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Müde Tennisstars bei den ATP-Finals : Wenn Millionäre am Stock gehen
Elf Monate dauert die Saison im Tennis. Für Stars wie Alexander Zverev oder Carlos Alcaraz ist das zu lang. Bei den ATP-Finals in Turin gibt es nun den letzten Showdown des Jahres.
Stand:
Wenn Alexander Zverev am Montagabend bei den ATP-Finals in Turin zu seinem ersten Spiel gegen den Russen Andrej Rubljow antritt, wird dies sein 104. Match auf der Tour in dieser Saison sein. 86 Einzel hat der Deutsche 2024 bestritten, dazu kommen noch 16 Doppel. Mit 66 Einzelsiegen führt er die Jahreswertung an, der Weltranglistenerste Jannik Sinner kommt auf 65 bei allerdings nur sechs Niederlagen.
Alexander Zverev ist ein Vielspieler, zumindest nach heutigen Standards. Schon seit langer Zeit hat kein Profi bei den Männern mehr die Marke von 100 Einzelmatches in einer Saison erreicht. Selbst Roger Federer oder Novak Djokovic spielten auf Profi-Niveau nie mehr als 97 Mal. Vor 50 Jahren war das noch ganz anders. Guillermo Vilas stand 1977 unglaubliche 145 Mal im Einzel auf dem Platz und gewann davon auch noch 130 Matches. Wohlgemerkt bei offiziellen Turnieren.
Dabei stellte der Argentinier mit seinen zwischenzeitlich 46 Siegen in Folge einen bis heute gültigen Rekord im Männertennis auf – zum Vergleich: Auf so viele Matches kommt Novak Djokovic in dieser Saison insgesamt.

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Die Zeiten im Tennis haben sich geändert. Die Leistungsdichte ist heute deutlich größer. Dazu wird inzwischen viel häufiger auf Hartplätzen gespielt als früher, Vilas holte 1977 14 seiner 16 Titel auf Sand. Auch die US Open fanden seinerzeit noch in Forrest Hills auf Asche statt. Turnierpausen allerdings gab es seinerzeit nicht. Die Saison lief von Januar bis Dezember durch.
Auf die Idee, dass sich die Belastungen für Tennisprofis deswegen inzwischen verringert hätten, kommt von den heutigen Aktiven allerdings niemand. Ganz im Gegenteil: Jahr für Jahr aufs Neue ist der Terminkalender für Frauen und Männer gleichermaßen ein Thema. Die Meinungen dabei sind einhellig, Alexander Zverevs Aussage jüngst beim Laver Cup würde so ziemlich jeder Spitzenspieler unterschreiben: „Wir haben die längste Saison überhaupt im Sport, unnötig lang, mit einer unnötig großen Zahl an Turnieren.“
66 Turniere wurden bei den Männern von der ATP in diesem Jahr angesetzt, in mehr als 30 Staaten wird mittlerweile gespielt. Und dabei haben die Profis nur ein beschränktes Mitspracherecht, was ihre Turnierpräferenz angeht. Mit den vier Grand Slams und acht Masters-1000-Events sind schon einmal zwölf Veranstaltungen verpflichtend. Dazu kommen vier weitere Starts bei ATP-500er-Turnieren, wovon eines davon nach den US Open stattfinden muss.
Insgesamt 19 Turniere muss jeder Topprofi absolvieren, für die besten acht einer Saison kommt mit den nun stattfindenden ATP-Finals noch Nummer 20 hinzu. „Ich gehöre zu den Spielern, die denken, dass es im Jahr schon sehr viele Pflichtturniere gibt“, sagte Carlos Alcaraz jüngst in Berlin und spitzte zu: „Sie werden uns auf die eine oder andere Weise umbringen.“
Sie werden uns auf die eine oder andere Weise umbringen.
Carlos Alcaraz beim Laver Cup zur Belastung im Tennis
Nun mag man diese Sprüche als Jammern auf hohem Niveau von üppig bezahlten Tennismillionären abtun und doch häufen sich auch bei den Stars die körperlichen Probleme. Zverev hat auch deswegen die meisten Matches in dieser Saison bestritten, weil er sich keine großen verletzungsbedingten Auszeiten genommen hat. Dabei war das zweite Halbjahr bei ihm aus medizinischer Sicht einigermaßen auffällig.
In Wimbledon hatte er sich bei einem Sturz am Knie verletzt, trat dennoch nur kurz darauf wieder in Hamburg und bei Olympia an. Dort, in Paris, klagte er über Müdigkeit und Erschöpfung. Die Pause, die er sich daraufhin nahm, währte etwas mehr als eine Woche. Beim Laver Cup im September in Berlin spielte Zverev mit Fieber, später wurde eine Lungenentzündung diagnostiziert.
Lange schonte er sich allerdings nicht, er reiste kurz darauf weiter nach Shanghai zum dortigen Masters 1000. Warum er das tat, hatte er schon zuvor beim Laver Cup erklärt: „Wir werden bestraft, wenn wir Turniere nicht spielen.“ Die längste Pause, die Zverev in diesem Jahr zwischen zwei Turnieren einlegte, betrug rund drei Wochen – inklusive An- und Abreise.
Oft zu Hause ist ein Tennisprofi in einer Saison ohnehin nicht. Inzwischen sind es nicht mehr nur die Grand Slams, die zwei Wochen dauern. Auch manches Masters-1000er-Turnier zieht sich durch die Zusammenlegung der Wettbewerbe für Frauen und Männer über zehn oder gar zwölf Tage. Und das könnte sich in Zukunft sogar noch verschärfen. Wirkliche Ruhetage zwischen zwei Matches gibt es für die Profis trotz der längeren Turnierdauer dabei eher nicht. Und so bleibt immer weniger Zeit, um an der körperlichen Fitness zu arbeiten oder das eigene Spiel im Training zu verbessern. Die Folge: Verletzungen.
Im Falle von Alexander Zverev gibt es allerdings schon länger zumindest leise Zweifel daran, ob dessen Turnierplan wirklich optimal zusammengestellt ist. Die ATP-Finals sind sein 23. Event in dieser Saison. Für Sinner wird das Heimspiel in Turin erst Turnier Nummer 14, Alcaraz kommt auf 16. Beide fielen aber mit Verletzungen für einige Zeit in diesem Jahr aus und kommen auch deshalb nicht auf die eigentlich vorgeschriebenen 19 Turnierteilnahmen.
Novak Djokovic, der für die ATP-Finals verletzungsbedingt abgesagt hat und der aufgrund seines Alters nicht mehr an die Vorgaben gebunden ist, war gerade einmal bei zehn Events dabei. Vielspieler Zverev kann immerhin für sich verbuchen, dass er vor dem Jahresendturnier ziemlich genau weiß, wo er steht. Beim Masters in Paris gewann er zuletzt den Titel und dürfte trotz aller Wehwehchen in Turin der formstärkste Spieler sein.
Danach macht der 27 Jahre alte Hamburger für dieses Jahr Schluss. Die Endrunde im Davis Cup, der in der Woche nach den ATP-Finals stattfindet, lässt er in diesem Jahr aus. Viel Zeit für Erholung bleibt ihm dennoch nicht. Schon am 27. Dezember beginnt mit dem United Cup die neue Tennissaison in Australien. Titelverteidiger dort ist – Deutschland mit Alexander Zverev.
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