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Die Vorsitzende Richterin Eva-Marie Distler eröffnet im Gerichtssaal des Landgerichts die Verhandlung im Verfahren um die Sommermärchen-Affäre.

© dpa/Arne Dedert

Nach über neun Jahren an Ermittlungen : Sommermärchen-Prozess vor dem Abschluss

Bereits am Donnerstag könnte der Sommermärchen-Prozess eingestellt werden. Ex-DFB-Präsident Theo Zwanziger soll sich dabei wohl nicht der Steuerhinterziehung strafbar gemacht.

Von Harald Stenger

Stand:

Die Entwicklung kommt überraschend, aber ist nachvollziehbar: Der Sommermärchen-Prozess könnte am Donnerstag abrupt zu Ende gehen.

Der 26. Verhandlungstag wäre dann der letzte Termin vor dem Landgericht Frankfurt in einem Verfahren, in dem nicht nur die wegen schwerer Steuerhinterziehung angeklagten Wolfgang Niersbach, Horst R. Schmidt und Theo Zwanziger im Blickpunkt standen.

Das öffentliche Interesse galt auch 21 Zeugen. Von Sepp Blatter über Uli Hoeneß und Beckenbauer-Intimus Fedor Radmann bis zur Niersbach-Assistentin Monika Swonke, die am 22. Juni 2015 ein danach verschwundenes Dossier mit dem Titel „Fifa 2000“ für ihren Chef aus dem DFB-Archiv holte.

Alles drehte sich stets um einen von Franz Beckenbauer initiierten 6,7 Millionen-Euro-Deal mit dem katarischen Fifa-Granden Mohamed bin Hammam und dessen unbekannten Mitkassierern. Die von Beckenbauer vorfinanzierte Summe und bald von Ex-adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus durch einen Kredit übernommene Schuldenlast war, so das aktuelle Fazit des Gerichts, ein Dankeschön an Mitglieder des Fifa-Finanzkomitees für einen 170 Millionen-Euro-Zuschuss für das deutsche WM-Organisationskomitee 2006.

Das Verfahren gegen den ehemaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger wegen des Verdachts der schweren Steuerhinterziehung soll nach dem Willen des Landgerichts Frankfurt eingestellt werden.

© dpa/Arne Dedert

Kein Thema mehr ist für das Gericht ein deutscher Stimmenkauf für die Vergabe der WM 2006 im Kopf-an-Kopf-Rennen mit Südafrika, wie vom „Spiegel“ im Oktober 2015 behauptet, oder eine DFB-Wahlhilfe für Fifa-Präsident Sepp Blatter bei seiner Kandidatur 2002. So sieht es jedenfalls Eva-Marie Distler, die Vorsitzende Richterin im Strafverfahren vor dem Landgericht Frankfurt.

Angesichts des oft skurrilen Schweigens oder Vergessens der Zeugen des Fußball-Kartells war es für ihre Wahrheitssuche am wichtigsten, dass sie – dank Teamarbeit – beim Vertiefen in die Akten eine Fülle brisanter Papiere entdeckte. Diese waren im Laufe der Jahre in Deutschland und der Schweiz bei Hausdurchsuchungen beschlagnahmt worden.

Diese Fahndungserfolge waren ein wesentlicher Grund dafür, dass sie sich in dieser Woche in einer 32-seitigen rechtlichen Würdigung darauf festlegte, dass alle dubiosen Zahlungsflüsse des Sommermärchen-Geheimnisses zur „Verschleierung einer Schmiergeld-Zahlung“ des DFB für besagten, am 13. Dezember 2001 im Vier-Augen-Gespräch zwischen Blatter und Beckenbauer in Zürich eingefädelten, Fifa-WM-Zuschuss waren.

Durch ein von Blatter genehmigtes Täuschungsmanöver, das DFB-Generalsekretär Horst R. Schmidt und Fifa-Kollege Urs Linsi im Detail vereinbarten, wurde der intern lange geheim gehaltene Deal im April 2005 spitzfindig abgeschlossen: Auf ein Fifa-Konto wurden vom DFB 6,7 Millionen Euro überwiesen, angeblich als Zuschuss für die später mangels Resonanz abgesagte WM-Gala 2006 in Berlin. In Wirklichkeit war der Betrag jedoch nie für diesen Zweck gedacht und floss daher von der Fifa direkt zur Beckenbauer-Entschuldung auf das Konto von dessen Freund Louis-Dreyfus.

Herr Zwanziger ist der falsche Mann, der auf der Anklagebank sitzt.

Eva-Marie Distler, Vorsitzende Richterin

Derjenige, der vom letzten Akt in diesem Verwirrspiel laut mehrfach im Prozess wiederholter Aussage nichts wusste, war Theo Zwanziger. Daher hat nun Richterin Distler in ihrem ausführlichen Bericht zum Stand des Sommermärchen-Prozesses vorgeschlagen, das Verfahren gegen ihn einzustellen – mit der Auflage zur Zahlung von 5000 Euro an die der Kinderherzstiftung. Forsch formulierte Distler: „Herr Zwanziger ist der falsche Mann, der auf der Anklagebank sitzt.“

Eine Reaktion des Ex-DFB-Präsidenten steht bisher aus. Doch es ist damit zu rechnen, dass er dem Vorschlag der Richterin zustimmt. Bei gleichzeitiger, unbedingt notwendiger Einwilligung von Staatsanwalt Jesco Kümmel kann somit am 3. April die Einstellung des Verfahrens mit sofortiger Wirkung erfolgen.

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Monate nach dem ersten Verhandlungstag könnte der Sommermärchen-Prozess zu seinem Ende kommen.

Da der Prozess gegen Niersbach nach der Zahlung von 25.000 Euro für karitative Zwecke bereits im August 2024 rechtskräftig beendet wurde, gilt nach dem Abschluss des Zwanziger-Verfahrens eine zeitnahe, definitive Klärung der Anklage gegen Schmidt als wahrscheinlich.

Dazu muss er vermutlich gar nicht mehr im Gerichtssaal erscheinen, da die Verhandlung gegen ihn aus gesundheitlichen Gründen seit acht Monaten unterbrochen und dadurch abgetrennt ist. Seine Anwälte könnten sich auf mündlichem und schriftlichem Dienstweg mit Gericht und Staatsanwaltschaft über die Einstellung einigen.

Klar ist schon jetzt, dass die Geldauflage für Schmidt deutlich höher ausfallen dürfte als bei Niersbach und Zwanziger. Denn als erster OK-Vizepräsident spielte er bei der versuchten und lange geglückten Verschleierung der Beckenbauer-Entschuldung die entscheidende Rolle.

Sollte es mit Schmidt zu einer Einigung kommen, ist der Sommermärchen-Prozess definitiv beendet: neuneinhalb Jahre nach der Aufnahme erster Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und 13 Monate nach dem ersten Verhandlungstag vor dem Landgericht Frankfurt.

Nur ein Nachspiel beim Hessischen Finanzgericht in Kassel ist nicht zu vermeiden. Dort muss dann noch über die Rechtmäßigkeit der Aberkennung der DFB-Gemeinnützigkeit für das WM-Jahr 2006 verhandelt werden.

In dem Steuerverfahren hat der DFB Ende 2017 eine Kaution von 22,57 Millionen Euro inklusive Zinsen an das Finanzamt Frankfurt überwiesen. Sollte er den Prozess in Kassel gewinnen, hofft der seit 2018 in große Geldnöte geratene Verband auf eine Erstattung des Fiskus von ca. 28 Millionen Euro.

Sollte das Finanzgericht jedoch eine vorsätzliche DFB-Ordnungswidrigkeit bei diversen Buchungen und Umbuchungen der 6,7 Millionen-Euro-Zahlung feststellen, kann auch eine Geldbuße von zehn Millionen Euro fällig sein.

Der Autor war von 2001 bis 2012 Sprecher der Nationalmannschaft und bis 2010 DFB-Kommunikationsdirektor. Er arbeitet heute als freier Journalist.

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