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Sport: Verzögerter Angriff

Der Radrennstall Gerolsteiner will den ganz großen Erfolg – aber noch nicht in diesem Jahr

Die Zukunft besteht aus zwei Teilen. Im ersten hat das Team Gerolsteiner die Tour de France im Juli genauso im Fokus wie dies auch die deutsche Konkurrenz hat, das T-Mobile-Team mit Jan Ullrich und Andreas Klöden und das neue Team Milram mit Erik Zabel und dem Italiener Alessandro Petacchi. Erfahrene Profis wie der 34-jährige Georg Totschnig und der zwei Jahre jüngere Levi Leipheimer, aber auch erwachsen gewordene Talente wie Fabian Wegmann (25) und Markus Fothen (24) sollen in diesem Sommer die bemerkenswerte Erfolgsgeschichte des Radrennstalls fortsetzen – indem sie zunächst das Niveau halten oder sich vielleicht ein bisschen verbessern. Der zweite Teil der Zukunft, in dem das Team die ganz großen Mannschaften bei der Tour de France herausfordert, soll wohl erst ein Jahr später beginnen.

Bei der Präsentation des Teams für diese Saison wurde gestern nicht wie bei T-Mobile das Gelbe oder bei Milram das Grüne Trikot des besten Sprinters zum Ziel gesetzt. Die gewünschte Aufmerksamkeit soll wieder ein Etappensieg in Frankreich wie im vergangenen Jahr durch Georg Totschnig bringen. „Die klassische Werbung kann unsere Marke nicht so emotionalisieren wie das Radteam“, sagte Firmenchef Jörg Croseck und erinnerte an die Tränen Totschnigs in den Pyrenäen, als sich der Österreicher vor Lance Armstrong und Ivan Basso ins Ziel rettete und in Weinkrämpfe ausbrach. Totschnig wurde in der Skisportnation Österreich zum Sportler des Jahres gewählt. Gestern kündigte er an, „heuer nicht nur an einem Tag, sondern drei Wochen lang gut zu fahren“. Dann komme alles andere von alleine, ein Etappensieg und auch ein vorderer Platz im Klassement.

Sogar eine Chance auf einen Podiumsplatz rechnet sich Levi Leipheimer aus, ganz vorne glaubt aber auch er nicht angreifen zu können. „Ullrich und Ivan Basso fahren auf einem anderen Niveau“, sagte der Amerikaner, aber um den dritten Platz wolle er beispielsweise mit Alexander Winokurow oder Francisco Mancebo kämpfen.

Der Rennstall hofft aktuell auf die beiden Routiniers und wohl nur insgeheim darauf, dass die für die etwas fernere Zukunft vorgesehenen Protagonisten schon in diesem Jahr eine größere Rolle spielen können. Immerhin rückte der spitzbübisch grinsende Fabian Wegmann bei der Teamvorstellung schon in eine Reihe mit Leipheimer, Totschnig und dem Klassikerspezialisten Davide Rebellin. Wegmann, der im vergangenen Jahr schon für einen Tag das Bergtrikot bei der Tour getragen hat, wird sich gezielt auf das große Radspektakel im Juli vorbereiten. Und Markus Fothen, der in der vorigen Saison überraschend Zwölfter beim Giro d’Italia geworden war, ist „ganz gespannt auf meine erste Tour“.

Die Neuverpflichtungen zeigen, dass sich Gerolsteiner auf die Zeit vorbereitet, in der nicht nur Lance Armstrong, sondern auch Jan Ullrich nicht mehr mitfährt: Die vier neuen Fahrer David Kopp, Thomas Fothen, Stefan Schumacher und Torsten Hiekmann sind Deutsche. Bei der deutschen Sportlerwahl 2005 belegte das Team, dem im vergangenen Jahr insgesamt 23 Siege gelangen, immerhin Platz sechs. Die Leser des Fachmagazins Procycling setzten die Mannschaft sogar auf Rang eins vor CSC (Basso) und Discovery (Armstrong).

Die Verträge von Leipheimer und Totschnig laufen am Jahresende aus. Vielleicht kann in zwölf Monaten Gerolsteiner dann neben hoffnungsvollem Nachwuchs einen deutschen Tourstar präsentieren: Andreas Klöden. Dessen Vertrag bei T-Mobile endet ebenfalls am Jahresende. Der Tourzweite von 2004 hatte jüngst erklärt, er wolle ab 2007 Spitzenfahrer eines Tour-Teams werden. Hans- Michael Holczer, Chef des Teams Gerolsteiner, sagte dazu: „Daraus abzuleiten, dass Gerolsteiner sein neuer Rennstall wird, ist verfrüht. Obwohl wir ein bisschen mit den Augen gezwinkert haben.“

Hartmut Scherzer[Gerolstein]

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