Landesmeister-Wettbewerb qualifiziert. In der ersten Runde schalteten wir Jeunesse Esch aus. Am 1. November 1983 reisten wir zum Achtelfinal-Rückspiel gegen Partizan nach Belgrad. Das Hinspiel hatten wir in Berlin mit 2:0 gewonnen. Da spielte ich noch nicht mit. Das Aufgebot durfte damals nur 16 Spieler umfassen, also nur fünf Ersatzspieler konnten mit nach Belgrad. Ich war einer von denen. Für mich ein großes Ding. Denn ich bin wenige Tage vorher erst in die erste Mannschaft gerutscht, hatte gerademal fünf Minuten gegen den FC Carl Zeiss Jena gespielt. Unser damaliger Trainer Jürgen Bogs nahm mich also mit.

Alles verlief normal. Doch dann passierte es. Am Spieltag erfuhren wir plötzlich, dass sich zwei Spieler von uns in Belgrad in die Botschaft der Bundesrepublik abgesetzt haben - Falko Götz und Dirk Schlegel, beide Stammspieler damals. Beide hatten noch das Hinspiel gegen Belgrad bestritten, Götz hatte sogar in der ersten Minute ein Tor erzielt. Plötzlich waren wir nur noch 14 Spieler, also drei Einwechselspieler, und einer davon war der Ersatztorwart. Sie können sich vorstellen, was bei uns los war. Die helle Aufregung. Schließlich kam Bogs auf mich zu und fragte, ob ich mir zutrauen würde, am Abend zu spielen.

Mensch, ich war gerade mal 18 geworden. Ich war aufgeregt, und so ganz konnte ich die andere Sache ja nicht verdrängen. Für mich war es das erste Mal, dass ich von Anfang an in dieser guten Mannschaft und dann gleich im Ausland spielen sollte. Das Armee-Stadion war mit 55 000 Zuschauern ausverkauft. Ich spielte Stürmer neben Rainer Ernst und Wolf-Rüdiger Netz. Vor dem Anpfiff habe ich zu mir gesagt: Versuche dich aufs Fußballspielen zu konzentrieren. Du musst hier eine ordentliche Figur abgeben. Das ist deine Chance. Wir verloren mit 0:1, aber das war nicht meine Schuld. Außerdem hatten wir in Berlin vorgelegt und kamen durch das mehr geschossene Tor weiter.

Noch in der Nacht flogen wir zurück nach Berlin. Ohne Götz und Schlegel. Irgendwann gegen drei Uhr sind wir in Schönefeld gelandet. Was insofern blöd war, als dass ich um 7:30 Uhr schon wieder in der Schule sein musste. Ich machte damals gerade mein Abitur. Richtig schlafen konnte ich nicht, bei allem, was passiert war. Meine Mitschüler nahmen keine Rücksicht darauf, sondern fragten, was das Zeug hielt. Ich kann Ihnen sagen, diese Reise werde ich nie vergessen. Für mich entschied sich in Belgrad meine fußballerische Karriere. Von da an war ich im Team gesetzt.

Im März 1984 trafen wir im Viertelfinale auf den AS Rom. Dort verloren wir 0:3, im Rückspiel in Berlin gewannen wir 2:1. Und ich köpfte mein erstes Europapokaltor. Wir schieden aus. Und der AS Rom unterlag später erst im Finale dem FC Liverpool nach Elfmeterschießen.

Das Spiel in Belgrad hatte natürlich ein Nachspiel. Wirbel gab es reichlich. Jetzt hatten sich also wieder einmal zwei Leistungssportler aus der DDR in den Westen abgesetzt. Und dann noch vom BFC Dynamo, das wog doppelt. Mich ließen sie im Wesentlichen zufrieden. Ich musste ja noch meine Schule machen, für mich damals eine große zeitliche Beanspruchung. Aber mit etwas Verzögerung konnte ich das Abitur ablegen.

Losgelassen hat mich aber die Sache mit Falko und Dirk nie so richtig. Noch im November 1989, also im Wende-November, wechselte ich als erster DDR-Fußballer offiziell in die Bundesliga. Ich ging nach Leverkusen und kurz nachdem ich dort angekommen war, traf ich mich mit beiden Spielern. Götz spielte beim 1. FC Köln, Schlegel in Stuttgart. Bei einem Glas Bier haben wir uns lange darüber unterhalten, wie alles damals abgelaufen war. Wer welchen Weg zurücklegte. Mittlerweile lagen ja sieben Jahre dazwischen. Natürlich habe ich mir auch immer mal wieder die Frage gestellt, was wäre gewesen, wenn ... . Na ja, für mich war das eine Chance, und die nutzte ich.

Von November 1983 an spielte ich regelmäßig im Europapokal der Landesmeister, im Pokalsieger- oder im Uefa-Cup. Oft noch mit dem BFC, später dann mit Bayer Leverkusen und Celtic Glasgow, wo ich zwischen 1995 und 1997 spielte. Ja, und selbst mit Hertha BSC durfte ich noch mal diese besonderen Momente internationaler Wettbewerbe erleben. Es werden wohl über 50 Einsätze gewesen sein, in denen ich so an die 20 Tore geschossen habe. So genau weiß ich das nämlich nicht. Ich habe Statistiken noch nie geschätzt. Jedenfalls nannten sie mich bei Hertha schon "Mister Europacup". Nicht besonders einfallsreich, aber eine kleine Wertschätzung steckte wohl schon drin.

Andreas Thom

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