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Eigentlich will er klare Zeichen setzen. An vielen Tagen übertreibt es Hannovers Trainer Thomas Doll aber mit der Wissensauffrischung bei seinen Spielern.

© Joachim Sielski/Imago

Chaos bei Hannover 96: Thomas Doll ist nur noch ein Wutmacher

Bei Hannover 96 drischt Trainer Thomas Doll derzeit auf die abstiegsbedrohte Mannschaft ein. Diese Art der Krisenbewältigung wirkt wenig hilfreich.

Von Christian Otto

Aus der Ferne mag sich das alles putzig und lustig anhören. Der Präsident kritisiert die Sportliche Leitung. Mitten im Abstiegskampf äußert sich die Vereinsführung öffentlich über die verbaute Zukunft einzelner Spieler. Und der Trainer tobt und wütet zum Misserfolg. Es ist eine sonderbare Art von Marketing, die bei Hannover 96 betrieben wird. Rund 35.000 Zuschauer werden an diesem Sonntag zum Heimspiel gegen Bayer Leverkusen (18 Uhr/live bei Sky) erwartet. Soll man ins Stadion gehen, vor Ort die Daumen drücken und das Team anfeuern? „Die aktuelle Mannschaft ist kaputt, schlecht zusammengestellt und gescheitert“ – mit solchen Worten hat Klubchef Kind Lust aufs Spiel gemacht. Ist es für einen leidenschaftlichen Trainer wie Thomas Doll nicht legitim, in dieser Gemengelage den Spaß zu verlieren und als Wüterich zu enden?

Für die Dringlichkeit, mit der sich Hannover 96 zum zweiten Mal innerhalb von drei Jahren für einen Abstieg aus der Fußball-Bundesliga empfiehlt, kann der neue Trainer nur bedingt etwas. Doll hat Ende Januar eine erfolglose Mannschaft übernommen, die innerlich zerstritten, klar überfordert und bedenklich schwach auftrat. Nach zehn Jahren im Ausland war der ehemalige Nationalspieler voller Euphorie und mit „richtig Bock“ auf die Bundesliga zurückgekehrt. Dass aber ein vor allem in der Ansprache und Motivation starker Trainer sein neues Team von Woche zu Woche deftiger kritisiert, wirft zwei böse Aspekte auf.

Entweder hat Doll auf naive Weise total unterschätzt, wie schlecht Hannover ist. Oder die pädagogischen Fähigkeiten des ehemaligen Nationalspielers werden in der Rolle des Trainers gehörig überschätzt. „Grottenkick“, „Ich schäme mich“, „Dafür bin ich nicht zurück in die Bundesliga gekommen“: Nach der jüngsten 1:5-Pleite beim VfB Stuttgart hatte sich Doll bundesweit als Rumpelstilzchen belächeln lassen müssen. „Das kann man einmal machen“, sagt der 52-Jährige. Das Dumme ist: Seine zum wiederholten Male derben Worte erzielen keine Wirkung. Sie sind gut für das Ego, belasten zeitgleich aber das Image des Trainers.

Ärger über Kind-Kritik

Vor drei Jahren war Hannover 96 schon einmal in einer ähnlich verzweifelten Situation. Mit dem erfahrenen und routinierten Thomas Schaaf als Anführer sollte alles besser werden. Es wurde noch schlimmer und endete mit dem Abstieg. Dieses Mal hat die Vereinsführung erst die Winterpause abgewartet, um dann den strategisch arbeitenden André Breitenreiter durch den emotional aufgeladenen Doll zu ersetzen. Nach vier Niederlagen in fünf Partien muss sich Horst Heldt als Hannovers Sportdirektor und Doll-Fürsprecher natürlich fragen lassen, ob die Verpflichtung dieses HB-Männchens wirklich eine gute Idee war. Die offizielle Version lautete, dass Doll auf seine Art eben versuche, eine in Lethargie gefallene Mannschaft wachzurütteln. Da könne es eben auch mal passieren, dass man sich im Ton vergreift. „Das muss dann auch raus“, sagt Heldt über den medial abgeladenen Frust von Doll.

Was Cheftrainer und Sportdirektor im Niedergang aktuell eint, ist konstruktiver Ärger über den eigenen Arbeitgeber. In der obligatorischen Pressekonferenz zum nächsten Spiel ließen beide anklingen, was vom großen Schlamassel in Hannover und der Öffentlichkeitsarbeit von Kind zu halten sei. „Meine Mannschaft ist nicht kaputt. Sie lebt noch“, versicherte Doll. „Dem Präsidenten steht Kritik zu. Aber das war mit Sicherheit nicht der richtige Zeitpunkt“, sagte Heldt.

Doll möchte aufrütteln

Für die Stimmung in der Umkleidekabine kann es nicht hilfreich gewesen sein, wenn man als Spieler, Mannschaft und Fußballfirma insgesamt abgeschrieben wird. „Was wichtig ist“, betont Doll mitten in den Auflösungserscheinungen des Vereins, „dass wir das Menschliche nicht verlieren.“ In seinem Fall bedeutet das: Einzelne Spieler werden von ihm nicht namentlich an den Pranger gestellt. Doch auch schon vor dem Fiasko beim ebenfalls abstiegsgefährdeten VfB Stuttgart hat Doll immer wieder die Frage aufgeworfen, ob das von ihm übernommene 96-Team in der Bundesliga wirklich gut aufgehoben sei.

Fast alle Kronzeugen für die Vita dieses Trainers bestätigen: Der „Dolly“ ist ein akribischer Arbeiter und hemdsärmeliger Typ, dessen Ansprachen überzeugen. An guten Tagen genügt ein kurzer Blick in seine weit aufgerissenen Augen, um zu erkennen, dass er für den Fußball lebt und viel praktische Erfahrung weiterzugeben hat. Aber an vielen Trainingstagen hat es Doll mit der Wissensauffrischung bei seinen Spielern zuletzt übertrieben. Immerhin beschäftigt Hannover 96 auch gestandene Profis und Nationalspieler aus aller Welt.

Die haben wenig Lust, sich wie von einem Jugendbetreuer zeigen zu lassen, wie man den Körper bei der Ballannahme zwischen Spielgerät und Gegenspieler platziert. Während der Partien hat Doll große Mühe, innerhalb des für Trainer gekennzeichneten Arbeitsbereiches an der Außenlinie zu bleiben. Er pfeift, gestikuliert und flucht wie einer, der am liebsten noch selbst mitspielen möchte. Er möchte aufrütteln, aufwecken und retten. Für den Rest der Liga ist nicht zu überhören, dass Doll zurück ist. Moderne Empfehlungsschreiben für einen Folgejob in dieser Branche gehen aber anders.

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