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Sport: Unter verschärfter Beobachtung

Bei der Vorbereitung auf ihren ersten WM-Gegner Costa Rica soll die deutsche Nationalmannschaft auch Land und Leute kennen lernen

Berlin - Der deutsche Fußball-Nationalspieler der Jetztzeit ist eine in sich gefestigte Persönlichkeit, weltoffen und an vielen Dingen interessiert. Zumindest wünscht sich Jürgen Klinsmann, der Bundestrainer, den deutschen Fußball-Nationalspieler der Jetztzeit so. Die Persönlichkeitsentwicklung ist ihm ein wichtiges Thema, und der Blick über den Rand des eigenen Tellers wird mit Kräften von der sportlichen Leitung der Nationalmannschaft gefördert, sogar bei der Spielvorbereitung. Am Montag, kurz nach der Ankunft in Berlin, versammelte Klinsmann seine Belegschaft zum Landeskundeunterricht vor dem DVD-Spieler. „Costa Rica – Land und Leute“ hätte der Film heißen können, der gezeigt wurde, laut Klinsmanns Assistent Joachim Löw ein kurzer Überblick über die Kultur des Landes und die Mentalität der Costa-Ricaner. Man muss trotzdem nicht befürchten, dass die Nationalspieler nun mehr über das Bruttoinlandsprodukt des mittelamerikanischen Staats wissen als über die Stärken des linken Außenverteidigers. „Das waren drei Minuten“, berichtete Michael Ballack, anschließend ging es wieder um Fußballspezifika.

Die Vorbereitung der deutschen Nationalmannschaft auf die Weltmeisterschaft gilt schon jetzt als die härteste aller Zeiten; wahrscheinlich ist sie auch die akribischste, die es je gegeben hat. Niemals zuvor wurde ein größerer Datensatz zu den Gegnern der deutschen Mannschaft zusammengetragen. Wenn am Freitag das Eröffnungsspiel gegen Costa Rica angepfiffen wird, weiß Jürgen Klinsmann wahrscheinlich sogar, was sein Gegenüber Alexandre Guimaraes am Morgen gefrühstückt hat. Die sportliche Leitung der Nationalmannschaft und Chefscout Urs Siegenthaler haben schon im vergangenen Jahr eine studentische Projektgruppe der Sporthochschule Köln damit beauftragt, alle Informationen zu allen WM-Teilnehmern zusammenzutragen. Das schließt auch private Details ein, dass sich zum Beispiel Spieler X mit seiner Frau zerstritten hat.

Als der Schweizer Siegenthaler vor einem Jahr Scout der Nationalmannschaft wurde, war das für die deutsche Öffentlichkeit ein weiterer Kulturschock, nachdem Klinsmann bereits die Fitnessschulung an eine Gruppe von Amerikanern abgetreten hatte. Inzwischen bestehen an Siegenthalers Befähigung keine Zweifel mehr. „Mich hat beeindruckt, mit welcher Akribie und Klarheit er die Dinge sieht“, sagt Löw. „Es geht eben nicht nur darum zu sagen, der linke Verteidiger ist schnell und kopfballstark. Du musst die ein, zwei Stärken herausfinden, die charakteristisch für die Mannschaft sind.“

Urs Siegenthaler ist zweimal nach Costa Rica gereist, hat neben einigen Ligaspielen auch etliche Länderspiele gesehen. „Er kennt dort jede Tribüne“, sagt Löw. Von der Fülle der Informationen, die er und seine Mitarbeiter zusammengetragen haben, wird jedoch nur ein kleiner Teil bis zu den Spielern vordringen: Wo liegen die Schwächen der Mannschaft? Wo ihre Stärken? Welches System spielt Costa Rica? Wie treten sie die Freistöße und Ecken? Fünfzehn, höchstens fünfundzwanzig Minuten wird die Präsentation vor der Mannschaft dauern, einige Spieler werden anschließend noch in Einzelgesprächen geschult. Am Donnerstag, dem Tag vor dem Spiel, wird Costa Rica schon keine Rolle mehr spielen. „Dann beschäftigen wir uns nur noch mit uns selbst“, sagt Löw, „mit unserer eigenen Stärke.“

Durch die kontinuierliche Beobachtung über einen längeren Zeitraum ist weitgehend ausgeschlossen, dass sich der Trainerstab der Deutschen von den dürftigen Leistungen der Costa-Ricaner in den jüngsten Testspielen (0:4 gegen die Ukraine, 0:1 gegen Tschechien und 2:3 gegen eine Auswahl der Kurpfalz) täuschen lässt. „Das darf man nicht als Maßstab nehmen“, sagt Löw, der den ersten WM-Gegner im Gegensatz zur allgemeinen Ansicht als sehr spielfreudig kennen gelernt hat. „Wir haben auch Schwächen aufgedeckt“, sagt Löw. „Aber darüber muss man in der Öffentlichkeit nicht reden.“

Die Tätigkeit Siegenthalers beschränkt sich nicht darauf, die Schwächen des Gegners zu benennen, sondern daraus auch eine Strategie für das eigene Spiel zu entwickeln. Beim Confed-Cup gegen die defensivstarken Tunesier sollten die Deutschen unter allen Umständen vermeiden, in Rückstand zu geraten. Sie spielten mit der nötigen Geduld, gingen erst eine Viertelstunde vor Schluss in Führung und gewannen am Ende 3:0. Und auch wenn die Deutschen nicht gut spielten, liegt das nicht unbedingt an Siegenthaler. Vor dem Spiel gegen Holland hatte er zwingend dazu geraten, die Pässe aus dem Mittelfeld in die Spitze auf die schnellen holländischen Stürmer zu unterbinden. Es wäre genau das richtige Rezept gewesen. Die Mannschaft konnte es nur nicht umsetzen.

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