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Rodlerin Natalie Geisenberger ist mit insgesamt sechs Olympiasiegen die erfolgreichste deutsche Winterolympionikin.

© imago images/GEPA pictures

Trotz vieler Medaillen: Die sportliche Bilanz des deutschen Olympiateams fällt durchwachsen aus

Bei den Olympischen Spielen liegt Deutschland im Medaillenspiegel auf Platz zwei. Allerdings gibt es eine große Unwucht im deutschen Team. Eine Analyse.

Bevor die Olympischen Spiele von Peking am Sonntag mit den letzten Wettkämpfen und der Abschlussfeier enden, hatte das deutsche Team elf Gold-, acht Silber – und fünf Bronzemedaillen gewonnen. Im Viererbob der Männer sind zwei weitere Medaillen nach den ersten beiden Läufen mit den Plätzen eins und zwei wahrscheinlich, womit „Team D“ nur knapp hinter der Ausbeute von Pyeongchang 2018 mit 31 Medaillen zurückbleiben dürfte. „Das vorab ausgerufene Ziel, den Medaillenkorridor zwischen Sotschi 2014 und Pyeongchang 2018 zu erreichen, ist uns gelungen. Aktuell liegt Deutschland im Medaillenspiegel auf Platz zwei, womit wir sehr zufrieden sein können", sagte DOSB-Vorstand Leistungssport Dirk Schimmelpfennig. Allerdings gibt es im deutschen Team eine große Unwucht, wie die folgende Analyse zeigt.

Schlittensport

Im Schlittensport, sei es Rodeln, Skeleton oder Bob, dominieren die deutschen Sportler:innen mehr denn je. Von zehn Goldmedaillen, die es in der pompösen Eisrinne von Yanqing insgesamt zu gewinnen gab, könnten am Ende neun an Deutschland gegangen sein. Einzig nach der Monobob-Premiere der Frauen herrschte im Bob- und Schlittenverband (BSD) Enttäuschung und Ratlosigkeit. Mit ihrem Doppelsieg im Zweierbob konnten Laura Nolte und Mariama Jamanka mit ihren jeweiligen Anschieberinnen Deborah Levi und Alexandra Burghardt aber auch das am Samstag fast vergessen machen.

Mit Rodlerin Natalie Geisenberger und den Doppelsitzern Tobias Wendl und Tobias Arlt stellt der BSD nun gleich ein Trio mit sechs olympischen Goldmedaillen. Francesco Friedrich könnte mit seinem Anschieber Thorsten Margis, der bei der Abschlussfeier am Sonntag die deutsche Fahne tragen wird, den Doppelsieg von Pyeongchang wiederholen und damit den bisherigen Rekord von André Lange einstellen. Der Doppelerfolg im Skeleton durch Christopher Grotheer und Hannah Neise zählte zu den großen olympischen Überraschungen.

Im Zweierbob dominierte die Bobfahrerin Laura Nolte mit Anschieberin Deborah Levi.
Im Zweierbob dominierte die Bobfahrerin Laura Nolte mit Anschieberin Deborah Levi.

© REUTERS

Die Erfolge in der Eisrinne sind das Resultat einer einzigartigen Infrastruktur. Vier Bahnen auf Topniveau – wobei die Anlage am Königssee nach den Verwüstungen im vergangenen Sommer nicht mehr nutzbar ist – stehen in keinem anderen Land. Aufgrund der olympischen Ausbeute darf sich der Verband, der 2020 gerade mal 7044 Mitglieder zählte, weiterhin über üppige finanzielle Zuwendungen freuen. Der BSD konnte bei allen Erfolgen aber nicht komplett überdecken, dass es in einigen anderen Wintersportverbänden nach den Auftritten in China Gesprächsbedarf gibt.

Schlittschuhsport

Insbesondere in den anderen Sportarten, die auf Eis ausgetragen werden, fällt die Bilanz sehr unzufriedenstellend aus. Im Eisschnelllauf hatten sich gerade mal fünf deutsche Athlet:innen für diese Spiele qualifiziert. Patrick Beckert landete als bester Starter der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft auf Rang sieben über 10.000 Meter. Beim Berliner Trio Claudia Pechstein, Michelle Uhrig und Felix Rijhnen zählte die Qualifikation für Olympia ja bereits als Erfolg. Im Short Track war Anna Seidel die einzige deutsche Starterin. Aufgrund schwerer Verletzungen durfte sie antreten, obwohl sie die Qualifikationsnorm nicht erfüllt hatte.

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Desaströs gestaltete sich der Auftritt der Eishockey-Nationalmannschaft. Die Abwesenheit der NHL-Profis schien zunächst ein Vorteil zu sein, die Voraussetzungen vor vier Jahren, als das DEB-Team sensationell Silber gewonnen hatte, waren vermeintlich ähnlich. Doch der Mannschaft von Toni Söderholm fehlte es offenbar nicht nur an Führungspersönlichkeiten, wie es Christian Ehrhoff oder Marcel Goc in Pyeongchang gewesen waren. Auch mangelte es an der richtigen Einstellung für dieses Turnier, das bereits im Play-off für das Viertelfinale gegen die Slowakei beendet war. Es ist ein unerwarteter Rückschlag des Weltranglisten-Fünften nach Jahren des konstanten Aufschwungs.

„Wir haben über das ganze Turnier hinweg viel zu selten unser Spiel und die Leistung gezeigt, die wir selbst von uns einfordern. Wir sind selbstkritisch genug, um zu erkennen, dass es an uns gelegen hat und wir es nicht hinbekommen haben“, analysierte Kapitän Moritz Müller.

Desaströs gestaltete sich der Auftritt der Eishockey-Nationalmannschaft, der bereits im Play-Off für das Viertelfinale endete.
Desaströs gestaltete sich der Auftritt der Eishockey-Nationalmannschaft, der bereits im Play-Off für das Viertelfinale endete.

© imago images/Laci Perenyi

Im Eiskunstlauf lag der deutsche Fokus ganz auf den Berliner Paarläufern Minerva Hase und Nolan Seegert, die immerhin zur erweiterten Weltspitze gehören. Ein positiver Coronatest Seegerts unmittelbar nach der Ankunft in Peking versetzte ihren zarten Hoffnungen auf eine Platzierung unter den besten Acht einen jähen Dämpfer. „Ich glaube schon, dass es ein paar Jahre dauern wird, bis ein deutsches Paar wieder um eine Medaille mitlaufen wird“, sagte Aljona Savchenko, die vor vier Jahren mit ihrem Partner Bruno Massot die Goldmedaille gewann, im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

Zu den olympischen Eissportarten zählt zudem das Curling. Wie schon vor vier Jahren konnte sich kein deutsches Team für die Wettkämpfe in Peking qualifizieren. Gleiches gilt für die deutschen Eishockey-Frauen, die ausgerechnet im Qualifikationsturnier nicht ihre beste Form hatten aufbringen können.

Skisport

Für den Deutschen Ski-Verband fällt die Bilanz durchwachsen aus. Die Alpinen blieben bislang ohne Medaillen. Am Sonntagmorgen bestand im Teamwettbewerb, der wegen widriger Windverhältnisse um einen Tag verschoben wurde, noch eine Chance auf ein versöhnliches Ende. Lena Dürr im Slalom und Kira Weidle in der Abfahrt fehlte nur ein Wimpernschlag zu den Medaillenrängen. Ein Jahr nach den Weltmeisterschaften mit drei Silber- und einer Bronzemedaille ist das dennoch ein Rückschlag. Alpindirektor Wolfgang Maier haderte insbesondere mit den Auftritten der Männer in den Speeddisziplinen: „Da waren wir definitiv nicht gut genug.“

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Gleiches könnte man über die Auftritte der deutschen Männer im Biathlon sagen. Die Staffel war nah dran an einer Medaille, selbst der Olympiasieg wäre bei einem erfolgreichen letzten Schießen möglich gewesen, doch wie schon 2010 kehren sie ohne Podiumsplatz zurück. Besser machten es die Frauen, insbesondere Denise Herrmann. Die 33-Jährige hatte mit ihrem Olympiasieg im Einzel für eine von drei deutschen Goldmedaillen außerhalb der Eisrinne gesorgt und die Staffel zu Bronze geführt.

Mit einer Bronzemedaille mit dem Team endeten die Spiele nach dem Fehlstart doch noch versöhnlich für die deutschen Skispringer.
Mit einer Bronzemedaille mit dem Team endeten die Spiele nach dem Fehlstart doch noch versöhnlich für die deutschen Skispringer.

© REUTERS/ Kim Hong-Ji

Bei den Skispringern waren die Hoffnungen groß gewesen, wie 2018 einen Olympiasieger zu stellen. Karl Geiger war immerhin als Weltcup-Führender nach China gereist. Mit einer Bronzemedaille im Einzel von der Großschanze und mit dem Team endeten die Spiele nach dem Fehlstart für ihn versöhnlich. Gleich zum Auftakt hatte Katharina Althaus die Silbermedaille im einzigen Einzelwettbewerb der Frauen gewonnen.

Überschattet wurden das olympische Skispringen allerdings von der Farce im Team-Springen, als zahlreiche Spitzenspringerinnen wegen zu großer Anzüge disqualifiziert wurden. Männer-Bundestrainer Stefan Horngacher sprach in diesem Fall von „Kasperletheater“, zog am Ende aber doch ein versöhnliches Fazit. „Natürlich hätten wir gerne mehr mitgenommen, aber wir haben nochmal die Kurve gekriegt“, sagte er.

Das galt auch für die Nordischen Kombinierer, nachdem die Olympischen Spiele für sie mit positiven Coronatests bei Terence Weber und Eric Frenzel begonnen hatten. Dass Frenzel völlig erschöpft ein Teil der Mannschaft war, die sich im Teamwettbewerb die Silbermedaille sichern konnte, glich einem kleinen Wunder. Gleiches gilt für Manuel Faißt, der als Ersatzmann nach China gereist war und ebenfalls mit einer Team-Medaille zurückkehrte. Vinzenz Geiger unterstrich mit seiner Goldmedaille von der Normalschanze seine Ambitionen als neuer Frontmann der deutschen Kombinierer.

Von Frontmännern im deutschen Langlauf fehlt aktuell jede Spur. Allerdings sorgten die Frauen für die größte Sensation aus deutscher Sicht bei diesen Spielen. Nachdem Katharina Hennig und Victoria Carl bereits Teil der Staffel waren, die völlig überraschend die Silbermedaille gewonnen hatte, krönten die beiden diese Spiele mit dem sensationellen Olympiasieg im Team-Sprint.

Katharina Hennig und Victoria Carl krönten die Spiele mit dem sensationellen Olympiasieg im Team-Sprint.
Katharina Hennig und Victoria Carl krönten die Spiele mit dem sensationellen Olympiasieg im Team-Sprint.

© AFP

Nach vielen durchwachsenen Jahren erlebte die Disziplin bei Olympia eine Art Wiedergeburt. Bundestrainer Peter Schlickenrieder hatte bereits vor den Spielen dem Tagesspiegel gesagt: „Es gibt nicht so viele andere gesellschaftliche Bereiche, wo die Leute mit so viel Herzblut bei der Sache sind und ihr Privatleben hintenanstellen. Ich kenne keinen, der am Wochenende sagt, ich möchte jetzt frei haben.“ Die Medaillen sind eine Art Belohnung für die gesamte Branche. Es soll ein Aufbruchsignal von China ausgehen.

Die meisten Tränen aller deutschen Medaillengewinner:innen vergoss wahrscheinlich Daniela Maier. Im Skicross-Wettbewerb sah es zunächst nach einem unglücklichen vierten Platz aus. Weil die Jury allerdings zu dem Schluss kam, dass die Schwarzwälderin bei ihrem Lauf behindert worden war, erhielt sie die Bronzemedaille. Damit setzte sie ein kleines Achtungszeichen bei den noch recht jungen Winter-Trendsportarten, in denen der deutsche Ski-Verband noch jede Menge Nachholbedarf hat. Gerade in den Freestyle-Wettbewerben geben andere Nationen den Ton an.

Snowboard

Enttäuschend verlief Olympia für die Snowboarder:innen, die den zweitgrößten deutschen Wintersportverband stellen. Besonders frustrierend verlief der Parallel-Riesenslalom, wo Ramona Hofmeister als zweifache Gesamtweltcup-Siegerin und große Medaillen-Anwärterin bereits im Viertelfinale gescheitert war. Martin Nörl, der im Snowboardcross vor Olympia drei Weltcups in Folge gewonnen hatte, musste seine Medaillenträume im Snowboardcross ebenfalls früh begraben.

Zum ersten Mal seit 2010 blieben die Snowboarder bei Olympia somit ohne einen Podestplatz, auch wenn sich einige Freestyler für die Finals qualifizieren konnten. „Es ist auf jeden Fall eine Enttäuschung da“, sagte Sportdirektor Andreas Scheid im Deutschlandfunk. „Die Vorleistungen waren super aus den Qualifikationswettbewerben. Es war der ein oder andere Lichtblick dabei, es ist Pech auf jeden Fall mit dabei. Aber die Ergebnisse, die wir uns vorgestellt hätten, sind nicht eingetreten.“ Dennoch sieht sich die Branche gut gerüstet. In Berchtesgaden entsteht derzeit ein Freestyle-Trainingszentrum, das im kommenden Jahr fertiggestellt sein soll.

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