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Schlimme Bilder. Simon Ammann stürzte beim letzten Springen der Vierschanzentournee in Bischofshofen und zog sich eine schwere Gehirnerschütterung zu.

© dpa

Nach Sturz von Simon Ammann: Sommerreifen im Schnee: Sind die Skibindungen schuld?

Nach den schweren Stürzen bei der Vierschanzentournee diskutiert die Skisprungszene über die Bindungen als Ursache. Der Weltverband prüft eine Regeländerung.

Es war ein fürchterliches letztes Bild, das die 20 000 Zuschauer im Sepp-Bradl-Stadion in Bischofshofen von Simon Ammann sahen. Regungslos und bewusstlos lag der Schweizer Skispringer nach seinem Sturz auf einer Trage, Blut rann aus seinem Mund. Erst im Krankenwagen kam Simon Ammann wieder zu Bewusstsein. Der 33 Jahre alte Skispringer erlitt bei seinem Sturz starke Prellungen im Gesicht und eine schwere Gehirnerschütterung. Ammann sei zwar „in stabilem Zustand“, teilte der Schweizer Skiverband mit. „Er ist ansprechbar und kann alles bewegen.“ Er bleibe aber im Krankenhaus und benötige „absolute Ruhe“. Simon Ammanns Sturz hinterließ kurzzeitig geschockte Zuschauer – und eine nachdenkliche Skisprungszene.

„Die Landungsprobleme haben zugenommen“, sagt der deutsche Bundestrainer Werner Schuster, „das hat auch mit den Bindungen zu tun und den Umbauten an den Schuhen.“ Schon in der Qualifikation in Bischofshofen war der US-Amerikaner Nicholas Fairall bei der Landung schwer gestürzt, er erlitt eine noch nicht näher bezeichnete Wirbelsäulenverletzung und fällt für den Rest der Saison aus. Ammann erlitt einen ähnlichen Unfall, er fiel ebenfalls nach der Landung vornüber. „Er hat ein extremes Material“, sagt der deutsche Bundestrainer Werner Schuster, der den vierfachen Olympiasieger bereits betreut hat. „Da muss man die Balance halten.“ Nicht zum ersten Mal hatte Simon Ammann Landungsprobleme, schon beim Auftaktspringen der Vierschanzentournee in Oberstdorf war er gestürzt. Auch weil er einen extremen Stil springt.

„Er hat sein letztes Hemd riskiert und springt mit einer extremen Vorlage“, sagt Schuster. „Bei der Landung ist er nicht mehr in die zentrale Position zurückgekommen.“ Im glatten Aufsprungbereich von Bischofshofen war es Ammann nicht gelungen, den Oberkörper aufzurichten und seinen Schwerpunkt somit nach hinten zu verlagern. Stattdessen stürzte er bei einer Geschwindigkeit von geschätzten 120 Stundenkilometern mit dem Gesicht voran in den Schnee. „Wenn er sich gleich hingeworfen hätte, wäre nichts passiert“, sagt Werner Schuster, „aber er wollte den Sprung unbedingt stehen, da schaukeln sich die Kräfte auf wie bei einem Auto, das ins Schleudern gerät“ und das im Schnee mit Sommerreifen unterwegs ist.

Denn die neuen gebogenen Bindungssysteme an den Fersen der Skispringer eignen sich zwar sehr gut, den Ski in der Luft perfekt gegen die Luft zu stellen und die maximale Auftriebsfläche zu generieren. Zum Skifahren aber taugen sie nicht, weil sie in der Vertikale großen Spielraum haben und nur schwer zu führen sind. Das bestätigte der Skisprung-Renndirektor des Internationalen Skiverbandes (Fis) schon vor Ammanns Sturz dem Tagesspiegel. „,Man kann de facto mit den Sprungski nicht Ski fahren“, sagt Walter Hofer. „Die Athleten kommen oben runter, weil wir eine eingelegte Spur haben, aber nach der Landung wird es schwierig.“ Es herrscht Regelungsbedarf. „Ich sehe die Möglichkeit, dass wir in diesem Bereich in den nächsten Jahren technisch nachrüsten“, sagt Hofer, „aus Sicherheitsgründen.“

Kurioserweise war es der nun gestürzte Simon Ammann, der den gefährlicheren gebogenen Bindungsstift eingeführt hat. 2010 bei den Olympischen Spielen in Vancouver überraschte er die Skisprungszene mit dieser technischen Neuerung und wiederholte damit prompt seinen Doppelolympiasieg von Salt Lake City. Inzwischen springen alle im Weltcup außer dem Griechen Nico Polychronidis mit dem neuem Bindungssystem. „Die alten Bindungen waren sicherer“, sagt der 42 Jahre alte Japaner Noriaki Kasai, der seit 26 Jahren sämtliche Entwicklungen im Skisprung miterlebt hat, „es ist ein bisschen schwieriger geworden, aber wenn man gut trainiert, kann man das beherrschen.“ Auch Werner Schuster sagt: „Die neuen Bindungen erschweren das Ganze, aber es ist zu handlen.“ Bedarf für eine Regeländerung sieht er noch nicht. „Man sollte nicht aus der Emotion heraus argumentieren“, sagt der Bundestrainer, „man sollte das nach der Saison nüchtern betrachten.“

Ausgerechnet in diesem Moment steht nun am Samstag das Skifliegen am Kulm auf dem Programm. Die Schanze in Bad Mitterndorf zählt zu den größten der Welt, die Verantwortlichen rechnen nach neuerlichen Umbauten damit, dass der Weltrekord von 246,5 Meter weiter nach oben geschraubt werden könnte. Es ist aber auch die Schanze, auf der Thomas Morgenstern vor einem Jahr schwer gestürzt war. „Ganz sorgenfrei werden wir nicht hingehen“, gibt Werner Schuster zu, „ein gewisses gefährliches Moment ist immer dabei, die Kräfte sind riesig.“ Alle, die am Dienstagabend in Bischofshofen dabei waren, wissen das.

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