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Henrik Niehus vom Run Pack Berlin vor seiner Crew bei einem Event in Neukölln.

© Heuserkampf

Running Clubs immer populärer: Bloß nicht mit Läufern laufen gehen

Grelle Farben, spießige Menschen, diese Vorurteile über das Laufen sind überholt. Der Sport ist so angesagt wie nie. Das liegt auch an Running Clubs.

Von Bjarne Overkott

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Gläser klirren, Craft-Bier perlt aus den Zapfhähnen einer Bar in Mitte. Vor der großen Fensterfront des Ladens haben sich rund zehn Leute versammelt. Doch sie sind nicht zum Biertrinken hier. Sie sind hier, um zu laufen.

Ein Logo ist dabei unübersehbar: Run Pack Berlin. Hierbei handelt es sich um einen Running Club. Laufsport ist seit einigen Jahren angesagt, wie der Andrang im Vorfeld auf den Berlin-Marathon einmal mehr gezeigt hat. Running Clubs haben an der allgemeinen Laufbegeisterung ihren Anteil.

Sie sind das Update zum klassischen Lauftreff. Es sind eher lose organisierte Gruppen, die von einem Dutzend bis zu mehreren Hundert Läufern groß sein können. Gerade im europäischen Ausland sind sie groß, London ist ein besonderer Hub für sie. Dort hat sich eine ganze urbane Szene entwickelt, mit großem Einfluss aus der britischen Hip-Hop-Kultur.

Laufen gehen statt Nächte durchfeiern

Unzählige Memes erzählen davon, wie junge Menschen ihren Running Club und das Laufen zu ihrer Persönlichkeit machen. Es ist ein Lifestyle, das unterscheidet den jetzigen Lauf-Hype ganz wesentlich von früheren. Statt feiern zu gehen, stehen junge, urbane Menschen früh auf, schnüren ihre Schuhe und gehen mit ihrem Club fünf, zehn oder zwanzig Kilometer laufen.

Neben Memes findet man auf Social Media mittlerweile auch etliche Influencer, deren Onlinepräsenz sich nur ums Laufen dreht. Das Stadtbild von Berlin durchziehen mehrfach pro Woche riesige Gruppen an Läufern.

Der Marathon wird einen Rekord an Teilnehmern verzeichnen, wie die Organisatoren mitteilten. Sie rechnen mit rund 50.000 Läufern. Und auch der wichtige Chicago Marathon geht von Rekordzahlen aus. Es ist ein globales Phänomen, an dem auch Corona seinen Anteil hat, mit all den geschlossenen Fitnessstudios.

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Kurz vor halb acht am Abend. Vorbei an Bier trinkenden Expats bringen die Läufer ihre Wertsachen in einen Raum neben den Toiletten. Heute steht ein Social Run an. Zehn Kilometer in „entspanntem“ Tempo. Es ist heiß im September, obwohl sich die spätsommerliche Sonne langsam verabschiedet.

„Brauchen wir zwei Gruppen heute?“, fragt Henrik in die Runde. Er hat das Run Pack vor mehr als zehn Jahren mitgegründet. Kopfschütteln. In einem Tross von 15 Personen geht es los. Der Name Social Run wird schnell klar. Nach nicht mal zwei Minuten gesellt sich Pascal Adler an meine Seite und fragt, warum ich heute mitlaufe.

Ich will in erster Linie mit coolen Menschen laufen, die spannende Geschichten erzählen.

Henrik Niehus, Mitgründer von Run Pack

Sein Spitzname ist Run Punk, weil er sich etwa nicht von Trainingsplänen diktieren lassen wollte, wie er zu laufen hat. Das fasst Running Clubs auch gut zusammen. Die Läufer suchen nach einer Umgebung, in der sie sich wohlfühlen, ohne dass sie sich an ein System anpassen müssen.

Alle der Anwesenden sind überdurchschnittlich schnelle Läufer, sie könnten auch in Vereinen aktiv sein. Doch die grundsätzliche Wettkampforientierung passt nicht jedem, obwohl sie ambitioniert sind. In diese Lücke stoßen die Running Clubs, erzählt Run-Pack-Mitgründer Henrik Niehus. „Ich will in erster Linie mit coolen Menschen laufen, die spannende Geschichten erzählen. Wer Laufen zu ernst nimmt, hat da vermutlich viel Fokus drauf und weniger Zeit, Dinge abseits zu erleben. Das finde ich dann weniger spannend“, sagt er.

Weg vom neongelben Image

Das Konzept der Running Clubs ist etwa 2009 aus dem Ausland nach Deutschland gekommen, erzählt Niehus. „Lauftreffs waren früher oft an Vereine gebunden und nicht sonderlich zugänglich. Running Clubs sind eher lose organisiert und unabhängig. Das Private steht im Vordergrund und erst dann kommt der Sport“, sagt er.

Für die Entwicklung maßgeblich verantwortlich war der Sportartikelhersteller Nike, der viel Geld investiert habe. Er wollte das Image des Laufens verändern und hätte hauptsächlich junge Kreative eingeladen. Leute, die stilsicher waren, modisch, erzählt Niehus.

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Laufen, das war jahrelang ein Sport geprägt vom gelben Neon, gelinde gesagt, nicht sonderlich cool. Die Running Clubs waren ein Versuch, das zu ändern. Seitdem bieten fast alle Sporthersteller deutlich modischere Laufkleidung an. Schuhe und Shirts kann man teils problemlos auch im Alltag tragen.

Das schlägt sich auch in den Umsatzzahlen der Anbieter nieder und trifft den sportlichen Zeitgeist von Millennials und der Gen Z. Es ist auch eine Geschichte von Kommerzialisierung.

Die Ausstatter haben de facto Mikro-Influencing vorweggenommen, bevor es eine Marketingstrategie auf Social Media wurde. Heutzutage bezeichnet man so Personen mit 1000 bis 10.000 Followern auf ihren Accounts. Ständig haben die Läufer neue Goodies bekommen.

Der Hype hat seinen Preis

Auf Dauer hat es Niehus nicht gefallen, Werbung für den Sportartikel-Giganten zu machen, der gleichzeitig stark kontrollieren wollte, wer dabei ist und wer nicht. Mit Gleichgesinnten hat er daraufhin das Run Pack gegründet, um unabhängig zu sein. Die großen Marken haben weitergemacht und ihre Laufgruppen bestehen immer noch.

Ich selbst muss an diesem Abend abreißen lassen. Aber ich bin nicht alleine. Luis ist heute der Besenwagen und läuft trotz meines langsamen Tempos eisern an meiner Seite. Es gehört zu den Qualitäten des Clubs, dass niemand zurückgelassen wird.

Am Ende kommen wir wieder an der Bar an. Schrittweise trudeln die anderen ein. Selbst für sie waren die ungewöhnlichen September-Temperaturen eine Herausforderung. Die Gruppe vor der Bar ist divers. Die Läufer kommen aus Deutschland, Ägypten, Polen und arbeiten in der Werbung, der Politik oder im Unterhaltungssektor.

Das Image des Laufens hat sich gewandelt. Gerade weil es mittlerweile ein neues, junges und gut verdienendes Publikum anspricht. Auch durch Running Clubs. Früher ist das Run Pack durch die halbe Welt gereist, hat sich mit Clubs weltweit vernetzt und unzählige Partys nach ihren Läufen gefeiert. Bei anderen ist das auch immer noch so, besonders, wenn ihre Mitglieder jung und neu in Berlin sind. Doch das Run Pack ist ruhiger geworden. Es passt, dass sie sich an einer Craft-Bier-Bar treffen.

Am Sonntag steht der Berlin Marathon an, ein wichtiges Datum. Pascal, der Run Punk, wird nicht teilnehmen, er sieht nicht ein, über 200 Euro für einen Startplatz zu bezahlen. Der Hype hat seinen Preis und geht auch zulasten derer, die ihn sich nicht leisten können – oder wollen.

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