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Alte Försterei

© promo

Fußballstadien: Tribünen in Trümmern

Die Alte Försterei verrottet? Berlin tat sich schon immer schwer mit seinen Stadien. Ein Rundgang.

Eigentlich darf der 1. FC Union nicht aufsteigen. Sonst muss der Traditionsklub aus Berlins Osten sein charmant-marodes Stadion an der Alten Försterei in Köpenick verlassen. Der Senat hat kein Geld für die Sanierung, Union könne ja im Jahn-Sportpark in Prenzlauer Berg spielen. Die Alte Försterei würde damit verfallen. Nichts Neues in Berlin – wie unsere Geschichten über die vergessenen Stadien der Stadt zeigen.

DAS LEGENDÄRE

Das, was dem 1. FC Union droht, haben die Fans von Hertha BSC schon lange hinter sich: Sie mussten 1974 ihre Heimat verlassen. Die „Plumpe“ war ein reines Fußballstadion für 28 000 Fans an der Weddinger „Millionenbrücke“ (die eigentlich Swinemünder Brücke heißt). Dort, wo einst steile Tribünen mit liebevollen Namen wie „Uhrenberg“ oder „Zauberberg“ in den Himmel ragten, befinden sich heute Wohnburgen. Hertha musste das Gelände verkaufen, um der Insolvenz zu entgehen. Die Profis spielten schon lange im Olympiastadion, aber Jugend- und Amateurabteilung waren immer noch an der Plumpe zu Hause. Als im Oktober 1974 das letzte Spiel anstand, wollten die Fans Abschied nehmen, doch die Feier fiel aus. Der Fußballplatz war im Dauerregen abgesoffen.

DAS VERROTTETE

Das einst zweitgrößte Stadion der Stadt befindet sich in bester Lage: Vorn der Hauptbahnhof, nebenan ist ein schickes Stadtquartier mit Yachthafen geplant. Willkommen im Poststadion! Das Stadion an der Lehrter Straße hat herzlich wenig von seiner tollen Lage – es ist quasi eine Ruine. Früher fanden 60 000 Zuschauer Platz, noch in den Achtzigern spielte Hertha hier in der Oberliga. 1988 sollte es zum Fußballstadion ohne Laufbahn ausgebaut werden. Baubeginn: 1991. Kosten: 85 Millionen Mark. Dann fiel die Mauer und Berlin hatte andere Träume. Jetzt sind die Ränge zugewuchert und für die Allgemeinheit gesperrt, nur die denkmalgeschützte Tribüne wird saniert. Dort sah Adolf Hitler 1936 sein einziges Fußballspiel, ein 0:2 im olympischen Achtelfinale gegen Norwegen.

DAS GEHEIMNISVOLLE

Auf dem Brachland des Stadions der Weltjugend wird wieder gebaut, allerdings keine Tribüne, sondern die Zentrale des Bundesnachrichtendienstes. 1950 hatte Walter Ulbricht hier mit 70 000 Zuschauern das erste „Deutschlandtreffen der Jugend“ gefeiert. In der Rekordzeit von 120 Tagen war das Stadion aus Schuttbergen errichtet worden und trug lange den Namen Ulbrichts – die Berliner nannten es nach dem Spitzbart des SED-Chefs „Zickenwiese“. Nach dem Mauerfall wurde das Stadion an der Chausseestraße abgerissen. Für eine Olympiahalle, die natürlich nie gebaut wurde.

DAS WEINHALTIGE

Die Eisbahn nebenan zieht am Wochenende mehr Sportler an als das Stadion Wilmersdorf im gesamten Jahr. 1951 erbaut, bot das Stadion Platz für 35 000 Zuschauer. Es war und ist die Heimat des BSV 92, der in den Nachkriegsjahren zu den populärsten Berliner Klubs zählte und längst in den Niederungen der Kreisklasse versunken ist. Weil es neben Hertha BSC und Tennis Borussia und phasenweise Blau-Weiß 90 keinen Klub gab, der die gewaltige Kapazität hätte nutzen können, blieb das Stadion quasi ungenutzt. Seit 1984 dienen die Stehtribünen als Hänge zum Weinanbau. Jährlich werden bis zu 160 Liter „Wilmersdorfer Rheingauperle“ produziert.



DAS ÜBERFLÜSSIGE

Union im Jahn-Sportpark? Eine grausame Vorstellung für die Fans aus Köpenick. Im Stadion an der Cantianstraße spielte der Klub zwar 2001 im Uefa-Cup, aber ansonsten meiden Unioner das Stadion wie St.-Pauli-Fans die HSV-Arena. Hier, am Mauerpark, spielte einst der BFC Dynamo, der Erzrivale und Stasiklub. Eigens für Stasichef Mielke wurde vor dem Tribünengebäude eine autogerechte Rampe gebaut. Die gewaltigen Flutlichtmasten sah man noch weit drüben im Westen. Das letzte große Spiel hier war das allerletzte ostdeutsche Pokalendspiel. 1991 gewann Rostock gegen Eisenhüttenstadt. Aufwändig saniert wurde das Stadion für die Pläne von Olympia 2000. Vergebens.

DAS ABGELEGENE

Direkt neben der Havel spielte der Spandauer SV – vor bis zu 12 000 Zuschauern. So viele sahen selten an der Neuendorfer Straße zu, als aber Bayer Leverkusen 1994 zum 100. Geburtstag kam, waren die Tribünen voll. Stars wie Bernd Schuster, Andreas Thom und Ulf Kirsten hatte man lange nicht in Berlin gesehen, hier waren sie. Drei Jahre später stieg Hertha auf, die Stars kamen regelmäßiger und der SSV-Platz wurde abgerissen.

DAS SANIERTE

Die Heimat verlassen? Die Fans von Tennis Borussia können über Unions drohenden Umzug nur müde lächeln: Ihr Klub war mal in Niederschönhausen zu Hause, kickte später mal in Moabit, mal in Spandau und derzeit im Mommsenstadion an der Waldschulallee in Eichkamp. Als TeBe hoch hinauswollte, erhielt das Stadion eine riesige, teure, elektronische Anzeigetafel: Darüber freuen sich jetzt die Fans in der Oberliga und vormittags die Schüler der Waldschule.

DAS MARODE

Es ist ein Stadion ohne Namen, gelegen im Sportforum Hohenschönhausen am Weißenseer Weg, erbaut in den Siebzigern. Bemerkenswert war die Haupttribüne, sie hatte nämlich ein zu kurz geratenes Dach, so dass Ehrengäste wie Stasichef Mielke im Regen sitzen mussten. Als der BFC zu Beginn dieses Jahrtausends das Projekt „Zweitliga-Aufstieg 2005“ anpeilte, zeichneten Architekten spektakuläre Ausbaupläne eines voll überdachten Fußballstadions. Immerhin: 2006 wurde ein neuer Zaun errichtet. Damit die Hooligans nicht mehr den Platz stürmen.

DAS VERGESSENE

1 974 stieg Wacker 04 quasi aus Versehen in die Zweite Liga auf. Ein Reinickendorfer Kiezklub mit eher übersichtlichem Publikum. Auf dem Vereinsplatz am Wackerweg durfte Wacker nicht spielen, weil er nicht den Sicherheitsansprüchen genügte. Also zog der Verein für ein halbes Jahr ins Poststadion, bis ein gewaltiger Zaun um den idyllischen Sportplatz gezogen war. Wacker stieg ab und wieder auf, 1979 war das Gastspiel im (halb-)bezahlten Fußball endgültig vorbei. Vor ein paar Jahren fusionierte Wacker 04 mit dem Nachbarklub Alemannia 90, aber der seit 30 Jahren überflüssige Zaun steht immer noch. Das wäre mal ein sinnvoller Abriss, aber den kann und will keiner bezahlen.

Zum Weiterlesen: „Das große Buch der Deutschen Fußballstadien“ von Werner Skrentny (Verlag Die Werkstatt; 39,90 Euro).

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