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Segeln als mediales Experiment: Weit weg und doch nah dran beim Ocean Race Europe
Extremsegler Boris Herrmann ist derzeit bei einem Rennen rund um Europa unterwegs. Sportlich läuft es mittelmäßig. Dafür kommen ihm die Zuschauer dank Live-Technologie so nahe wie nie.
Stand:
Zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, hat sehr viel mit Glück zu tun. Denn man kann leicht zum falschen Zeitpunkt am richtigen Ort sein oder umgekehrt. Zumal wenn es um die Verabredung mit etwas so Eigensinnigem wie dem Wind geht. Diese Erfahrung mussten am Donnerstag gleich vier der sieben Segelteams machen, die sich derzeit im Mittelmeer auf der Schlussetappe des Ocean Race Europe befinden.
Das Hochseerennen hatte einen Monat zuvor in Kiel begonnen und führt die Imoca-Crews in fünf Etappen einmal um Europa herum. Jeder dieser Hightech-Racer, die für ausgeprägte Langstreckenrennen konstruiert sind und ihren Ursprung im legendären Vendée Globe Race haben, ist mit einer vierköpfigen Mannschaft sowie einem Bord-Reporter besetzt. Auf Boris Herrmanns Malizia befinden sich derzeit außer ihm selbst sein britischer Kompagnon Will Harris, die US-Italienerin Francesca Clapcich und die Amerikanerin Cole Brauer.
Nicht nur sind die Distanzen bei dieser Mini-Ausgabe des Ocean Race kürzer als üblich. Die Strecke führt auch ständig durch stark befahrene Wasserstraßen, von deren Verkehrstrennungsgebieten sich die Rennmaschinen fernhalten müssen.
Man muss jederzeit mit allem rechnen
Und schließlich sind da noch die Tücken des Sommers, die das Segeln in europäischen Breiten launisch, zäh und schwer vorhersehbar machen. Vor allem das Mittelmeer sticht da heraus mit seinen thermischen Effekten und lokalen Windphänomenen. Manchmal hat der Abstand von wenigen hundert Metern genügt, um ein Team aus einer Flaute herauskommen zu lassen, alle anderen aber nicht. Man muss jederzeit mit allem rechnen.

© Flore Hartout
Bislang haben der französische Biotherm-Skipper Paul Meilhat und seine Crew stets am besten durch das Labyrinth gefunden. Sie führen das Ranking nach drei Etappensiegen in Folge, einem zweiten Platz und den meisten Scoring-Gate-Punkten uneinholbar an.
Doch im letzten Akt dieses Krimis gelingt es weder Meilhat noch seinem größten Konkurrenten Yoann Richomme (Paprec-Arkéa) oder auch dem italienischen Neuling in der Flotte Ambrogio Beccaria, der zum Auftakt in eine unglückliche Kollision mit Holcim verwickelt war und das vierte Rennen in Genua gewann, sich entscheidend abzusetzen.

© Pierre Bouras / The Ocean Race
Knapp 900 Meilen vor dem Ziel im Steuerparadies Boka Bay, Montenegro, war südlich von Sizilien wieder so ein Moment gekommen, da sich das Feld wie auf einer neuen Startlinie zusammenschob. Biotherm und Paprec-Arkéa mussten zusehen, wie ihr kleiner Vorsprung in der Flaute schwand, dann kamen auch Malizia und Allegrande Mapei nicht mehr weiter.
Das eröffnete Holcim unter dem Kommando der einzigen Skipperin im Feld, Rosalin Kuiper, die Möglichkeit, eine Lücke von 70 Meilen zu dem Führungsquartett binnen weniger Stunden zu schließen.
Boris Herrmann liegt derzeit nur auf Platz fünf
Als der Wind bei Lampedusa zurückzukehren begann, wurden die Karten neu gemischt. Zunächst sah es so aus, als habe Herrmanns Malizia die Nase vorne, aber das war wie meistens zuletzt nur von kurzer Dauer. Mit dem fünften Platz im Gesamtklassement ist Herrmann bislang hinter seinen eigenen sportlichen Erwartungen zurückgeblieben.
Ein triumphaler Abschluss in Montenegro täte ihm und seinen Mitstreitern gut, zumal es die letzte Gelegenheit für ihn ist, das Schiff, dem er so viele für ihn einschneidende Momente zu verdanken hat, in einem glanzvollen Licht dastehen zu lassen.

© Gauthier Lebec / The Ocean Race
Aber es bleibt eng auf der verbleibenden Strecke zum Ziel – wie überhaupt alles eng und näher erscheint bei diesem Rennen als sonst.
Da sind die geringen Abstände, zu denen die Segler an der Startlinie jeweils veranlasst werden. In Kiel führte die Enge bei einer plötzlich über das Starterfeld fegenden Bö dazu, dass Holcim manövrierunfähig auf die Seite geworfen wurde und sich der arglos hinter ihr heranrauschen Allegrande Mapei in den Weg legte. Die Kollision warf beide Teams aus der Auftaktetappe. Bis zum Beginn der zweiten hatten sie ihre – teils erheblichen – Schäden repariert.
Die Boote sind mit ihren überdachten Cockpits nicht für das Ballett gemacht, das Regattayachten üblicherweise an der Startlinie vollführen. Das hatte sich schon beim vergangenen Ocean Race gezeigt, als zwei Teilnehmer mit hohem Tempo ineinanderkrachten. Die empfindlichen Foils kosten überdies ein Vermögen. Da ist es schon atemberaubend, wie viel die Steuerleute mittlerweile mit ihren filigranen Yachten riskieren, um beim Start keinen Meter zu vergeuden.

© Flore Hartout
Um Nähe geht es auch bei den medialen Bemühungen des Ocean Race, das Hochsee-Spektakel zu vermarkten. Erstmals zeichnen Bord-Kameras das Geschehen jederzeit auf und übertragen es live zu festgesetzten Zeiten. Die Organisatoren erhoffen sich dadurch, „neue Wege für Abenteuergeschichten“, wie es in einer Mitteilung heißt.
Was in der Natur üblicherweise weitab von Zuschauermassen stattfinden muss, auf See oder in den Bergen, in Wüsten oder auf reißenden Flüssen, soll mit hoher Übertragungsqualität nun für jedermann nachvollziehbar werden. Und das Ocean Race geht den ersten Schritt.
An Bord der sieben Teilnehmer wurden unauffällige Hightech-Kameras und Mikrofone installiert. Manche Teams wie Malizia hatten die Live-Technologie schon zuvor gelegentlich – meistens beim Start großer Rennen – genutzt. Aber nun gehört sie zur Standardausrüstung. Dadurch ließ sich die Kollision in Kiel aus verschiedenen Perspektiven rekonstruieren, und als die Malizia vor einigen Tagen in einer Welle aus dem Ruder lief, wurde auch diese dramatische Szene aus unterschiedlichen Blickwinkeln eingefangen.
Sofern einzelne Episoden nicht als Youtube-Clip verbreitet werden, ist das Material allerdings exklusiv für den Discovery-Channel reserviert. Dadurch verstärkt sich ein Trend, nach dem Segelteams zunächst ihre eigenen Medienagenturen wurden, Multimedia-Reporter integrierten, um als nächstes unter dem Dach eines Rennens zu einer Sendeanstalt zusammengeschlossen zu werden. Und plötzlich ist man als Nicht-Abonnent außen vor und muss warten, bis der Seefahrer von seinem Abenteuer zurückkehrt, um zu berichten, wie eng es war. So weit, so fern.
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