Berlin - Marco di Carli schläft bestimmt gleich ein. So wie er da hängt in seinem Stuhl, kann das nur noch eine Frage von Sekunden sein. Die Beine weit ausgestreckt, den Kopf auf eine abgestützte Hand gelegt, die Augen geschlossen, ein interessanter Kontrast zu den anderen deutschen Spitzenschwimmern, die neben ihm sitzen. Aber di Carli wartet bloß, er ist noch nicht dran, die anderen reden jetzt bei einer Pressekonferenz in diesem Berliner Hotel über die Deutschen Schwimm-Meisterschaften, die heute (Halle an der Landsberger Allee) beginnen. Die Haltung ist typisch für di Carli. „Er ist ein Herzchen, aber manchmal wirkt er so, dass es an Arroganz grenzt“, sagt Chef-Bundestrainer Ralf Beckmann. Aber einer wie di Carli spielt ein große Rolle in Beckmanns Planungen. Der Hamburger ist erst 20, und dank seiner coolen Art hat er 2004 bei den Deutschen Meisterschaften über 100 m Rücken den großen Thomas Rupprath besiegt. Marco di Carli gehört zum Olympia-Perspektivteam 2008. Er ist einer dieser jungen, hungrigen Athleten, die jetzt in Berlin nachrücken sollen. Ein paar der Etablierten (Keller, van Almsick, Stockbauer) haben aufgehört oder machen Pause. Viel Platz also für Talente.
Beckmann hat strategisch schon alles auf Peking ausgerichtet. Deshalb sind die Deutschen Meisterschaften 2005 auch ein Auslaufmodell, vorerst jedenfalls. Berlin ist die Qualifikation für die Weltmeisterschaften in Montreal. Aber vom nächsten Jahr an läuft das anders. Da müssen sich die deutschen Topschwimmer schon im April für den Saisonhöhepunkt qualifizieren, 2006 ist das die EM. Die Deutsche Meisterschaft wird dann nur noch ein Härtetest vor dem Top-Ereignis. 2006 finden die Titelkämpfe deshalb knapp drei Wochen vor der EM statt. Nach den Olympischen Spielen 2008 wird dann Bilanz gezogen. Wenn sich das Modell bewährt, wird es fortgesetzt.
Für Beckmann ist die Änderung bedeutsam. „Die Spitzenleute haben bisher zwischen Deutscher Meisterschaft und dem Saison-Höhepunkt nur wochenlang Training, aber keine anspruchsvollen Wettkämpfe“, sagt er. Und damit wurde die Wettkampfhärte nicht genug ausgebildet. Natürlich hätte diese Umstellung schon früher kommen können. Beckmann stört sich auch schon lange an der langen Trainingsphase, „aber da müssen erst mal auch alle Trainer mitziehen“.
13 Mitglieder hat Beckmanns Peking -Perspektiv-Kader. Von denen erwartet Beckmann, dass sie zumindest die gleichen Zeiten schwimmen wie bei den Titelkämpfen 2004. Einer wie di Carli muss aber noch zulegen, wenn er seinen Titel verteidigen will. Denn der vielfache Kurzbahn-Weltmeister Rupprath lässt sich nicht so gerne von einem Talent abhängen. Das ist di Carli durchaus bewusst. Er ist jetzt dran, er richtet sich auf, und dann sagt er: „Letztes Jahr bin so locker gekommen und hatte nichts zu verlieren. Aber jetzt sieht das anders aus.“