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Letzter Mann klärt. Ob vor oder im Strafraum, Neuer rettete die Nationalelf immer wieder vor dem Rückstand, hier gegen Algeriens Sofiane Feghouli.

© Reuters

WM 2014 - Nationalmannschaft: Torwart Manuel Neuer ist astreiner Ausputzer

Manuel Neuer lieferte gegen Algerien ein großartiges Spiel mit spektakulären Grätschen und kluger Spieleröffnung. Der Torwart ist unverzichtbar für Trainer Joachim Löw – auch weil er eine echte Autorität im deutschen Team ist.

Der deutsche Nationalspieler machte sich eines entschiedenen Verstoßes gegen Paragraf 1.1 der Fußballregeln in der Version von Joachim Löw schuldig. Grätschen sind strikt verboten, fortgesetzte Zuwiderhandlungen werden vom Bundestrainer mit Entzug des Nationalspielerstatus geahndet. Und was da in der achten Minute des Achtelfinales der Deutschen gegen Algerien zu sehen war, entsprach eindeutig dem Tatbestand einer strafbewehrten Grätsche. Das lange Bein schnellte in Knöchelhöhe über den Rasen, der Ball klatschte von unten gegen die Sohle. Joachim Löw wird vermutlich nie so froh gewesen sein über einen Akt des zivilen Ungehorsams wie am Montag in der achten Minute des Achtelfinales.

Beim rechtswidrigen Grätscher handelte es sich um Manuel Neuer, den Torhüter der deutschen Nationalmannschaft, und seine Rettungstat gegen den Algerier Islam Slimani spielte sich nahe der Seitenlinie ab, weit jenseits seines natürlichen Lebensraumes. Das Tor war frei, aber Algeriens bester WM-Spieler schaffte es nicht, das letzte Hindernis zum Glück zu überwinden. Der Torhüter verbiss sich regelrecht in den Zweikampf, er blieb hart am Mann – und am Ende packte Manuel Neuer, wie es in der Fußballersprache so schön heißt, die Grätsche aus.

Der deutsche Torhüter verbiss sich regelrecht in die Zweikämpfe

Als nach dem 2:1 der Deutschen und deren Einzug ins Viertelfinale der Spieler des Spiels geehrt wurde, traf es mal wieder einen Torhüter. „Er ist zu Recht ,Man of the Match‘ geworden“, sagte Löw. Er meinte Rais M’Bolhi, den Torhüter der Algerier, der mit einigen spektakulären Paraden auf der Linie eine frühere Entscheidung zugunsten des Favoriten Deutschland verhindert hatte.

Die Wahl zum „Man oft the Match“ hat schon einige seltsame Ergebnisse gezeitigt, wobei es keinen Unterschied macht, ob der Sieger von einer hochkarätig besetzten Expertenkommission der Fifa bestimmt wird oder jeder Fan via Internet abstimmen kann. Die Wahl wird eher von oberflächlichen Reizen geleitet, und insofern ist es kein Wunder, dass sich Rais gegen Neuer durchsetzte. Das Resultat spiegelt die traditionelle Sicht auf das Torwartspiel wider: Formvollendete Flugeinlagen erschließen sich dem Betrachter eher als vorausschauende Planung, wie sie Neuers Spiel eigen ist. Wobei auch der Auftritt des deutschen Torhüters in Porto Alegre auf eine spezielle Art spektakulär war.

"Seine Leistung war überragend gut", sagte Bundestrainer Joachim Löw

„Seine Leistung war überragend gut. Sein Mitspielen war überragend“, sagte Bundestrainer Löw. Für die klobige Trophäe zum „Man of the Match“ reichte es auch deshalb nicht, weil Neuer wenige klassische Torhütertätigkeiten zu erledigen hatte. Bis zum späten Anschlusstreffer der Algerier bekam der 28-Jährige nur einen gefährlichen Schuss von Islam Slimani auf sein Tor. Den Rest erledigte Neuer mit dem Kopf oder mit dem Fuß.

„Auf der Linie hatte er ja nicht so viel zu tun“, sagte Löw, „aber eine seiner ganz großen Stärken außerhalb des Torraums hat er heute gezeigt. Das ist sein Spiel, dass er wie ein Libero agiert.“ Vier Mal eilte Neuer weit aus seinem Strafraum, um lange Pässe des algerischen Teams abzulaufen. Hinterher klagte er: „Wir müssen im Vorwärtsgang aufpassen, dass wir hinten sicher stehen.“ Das war gegen Algerien – wie schon im zweiten Gruppenspiel gegen Ghana – mehrere Male nicht der Fall, obwohl der Bundestrainer vor der Konterstärke der Nordafrikaner gewarnt hatte.

Manuel Neuer spielte wie eine Mischung aus Willi Schulz und Franz Beckenbauer

Man hätte fast den Eindruck gewinnen können, dass die Feldspieler ihren Defensivauftrag auch deshalb nicht allzu ernst nahmen, weil sie Manu, den Libero, noch hinter sich wussten. Neuer spielte wie eine Mischung aus Willi Schulz und Franz Beckenbauer. Er gab hinter der Abwehr einen astreinen Ausputzer aus seligen Vorstopper-Zeiten; genauso hatte er die präzise Spieleröffnung im Repertoire. Zu Beginn der zweiten Hälfte leitete der Torhüter der Bayern mit einem schnellen Abschlag auf André Schürrle eine gute Konterchance ein. Wer dabei Neuers entschlossenen Gesichtsausdruck sah, musste diesen öffnenden Pass schon fast als wütenden Kommentar zur allgemeinen Tempoverschleppung im deutschen Spiel verstehen. Eigentlich grenzte es an ein Wunder, dass der Torhüter nicht auch noch das erste Tor für seine Mannschaft erzielte.

Im Feld würde Neuer ganz sicher keine schlechte Figur abgeben. Er ist auch im Tor immer Fußballer geblieben – ein offensiv denkender Fußballer. Als in der Vorbereitung darüber spekuliert wurde, dass Neuer wegen seiner Schulterverletzung für die WM ausfallen könnte, hat die sportliche Leitung sich immer beschwichtigend geäußert. Auswirkungen hätte es keine, sollte Roman Weidenfeller für Neuer im Tor stehen. Das ist natürlich Blödsinn. Der Dortmunder entstammt einer ganz anderen Torwartschule. Er wurde in einer Zeit sozialisiert, in der die Füße für einen Torhüter noch ein zu vernachlässigender Körperteil waren. Selbst wenn Torwarttrainer Andreas Köpke Weidenfeller Fortschritte bei der offensiven Interpretation des Torhüterspiels bescheinigt hat – die Selbstverständlichkeit, die Neuers Spiel in dieser Disziplin auszeichnet, wird sich Weidenfeller nie aneignen können.

Neuer hat sich zu einer Autorität in der deutschen Mannschaft entwickelt. Seine Aura spürt längst auch der Gegner. Als den Algeriern kurz vor Schluss doch noch der Anschlusstreffer gelang, stürmten sie zu dritt dem Ball hinterher, um ihn schnell zum Anstoßpunkt zu tragen. Neuer wand den Algeriern den Ball mit einem geschickten Griff gleich wieder aus den Händen. Niemand wagte zu protestieren.

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