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Pädophilie: Strippoker kurz vor Mitternacht

Pädophile verdingen sich im Fußball als Jugendtrainer – nun gehen Vereine und Behörden dagegen vor.

Berlin - Uwe Henß hatte volles Vertrauen. Dem engagierten Trainer seines Nachwuchsteams gab der Jugendleiter von Victoria Preußen sogar seine Kreditkarte mit – damit sollte Markus P. die Leihwagen für den Ausflug des Teams aus Frankfurt am Main nach Hamburg bezahlen. „Irgendwann rief mich die Hamburger Polizei an und sagte mir, dass Herr P. mit den Spielern unserer D-Jugend nachts um 23 Uhr auf der Reeperbahn gesichtet wurde“, erzählt Henß. Spieler der D-Jugend sind zehn bis zwölf Jahre alt. „Die Polizei sagte auch, die Spieler seien stark alkoholisiert gewesen.“ Der Familienvater war geschockt. Es kam noch schlimmer.

Zurück in Frankfurt, erzählten einige Jungen, was sich noch ereignet hatte. „Er hat den Kindern Alkohol gegeben und sie zum Strip-Poker aufgefordert. Dabei hat er vor ihnen masturbiert“, berichtet Henß. Zur Rede stellen konnte er Markus P. nicht mehr. Längst war der verschwunden, mit einem der Leihwagen und 2000 Euro von der Kreditkarte.

Das alles geschah im Herbst 2006 – und danach noch mehrmals andernorts. Denn Markus P. zog erst nach Darmstadt weiter und dann nach Berlin. Stets bot sich der heute 33-Jährige als Jugendtrainer an und bekam Vertrauen geschenkt – bis klar wurde, dass er nur seine pädophilen Neigungen befriedigen wollte. Mehr und mehr Fußballvereine vermelden inzwischen einen Missbrauch von Kindern. Allein zwölf solcher Fälle sind dem Berliner Fußball-Verband in der abgelaufenen Saison bekannt gemacht worden. Der will sich nun besser vernetzen und hat schärfere Kontrollen angeordnet – denn der Fall Markus P. zeigt exemplarisch, wie leicht es der Amateurfußball bisher Pädophilen gemacht hat.

Markus P. war ein geschickter Redner, „der sein Gegenüber mit abstrusen Geschichten fesseln konnte“, wie Henß berichtet. P. erzählte gern, dass er aus einer anderen Stadt komme und dort für den ansässigen Bundesliga-Verein als Jugendtrainer gearbeitet habe. Nun habe er sich zwar beruflich umorientiert, würde aber weiter gern ein Jugendteam trainieren. Im Amateurfußball glaubt man solche Qualifikationen gern, denn es mangelt an guten Nachwuchstrainern. Und an scheinbar engagierten wie P. „Er suchte den Kontakt zu den Eltern der Kinder“, erzählt Henß. „Mit den Erwachsenen spielte er Skat, für die Kinder organisierte er Ausflüge.“ Wie die Fahrt nach Hamburg. Nach dem Ausflug ermittelten die Behörden gegen P., allerdings ohne Konsequenzen.

Für Jugendleiter Henß war die Sache damit nicht erledigt. Er wandte sich an den Fußball-Landesverband Hessen, „doch ich hatte das Gefühl, dass man dort nichts davon wissen wollte“. Also schickte Henß eine Rundmail an diverse Klubs mit einem Bild von P. und seinen Erfahrungen mit ihm. Aber er erreichte nicht alle Vereine. Markus P. war inzwischen weitergezogen: Bei Grün-Weiß Darmstadt wusste niemand von den Vorfällen in Frankfurt am Main. Die Ereignisse wiederholten sich. P. wurde Jugendtrainer, organisierte einen Ausflug und flößte den Kindern Alkohol ein. Ger Neuber von der Staatsanwaltschaft Darmstadt bestätigt: „Durch geschickte Gesprächsführung und Gabe von alkoholischen Getränken verleitete er die Jungen zum Strip-Poker.“ Im November 2007 wurde Markus P. vom Amtsgericht Bensheim zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt. Da diese zur Bewährung ausgesetzt wurde, blieb er auf freiem Fuß. Er machte sich auf nach Berlin.

„Man ist ja froh, wenn sich überhaupt noch jemand engagiert“, sagt Thomas Trempnau, der Vorsitzende eines Vereins aus Wilmersdorf. Trempnau benötigte ebenfalls einen Trainer für eine Jugendmannschaft, auch er befand Markus P. als äußerst geeignet. Dieses Mal bekam er ein Team der F-Jugend. Diese Kinder sind zwischen sechs und acht Jahren alt.

P. plante wieder einen Ausflug, doch dazu kam es im letzten Moment nicht. Eine besorgte Mutter fand im Internet Henß’ Warnungen. Beide mailten sich; Henß informierte das Landeskriminalamt Berlin. „Zu seinen Bewährungsauflagen zählte, dass ihm Kontakt zu Kindern als Trainer untersagt war. Folglich verstieß er gegen Bewährungsauflagen“, erklärt Henß. Markus P. kam ins Gefängnis.

„Diese Geschichte ist exemplarisch“, sagt Gerd Liesegang, Vizepräsident des Berliner Fußball-Verbandes (BFV). „Für auffällig gewordene Pädophile ist es ein Leichtes, in ein anderes Bundesland abzutauchen. Was sich woanders ereignet hat, können die Verbände schlecht zurückverfolgen, wenn nichts Offizielles vorliegt.“ Auch in Berlin war es für pädophile Straftäter bisher leicht, sich über die ehrenamtliche Arbeit in Fußballvereinen Zugang zu Kindern zu verschaffen. Jugendtrainer oder Betreuer unterlagen beim BFV nicht der Meldepflicht. Wurde eine Person bei einem Verein im Norden Berlins auffällig, konnte sie bei einem Klub in einem anderen Bezirk anheuern. Für Vereine gab es kaum Möglichkeiten, den Werdegang ihrer Mitglieder zurückzuverfolgen.

Um potenziellen Tätern das Leben schwerer zu machen, hat der Berliner Verband seine Meldebestimmungen zur kommenden Spielzeit geändert. Ab sofort müssen die Namen und Geburtsdaten der Jugendtrainer und -betreuer auf einem Meldebogen beim Verband hinterlegt werden. Auch das Bundeskinderschutzgesetz wurde geändert. „In Zukunft muss jeder, der mit Kindern zusammenarbeitet, ein erweitertes Führungszeugnis hinterlegen“, sagt Liesegang. Das hatte Markus P. bei dem Verein in Wilmersdorf immer abgelehnt. „Er erzählte uns, er habe das Zeugnis bereits bei seinem Arbeitgeber hinterlegt und dieser wolle es nicht mehr herausgeben“, erzählt Jugendleiter Mirko Pasaric. Irgendwann fragten die Verantwortlichen in Wilmersdorf nicht mehr.

Nicht immer werden Fälle von versuchtem oder tatsächlichem Kindesmissbrauch beim Landeskriminalamt (LKA) angezeigt – oft aus Scham der Betroffenen. Lars Sünnemann, der beim LKA als Dezernatsleiter für Sexualdelikte tätig ist, sieht trotzdem einen langsamen Bewusstseinswandel: „Inzwischen werden die Leute in den Vereinen ermutigt, ihre Verdachtsmomente zu äußern.“ Fälle wie der von Markus P. sind für die LKA-Ermittler keine Seltenheit. „Die Vorgehensweise der vermeintlichen Trainer ähnelt sich oft“, sagt Sünnemann. „Zuerst engagieren sie sich stark, organisieren Ausflüge oder bieten sich als Aufpasser an, wenn die Eltern einmal wegfahren wollen. Die eigentliche Straftat vollzieht sich selten auf dem Sportgelände.“

Das LKA und Berlins Fußball-Verband wollen in Zukunft enger zusammenarbeiten. „Wir melden uns gegenseitig, wenn es den Verdacht gibt, dass eine pädophil veranlagte Person die Nähe von Sportvereinen sucht“, sagt Fußballfunktionär Liesegang und hofft, dass auch andere Landesverbände mit dem Thema offensiver umgehen. Denn in Berlin besteht die Gefahr, dass auffällig gewordene Personen ins Brandenburger Umland entschwinden – oder den umgekehrten Weg nehmen. „Es wäre hilfreich, wenn man eine Stelle einrichten könnte, wo Leute wie Herr P. regional übergreifend gelistet werden“, schlägt Uwe Henß, der hessische Jugendleiter und Vater von drei Kindern, vor. „Das hätte mir damals geholfen.“

Dass Markus P. am 1. April dieses Jahres vom Landgericht Darmstadt zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt wurde und momentan in einem Gefängnis in Weiterstadt einsitzt, beruhigt Henß nur vorübergehend. Wie Staatsanwalt Neuber bestätigt, hat Markus P. Revision gegen das Urteil eingelegt.

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