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Polen: Saddam mischt auch mit

EM-Gruppengegner Polen: Nationalistische Töne lenken Trainer Beenhakker ab. Der Holländer entschuldigt sich bei den Deutschen.

In der Tennishalle von Bad Waltersdorf, die dem polnischen Fußballverband während der Europameisterschaft als Konferenzzentrum dient, hängt eine riesige weiß-rote Fahne. Ein Bierbrauer hat sie gestiftet, und Tausende polnischer Fans aus der ganzen Welt haben sich darauf verewigt. Der größte Namenszug läuft ganz oben hinein in das „L“ von „Polska“. Unterschrieben hat: „Saddam“.

Der polnische Humor ist zuweilen gewöhnungsbedürftig, das wird in diesen Tagen vor dem EM-Spiel am Sonntag in Klagenfurt gegen Deutschland mal wieder deutlich. „Das sind verrückte, dreckige, kranke Leute, die sich einbilden, sie würden Polen repräsentieren“, schimpft Leo Beenhakker, als er in die Tennishalle stapft. Polens holländischer Trainer entschuldigt sich vorsichtshalber beim gesamten deutschen Volk für die bemerkenswert geschmacklose Fotomontage, die das polnische Boulevardblatt „Super Express“ am Mittwoch auf seiner Titelseite veröffentlicht hatte. „Leo, bring uns ihre Köpfe!“ steht über der Collage, die einen wütenden Beenhakker zeigt, in der linken Hand hält er den Kopf von Joachim Löw, in der rechten den von Michael Ballack, aus den Hälsen tropft noch das Blut. Am Donnerstag legte das Blatt nach: „Deutsche, wir werden euch schlagen – wie immer.“

Die Erwartungen in Polen sind wie immer vor Spielen gegen die Deutschen recht einseitig. Irgendwann muss es doch mal klappen mit einem Sieg gegen den ungeliebten Nachbarn aus den Westen, der letzte und bislang einzige liegt 75 Jahre zurück. Aber wahrscheinlich hat sich mal wieder alles gegen Polen verschworen, dieses Mal auch das Wetter. Es regnet in Österreich, und das weckt unangenehme Assoziationen.

An 1974. Damals verlor bei der WM in Deutschland die wahrscheinlich beste polnische Mannschaft aller Zeiten die Regenschlacht um den Finaleinzug in Frankfurt am Main 0:1 gegen die Gastgeber – und bis heute halten sich daheim Verschwörungstheorien. Deren harmloseste besagt, die Deutschen hätten den Schiedsrichter bestochen, damit er das Spiel überhaupt anpfeift.

Leo Beenhakker würde in der Tennishalle gern über Fußball reden, aber die polnischen Reporter wollen seine Meinung zum Regen hören und ob er nicht auch eine Parallele zu 1974 sehe. Leo Beenhakker verdreht die Augen und antwortet, er lebe in der Gegenwart und nicht in der Vergangenheit. „Das Wetter ist, wie es ist, und wenn dir der Platz zu hart ist oder zu trocken oder zu hügelig und du deswegen nicht spielen willst, dann solltest du besser nach Hause gehen.“ Ja, eine Trainingseinheit sei dem schlechten Wetter zum Opfer gefallen, „aber da haben wir uns DVDs von den deutschen Spielen angeschaut“. Wo liegen die deutschen Schwächen? Und wie schaltet man Ballack aus? Der Trainer lacht, endlich. „Das interessiert mich nicht. Wir spielen unser Spiel, das wollen wir dem Gegner aufdrücken.“

Leo Beenhakker will sich nicht nach den Deutschen richten, und erst recht nicht nach dem Wetterbericht. Der übrigens verheißt für das Spiel am Sonntag eine Regenwahrscheinlichkeit von 80 Prozent.

Polens Boulevardmedien: Seite 27

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